Joan Baez – I am a Noise

(USA 2023; Regie: Karen O'Connor, Miri Navasky, Maeve O'Boyle)

Heilungsprozess

Worte des kolumbianischen Schriftstellers Gabriel García Márquez stehen als Motto am Anfang des Films „Joan Baez – I am a Noise“: „Jeder hat drei Leben. Das öffentliche, das private und das geheime…“ In ihrem filmischen Portrait über die US-amerikanische Folksängerin und politische Aktivistin haben die Dokumentaristinnen Karen O’Connor, Miri Navasky und Maeve O’Boyle alle drei Aspekte in wechselnden Anteilen berücksichtigt. Trotzdem will ihr gemeinsamer Film „mehr eine Zeitreise als eine Biographie“ sein. Da Geschichte immer ein Konstrukt ist, das von persönlichen Erinnerungen gefärbt oder verzerrt wird, wie die Portraitierte selbst zu bedenken gibt, wirkt der Blick von außen für sie wie ein Korrektiv. Indem die Filmemacherinnen neben ausführlichen Gesprächen mit Joan Baez aber vor allem Dokumente aus deren umfangreichem Privatarchiv auswählen, was den Film sehr persönlich und intim macht, bleibt eine starke subjektive Note erhalten. Familienfilme und Fotos, Audio-Tapes von Therapiesitzungen und Reisen sowie Tagebuchnotizen, deren beigefügten Zeichnungen teilweise animiert werden, bilden dafür eine gewichtige und sprechende Grundlage.

In fließenden Übergängen ist diese biographische Erzählung verwoben mit Konzertaufnahmen von Joan Baez‘ Abschiedstournee aus dem Jahre 2019. Angesichts ihres Karriere-Endes reflektiert die berühmte Sängerin über ihr Leben als zunehmend weniger öffentliche Person, über das Alter und über ihre dunkler und rauer werdende Stimme, die sie unter Anleitung einer Gesangslehrerin trainiert. In ihrem großzügigen, von viel Grün und Bäumen umgebenen Anwesen im kalifornischen Woodside ertüchtigt die 80-Jährige aber auch ihre körperliche Fitness. Mit Blick auf ihr gewinnendes Wesen und ihre ruhige Ausgeglichenheit kann und mag man sich kaum vorstellen, dass die „Queen of Folk“ zeitlebens unter starken Stimmungsschwankungen, unter Ängsten und Panikattacken litt.

1941 als mittlere von drei Schwestern in einer Quäker-Familie geboren, die aus beruflichen Gründen des Vaters, eines Physikers, öfters umziehen musste, entwickelt Joan früh ein soziales Bewusstsein. Sie begegnet Armut, schärft den Blick für Ungleichheit und lernt den Wert der Freiheit kennen. Geradezu komentenhaft verläuft ihr Aufstieg als Folksängerin, die bereits mit 18 Jahren beim Newport Folk Festival reüssiert. Ihre erst glückliche („Er war alles für mich.“), dann unglückliche („Er hat mir das Herz gebrochen.“) Beziehung zum aufstrebenden und gleichaltrigen Bob Dylan bildet die markanteste von mehreren Affären, die immer wieder in Trennungen und Abstürzen münden. Sie sei nicht für Zweierbeziehungen geschaffen, sagt Baez einmal.

Ihre vitalisierende künstlerische Betätigung als Musikerin und ihr politisches Engagement, beispielsweise in der Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King, als Gegnerin des Vietnamkrieges und als Friedensaktivistin, sind für sie deshalb auch Rettungsanker in seelischen Krisen. Außerdem beginnt sie bereits früh mit einer viele Jahre andauernden Psychotherapie, aus der die Ahnung einer dunklen, von blinden Flecken besetzten Familiengeschichte aufsteigt und die zugleich einen Prozess der Heilung in Gang setzt.

Hier gibt es eine weitere Kritik zum Film.

Joan Baez – I am a Noise
USA 2023 - 113 min.
Regie: Karen O'Connor, Miri Navasky, Maeve O'Boyle - Produktion: Miri Navasky, Karen O'Connor - Bildgestaltung: Timothy Grucza, Wolfgang Held, Ben McCoy - Montage: Maeve O'Boyle - Musik: Sarah Lynch - Verleih: Alamode Film - FSK: ab 12 - Besetzung: -
Kinostart (D): 28.12.2023

DVD-Starttermin (D): 10.05.2024

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt26594061/
Foto: © Alamode Film