Mond

(AT 2024; Regie: Kurdwin Ayub)

Kampfsport und Emanzipation

Die zahlreichen Pokale auf dem Regalbrett der kleinen, etwas unordentlichen Wohnung deuten darauf hin, dass Sarah Reisinger (gespielt von der Theatermacherin und Choreografin Florentina Holzinger) eine erfolgreiche Kampfsportlerin in der Disziplin Mixed Martial Arts ist. Doch nach einer blutigen Niederlage, die Kurdwin Ayub als TV-Live-Übertragung an den Anfang ihres Films „Mond“ gestellt hat, beendet sie ihre 20-jährige Karriere – und stürzt in eine zunächst bodenlos erscheinende Leere. Als mäßig gefragte Trainerin hat sie es mit lustlosen, empfindlichen Kids zu tun; das Verhältnis zu ihrer ziemlich bürgerlich lebenden Schwester ist angespannt und konfliktgeladen; und ihre kiffende, eher unverbindliche Freundesclique bietet für den Single auch keinen Halt. Als sie nach einem Zoom-Gespräch einen Job als persönliche Trainerin bei einer reichen Familie in Jordanien ergattert, scheint sich für Sarah eine neue Perspektive mit der Hoffnung auf Veränderung zu eröffnen.

Der Blick aus dem 28. Stock eines Luxushotels über das Häusermeer von Amman geht insofern über eine noch unbestimmte, erst noch zu kartografierende Weite. Die lange Fahrt durch die Wüste zum herrschaftlichen Anwesen ihres zuvorkommend freundlichen Arbeitgebers erzeugt bei Sarah bereits eine erste Verunsicherung, mithin ein Unbehagen. Die Irritation nimmt noch zu, als sie bereits die erste, auf Stärke, Kraft und Körperhaltung ausgerichtete Übungsstunde mit den drei Schwestern Shaima, Nour und Fatima, die alle im Teenageralter sind, abbrechen muss. Die schweigsamen, hübschen Mädchen wirken lustlos, sind schnell frustriert und ziehen sich bald vor den Fernseher oder zum Schminken zurück. Hinter ihrer vordergründigen Langeweile machen sich Enttäuschung und eine traurige Perspektivlosigkeit bemerkbar. Offensichtlich werden die jungen Frauen entgegen dem Anschein kontrolliert, reglementiert und in ihrem luxuriösen Zuhause isoliert und eingesperrt. Ihr Leben korrespondiert wiederum auf paradoxe Weise mit der Leere und Einsamkeit, die Sarah bei ihrem Aufenthalt in der jordanischen Hauptstadt empfindet.

„Es geht um Schwestern, egal woher sie kommen, und um Käfige, egal wo sie stehen. Käfige, die man verlassen möchte und solche, in die man sich zurück wünscht“, hat die kurdisch-österreichische Regisseurin zur Thematik ihres spannenden Films erklärt. Dafür verwendet sie Elemente des Thrillergenres, mit denen sie eine undurchsichtige, mysteriöse Atmosphäre aus Angst und Misstrauen kreiert; und die sie immer wieder abrupt bricht, um dem Geschehen in mitunter arg zugespitzten Wendungen eine neue Richtung zu geben. Mit einem realistischen, durch Ellipsen strukturierten Erzählstil lenkt Kurdwin Ayub den Blick auf die nüchternen Tatsachen einer fremden, unbekannten Welt hinter dem schönen Schein. Dort entdeckt sie Gefängnisse, in denen Frauen drangsaliert und unterdrückt werden. Deren Wunsch nach Freiheit kollidiert jedoch mit dem Bild einer von Sarah verkörperten Unabhängigkeit, die weniger erfüllt ist, als es den Anschein hat; und die letztlich in einer ziellosen Leere mündet.

Mond
Österreich 2024 - 93 min.
Regie: Kurdwin Ayub - Drehbuch: Kurdwin Ayub - Produktion: Ulrich Seidl - Bildgestaltung: Klemens Hufnagl - Montage: Roland Stöttinger - Verleih: Grandfilm - Besetzung: Florentina Holzinger, Andria Tayeh, Celina Antwan, Nagham Abu Baker
Kinostart (D): 27.03.2025

DVD-Starttermin (D): 31.07.2025

IMDB-Link: https://www.imdb.com/de/title/tt29141179/
Foto: © Grandfilm