Es ist das Jahr 2015, Lehrer Khalil lebt schon lange in Deutschland. Mit seiner kurdischen Vergangenheit hat er abgeschlossen – oberflächlich. Eltern und Schwester sind vor langer Zeit im Krieg getötet worden. Doch nun, so scheint‘s, entpuppt sich dies als Irrtum. Die Familienmitglieder haben ihren Tod vorgetäuscht, um in den Kampf zurückzukehren und die türkische Armee zu täuschen. Zumindest seine Schwester sei am Leben, berichtet Khalils Bekannter Hamid, der in Diensten des Widerstandes steht. Sie soll Videoaktivistin sein. Wenn Khalil ihre Filmaufnahmen vom Einrücken der türkischen Armee in die Stadt Cizre, wo sie die vermeintlichen kurdischen Terroristen bekämpfen will, ins deutsche Fernsehen einschleust, kann er ein Wiedersehen arrangieren.
Khalils Partnerin ist die junge Journalistin Leyla. Sie arbeitet in einer Nachrichtenagentur und sucht ein Thema für ihren ersten eigenen, investigativen Beitrag. Warum nicht das Material aus Kurdistan von Übergriffen der Armee gegen die Zivilbevölkerung nutzen? Die Frage ist nicht rhetorisch, denn die Aufnahmen sind ein bisschen dröge und Kurdistan interessiert in Deutschland nicht wirklich. Daher legen die beiden eine neue Tonspur unter das Material. Das wirkt gleich ganz anders und der Krieg findet ja auch tatsächlich statt.
Tags drauf läuft das Video dann auch in der „Tagesschau“, ist die News des Tages. Und Khalil, der sich aus allem raushalten wollte, sieht sich plötzlich selbst als Teilnehmer eines Krieges, der sogar in seinem Klassenzimmer tobt. Kinder mit türkischem und kurdischem Background verprügeln sich bereits gegenseitig. Und überhaupt: Gibt es die Schwester wirklich oder war alles nur Täuschung?
Florian Hoffmanns Film „Stille Post“ handelt zwar zunächst von der Produktion von Sensationen in der Medienwelt und reflektiert so die Gesetze des TV-Marktes. Andererseits setzt er Videoaktivisten in jenen Kriegsgebieten ein Denkmal, in dem Vertreter etablierte Medien gar nicht mehr arbeiten können. Hoffmann verarbeitet in seinem Abschlussfilm für die Filmhochschule eigene Erlebnisse. Er selbst ist im betreffenden Zeitraum in Kurdistan gewesen, brachte Videomaterial mit, das auf wenig Interesse stieß. 79 Tage dauerte der Ausnahmezustand in Cizre. „Ich fand eine zerstörte Stadt vor und sprach mit traumatisierten Einwohnern. Zugleich sicherte ich die Videos, die die Bewohner von Cizre heimlich mit ihren Handys gedreht hatten und die Angriffe und Menschenrechtsverletzungen während der Ausgangssperre belegten“, sagt er.
Eine intelligente, wenn auch wenig gefällige filmische Reflexion über Menschen im Krieg und die Rolle der Medien. Der Film hat bereits viele Auszeichnungen bei verschiedenen Festivals gewonnen. Politisches Kino eines politischen Filmkünstlers, von dem sicher noch einiges zu sehen sein wird.
Diese Kritik erschien zuerst am 08.12.2022 auf: links-bewegt.de