Touch me not

(ROU/D/CZ/BGR/FR 2018; Regie: Adina Pintilie)

Selbsttest des Zuschauers

Laura kann und möchte sich nicht berühren lassen. Wie Körperkontakt geht, der ihr nicht zuwider ist, erkundet sie in Adina Pintilies fiktionaler Doku „Touch Me Not“. Unter anderem engagiert sie einen Callboy, der freimütig onaniert, spricht mit dem Transgender-Menschen Hanna über dessen Selbstwahrnehmung, lässt das Paar Christian und Grit in Aktion kommen – im Berührungsworkshop wie auch im Fetisch-Club. Dann ist sie selber dran. Mit einem Therapeuten will sie herausfinden, ob sich ihre Grenzen verschieben lassen und warum sie Nähe überhaupt auf Distanz zu halten sucht. Das Setting – Teile wurden in einem Krankenhaus gedreht – ist klinisch, der dominierende Farbton weiß. Es wirkt als unbeschriebene Leinwand, auf der sich die Figuren entfalten können.

Die Menschen, die Laura begegnen, weichen von den als Norm angesetzten Vorstellungen von Schönheit ab oder leiden an psychischen Konflikten. Sie sprechen aber freimütig über sich und was sie von Beziehungen erwarten. Wie etwa das Paar Christian und Grit: sie übergewichtig, er schwerbehindert. „Ich leide nicht drunter“, sagt Christian. „Ich würde aber mal gern aktiv ficken.“ Sein Penis sei im Übrigen „das einzige Körperteil, das normal funktioniert“.

Sie wolle einen Raum schaffen für Selbstreflektion und Veränderung, „besonders im Hinblick auf die De-Objektifizierung und Individualisierung menschlichen Austauschs, im Hinblick auf unsere emotionale Fähigkeit, sich in die Haut dieses ‚Anderen‘ zu versetzen“, sagt Pintilie. Was sich ein bisschen nach Abschlussarbeit einer deutschen Filmhochschule anhört, ist in der Praxis ein Selbsttest des Zuschauers. Als Provokation hergebrachter Vorstellungen funktioniert der Film gut, das zeigten nicht zuletzt die zahlreichen Reaktionen auf die Auszeichnung mit dem Hauptpreis der diesjährigen Berlinale, die von übelsten Beschimpfungen bis zu filmkritischen Lobeshymnen reichen. Festivalfilm, was willst du mehr – gut gemacht!

Warum – bei der Diversity-Gesamtanlage des Films – in Pintilies‘ Ensemble nicht ein einziger Darsteller vorkommt, dessen äußere Hülle weniger weiß ist als ein Arztkittel, mag da das Geheimnis der Filmemacherin bleiben. Aber Vorstellungen, so auch meine, sollen ja bewusst geprellt werden.

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 11/18.

Touch me not
Rumänien, Deutschland, Tschechien, Bulgarien, Frankreich 2018 - 125 min.
Regie: Adina Pintilie - Drehbuch: Adina Pintilie - Produktion: Bianca Oana, Philippe Avril, Adina Pintilie - Bildgestaltung: George Chiper-Lillemark - Montage: Adina Pintilie - Musik: Ivo Paunov - Verleih: Alamode Film - FSK: ab 16 Jahren - Besetzung: Laura Benson, Tómas Lemarquis, Christian Bayerlein, Grit Uhlemann, Adina Pintilie, Hanna Hofmann, Hermann Mueller
Kinostart (D): 01.11.2018

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt4949112/
Foto: © Alamode Film