Zwei Stahlseile überspannen schnurgerade und parallel zueinander ein malerisches Bergtal irgendwo in Georgien. Geradezu magisch schweben die Gondeln in luftiger Höhe vor dem blauen Himmel. Dabei springt das Bild abwechselnd aus der Totalen in die Nahaufnahmen der schweren Mechanik aus Rädern und Seilwinden. Ein Akkordeon spielt traumverloren einen Walzer dazu und vermischt sich mit der dominanten Geräuschkulisse der Bahn. Auch wenn in Veit Helmers Film „Gondola“ eine fast ferne, vielleicht schon aus der Welt gefallene Realität in vielen Details präsent ist und leuchtet, erscheint sie doch zugleich verzaubert und idealisiert. Mit reduzierter Handlung, wenigen Hauptfiguren und ohne Dialoge erzeugt der Regisseur eine visuelle Poesie, deren Minimalismus und filmsprachliche Raffinesse an die Anfänge des Kinos anknüpft und zugleich ein Gefühl schwebender Leichtigkeit hervorruft.
Die Seilbahn als Mitspielerin, Mittelpunkt und erzählerisches Kraftzentrum des Films transportiert dabei förmlich die Geschichten zwischen Himmel und Erde. Das beginnt gleich mit der letzten Seilbahnreise eines verstorbenen Schaffners, dessen Sarg aus majestätischer Höhe nach einem letzten Gruß der bedächtig innehaltenden Dörfler in der Tiefe des Grabes versenkt wird. Sein schöne Tochter Iva (Mathilde Irrmann) tritt daraufhin und offensichtlich gegen den Willen der Mutter in seine Fußstapfen. Angelernt wird sie von der nicht minder hübschen Nino (Nino Soselia), die ihr zeigt, wie man Knöpfe und Hebel bedient. Bald verlieben sich die beiden jungen Frauen ineinander, misstrauisch und zunehmend eifersüchtig beäugt vom ausbeuterischen Stationsvorsteher (Zuka Papuashvili). Immer wenn sich die Gondeln auf halbem Weg begegnen, werfen sich die Frauen verliebte Blicke, Gesten und anderes zu. Mit musikalischen Einlagen, fantasievollen Gondelverzierungen und (mitunter missverständlichen) Botschaften verwandeln sie die Kabinen sukzessive in kreative Spiel- und Lebensräume.
Da werden Geschenke ausgetauscht, Granatäpfel geklaut, Lebensmittel und eine überschaubare Zahl von Passagieren transportiert sowie die jeweils geschlagenen Figuren eines Schachspiels, dessen Verlauf durch die Seilbahn getaktet wird, mit triumphaler Geste präsentiert; es wird gesteppt und gestrippt, bis der zornige Chef mit immer rabiateren Mitteln in das Liebestreiben eingreift.
Gegliedert und in Spannung gehalten wird das Geschehen, das mitunter wie eine Art Nummernrevue abläuft, durch die von der Seilbahnfahrt vorgegebenen raumzeitlichen Intervalle. Immer wenn die Gondeln zwischen Himmel und Erde aneinander vorbeifahren, macht die Handlung einen kleinen Sprung, werden neue Details und originelle Einfälle eingefügt. Das kulminiert schließlich in einem Kampf zwischen Gut und Böse und in einer romantischen Hochzeit unterm nächtlichen Sternenhimmel. Veit Helmers märchenhafter, mit liebevollem Blick gestalteter Film „Gondola“ entwirft mit bildhaften Symmetrien und einer spiegelbildlichen Nebenhandlung über die Freundschaft zweier Kinder eine Welt utopischer Schönheit, in der die Liebe siegt und dabei von einem wohlwollenden Zusammenhalt der Gemeinschaft getragen wird.