Niki de Saint Phalle

(FR/BE 2024; Regie: Céline Sallette)

Kunst als therapeutische Waffe

Zu Beginn der 1950er Jahre arbeitet Niki de Saint Phalle (Charlotte Le Bon) als Fotomodell und Schauspielerin in Paris. In einer starren Einstellung zeigt die Kamera ihr unter Schminke begrabenes Gesicht. Anweisungen prasseln auf sie nieder. Zu Hause erwartet die junge Frau ein schreiendes Baby mit voller Windel. Bei den Proben zu Jean Cocteaus Drama „ Die Höllenmaschine“, in dem sie als Engel auftritt, wird sie zur Disziplin aufgefordert. Niki, die zusammen mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Harry Mathews (John Robinson), den konservativen Vereinigten Staaten den Rücken gekehrt hat, fühlt sich ausgeliefert und fremdbestimmt. Dann, bei einem Besuch im Louvre, wo sie der Anblick zunehmend lebendiger erscheinender Skulpturen in die Flucht treibt, kehren die Dämonen der Vergangenheit zurück. Die empfindsame 22-Jährige leidet unter Angstattacken und einem unbestimmten Bedrohungsgefühl. Sie ist suizidgefährdet und schutzbedürftig. „Ich weiß nicht, was ich habe“, sagt sie zu ihrem verständnisvoll reagierenden Mann. Kurz darauf unterzieht sie sich in Nizza widerwillig einer Elektroschocktherapie.

Céline Scallettes biographischer Film „Niki de Saint Phalle“ konzentriert sich zeitlich auf das Jahrzehnt, in dem die Porträtierte zur Künstlerin reift und ihre Berufung findet. Dabei wird ihr die Kunst sprichwörtlich zur Waffe, mit der sie ihre Traumata bekämpft und austreibt. Diese gründen in einem sexuellen Missbrauch durch ihren Vater, den das minderjährige Mädchen über Jahre hinweg erleiden musste. In Rückblenden und teilweise auf einem Splitscreen werden diese ebenso schmerzlichen wie bitteren und außerdem tabuisierten Erfahrungen vermittelt. Das erlebte Leid wird zu ihrem künstlerischen Antrieb. Als sie in der Psychiatrie nach einer kreativen Aufgabe förmlich hungert, beginnt sie damit, aus alter Pappe und Naturmaterialien Collagen anzufertigen. „Ich mache was Eigenes“, sagt sie beglückt. „Bei den Verrückten habe ich meine Berufung gefunden.“ Dabei geht es ihr vor allem um den schnellen Ausdruck ihrer unmittelbaren Gefühle. Wenn sie später für ihre sogenannten „Schießbilder“ tatsächlich zur Waffe greift, ist das der direkteste Weg von der Emotion zur Kunst.

„Die Kunst ist die neue Waffe der Welt. Wir sind die Terroristen“, behauptet der Schweizer Bildhauer Jean Tinguely, der über seine kinetische Kunst sagt, es seien „nutzlose Maschinen“, und den Niki de Saint Halle im Umfeld der Nouveaux Réalistes kennenlernt. Noch macht sie nicht, was sie eigentlich möchte. Sie verlässt ihren Mann und die beiden Kinder und fühlt sich doch immer wieder hilflos und allein. Trotzdem und gegen alle inneren und äußeren Widerstände findet die spätere Schöpferin der farbenfrohen „Nana“-Skulpturen schließlich ihren Weg aus der bedrückenden Enge zu einem freien künstlerischen Ausdruck. Céline Sallette widmet sich dafür konsequent und aus nächster Nähe ihrer starken, von Charlotte Le Bon bis in die Abgründe hinein leidenschaftlich verkörperten Heldin. Sie zeigt die Künstlerin bei der Arbeit und spart die Werke selbst absichtlich aus, um von einer elementaren Selbstfindung und Neugeburt zu erzählen, die sich der Kunst bedient und zugleich über sie hinausweist.

Niki de Saint Phalle
Frankreich/Belgien 2024 - 98 min.
Regie: Céline Sallette - Drehbuch: Céline Sallette, Samuel Doux - Produktion: Julien Deris, David Gauquié, Alexandre Mattiussi, Jean-Luc Ormières - Bildgestaltung: Victor Seguin - Montage: Clémence Diard - Musik: Jean-Baptiste de Laubier - Verleih: Neue Visionen - FSK: ab 12 - Besetzung: Charlotte Le Bon, John Robinson, Damien Bonnard, Judith Chemla, Alain Fromager
Kinostart (D): 20.03.2025

DVD-Starttermin (D): 21.08.2025

IMDB-Link: https://www.imdb.com/de/title/tt26656556/
Foto: © Neue Visionen