Quentin Tarantino

Das Blut in den Adern Amerikas
von Wolfgang Nierlin

Schon das bunte, wildwüchsige Album-Cover dieser schlicht „Quentin Tarantino“ (OT: „Quentin par Tarantino“) betitelten Graphic Novel, die der französische Comic-Zeichner Amazing Ameziane gestaltet hat, stimmt angemessen beziehungsreich auf die folgende biografische Bilder-Erzählung ein. Von einem Stapel Videokassetten, einem Godard-Filmplakat zu „Bande à part“, zahlreichen Fan-Artikeln, einem Baseballschläger, einem Kriminalroman bis hin zur Oscar-Trophäe sind hier verspielt und detailreich jene Elemente versammelt, die sich als Referenzen und Einflüsse durch das Leben und Werk des US-amerikanischen Filmregisseurs ziehen. Dieser liegt derweil in lässiger Gangsterpose, mit einer rauchenden Pistole bewaffnet, inmitten dieses schillernden Sammelsuriums, bevor er dann in der Exposition des fantasievoll und abwechslungsreich gezeichneten Bandes als selbstbewusster Barkeeper das Mixen eines Drinks mit seiner Arbeit als Filmemacher vergleicht. Nach seinen eigenen, imaginären Regeln erfülle er die verrücktesten Wünsche und erzeuge dabei eine Angstlust, der sich der Zuschauer im Vertrauen auf den Regisseur hingeben müsse.

Der zu Beginn der 1970er Jahre als Améziane Hammouche geborene Comic-Künstler integriert in seiner Comic-Biografie Tarantinos postmoderne Stilvielfalt, indem er dem Buch nacheinander den Look einer VHS-Videokassette, einer Comic-Serie, vor allem aber eines dokumentarischen Interviews gibt, in dem sich der Portraitierte mit sich selbst unterhält. Die Zeichnung wechselt dabei von kleinteiligen Panels, über markante talking heads bis hin zu Portraits in Plakatgröße, die dann eine ganze Seite dominieren. Sprunghafte Schnitte und Szenenwechsel erinnern an Filmtechniken und machen die packende Erzählung immer wieder überraschend. Neben Infos über Weggefährten und Statements von Kollegen erzählt mit ansteckender Begeisterung Tarantino selbst, indem er mit vielen Anekdoten, Insider-Wissen, aber auch mit gesellschaftspolitischen Streiflichtern auf seinen Black-Lives-Matter-Aktivismus und den Weinstein-Skandal mehr oder weniger chronologisch durch sein Werk führt. Dieses zu kennen, ist zwar nicht zwingend, scheint aber Voraussetzung zu sein. Zumindest Amazing Ameziane erweist sich als exzellenter Kenner des „tarantinoesken“ Universums.

Popkulturelle Einflüsse, autobiografische Bezüge und ein ausuferndes Filmwissen werden entsprechend am künstlerischen Werdegang des Regisseurs gespiegelt. 1963 als Sohn einer noch minderjährigen Krankenschwester geboren, von wechselnden Vätern erzogen und als schlechter, aber überdurchschnittlich intelligenter Schüler belächelt, wird der Junge hauptsächlich vom Kino, von Romanen und Comics sozialisiert. Mit 16 Jahren verlässt er die Schule, jobbt in einem Pornokino und ist Stammgast in den „Video Archives“. „Um erwachsen zu werden, muss man also alles über das Kino wissen“, sagt der junge Quentin, der seine Stoffe in den fiktiven Welten seiner Vorbilder finden wird, sie aber zugleich in der Realität verankert. Er nimmt Schauspielunterricht, schreibt wie besessen erste Drehbücher und feiert schließlich mit „Reservoir Dogs“ (1992) und „Pulp Fiction“ (1994) preisgekrönte Erfolge, die seinen Kultstatus befördern.

Er wolle „aus populärer Kunst anspruchsvolle Kunst erschaffen“ beziehungsweise, frei nach Picasso, „Gestohlenes verbessern“. Dabei wildert er mit Querverweisen auch in seinem eigenen Werk, das er – trotz zahlreicher neuer Ideen – als fanatischer Anhänger des analogen Films mit seinem bevorstehenden zehnten Kinofilm abschließen will. Seinen trashigen Grundsätzen, die sich nicht zuletzt in bizarren Gewaltfantasien austoben, will der nerdige Filmfreak aber treu bleiben: „Kino ist das Blut in den Adern Amerikas, und diese Blut findest du nur, wenn du die Adern öffnest.“

Amazing Ameziane: Quentin Tarantino • Aus dem Französischen von Christoph Haas • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 240 Seiten • Hardcover • 35,00 Euro

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