Michelles und Jermaines Hochzeit findet unter außergewöhnlichen Umständen statt: im Besuchsraum eines Hochsicherheitsgefängnisses. Zunächst denkt Michelle Bastien, ihr Jugendfreund Jermaine Archer könnte schnell wieder freikommen. Doch bald ist klar: Er wird wegen eines ihm zur Last gelegten Mordes eine 22-jährige Haftstrafe in der berüchtigten Haftanstalt Sing Sing bei New York verbüßen. Jermaine sagt, dass er zu Unrecht einsitzt. Die beiden beschuldigen den zuständigen Staatsanwalt, eine Zeugenaussage gekauft zu haben. Ihre Beschwerden laufen jedoch ins Nichts.
Aber weder Jermaine noch seine Frau denken ans Aufgebeben. Im Gegenteil: Michelle Bastien-Archer kämpft mit allen Mitteln vor Gericht und in der Öffentlichkeit dafür, ihren Mann freizubekommen. Die alleinerziehende Mutter von zwei Teenagern organisiert Demos, gibt Interviews und arbeitet mit Rechtsanwälten zusammen. Längst ist ihr klar, dass Jermaines Schicksal kein Einzelfall ist: Viele Afroamerikaner, da ist sie sich sicher, sitzen aufgrund ungerechter Prozessführung ein. Der Kampf um das Einzelschicksal ihres Ehemanns ist Teil ihres Einsatzes für die Menschenrechte.
Die Regisseurin Nele Dehnenkamp hat ihren Kampf und Alltag für ihr Dokumentarfilm-Debüt „For the Time Being“ über Jahre begleitet. Michelle Bastien-Archer gibt Auskunft über ihr Leben und ihre Wünsche – ihre Hoffnung, doch noch irgendwann ein normales Familienleben führen zu können. Bald steht der Auszug der Kinder bevor, und immer noch ist Jermaine eingesperrt. Aber dann taucht nach Jahren doch noch ein Beweisstück auf, das helfen könnte, seinen Fall neu aufzurollen. Und tatsächlich kommt in den Justizapparat nach Jahrzehnten endlich Bewegung.
Dehnenkamp ist eine detailreiche Skizze über das US-Justizsystem und seine Fallstricke gelungen, aber auch ein intensives Porträt der Widerstandskraft der Familie Archer. Das filmische Langzeitprojekt erstreckt sich über sagenhafte zehn Jahre. Freunde, Helfer und Prozessbeteiligte kommen zu Wort. Die Dokumentaristin nimmt ihre Rolle als Chronistin der Zeit sehr ernst. Begleitend zum Kinostart wird „For the Time Being“ in einzelnen Justizvollzugsanstalten in Deutschland zu sehen sein. Des Weiteren ist eine Kinotour mit der Regisseurin geplant.
Diese Kritik erschien zuerst am 17.04.2024 auf: links-bewegt.de