Das Metronom gibt in dieser filmischen Musiker-Biographie den Takt vor, und zwar mit einer ziemlich hohen Schlagzahl. Zweieinhalb Stunden lang hetzt der renommierte italienische Regisseur Giuseppe Tornatore in seinem ausschweifenden und zugleich pingelig detaillierten Dokumentarfilm „Ennio Morricone – Der Maestro“ durch das lange Leben, aber mehr noch durch das umfangreiche Werk seines Landsmannes und Freundes. Zwar präzise montiert, entsteht dabei eine hochtourige, chronologisch angelegte Schnipsel-Ästhetik aus „sprechenden Köpfen“, Konzertaufnahmen und einem Interview mit Morricone selbst. Alle möglichen Filmregisseure und Musiker verneigen sich in kurzen Statements mit viel Lob vor dem Portraitierten und setzen so den nahezu hagiographischen Rahmen für Tornatores überschwängliche Hommage. Er sei „rätselhaft“, „ernst“, „er selbst und zugleich ein anderer“ gewesen, heißt es da etwa. „Eine Legende“, „ein eigenartiger Mann“ und „eine Ausnahme“ befinden andere, um Morricones Besonderheit hervorzuheben. Und am Ende wird dem Geehrten gar ein Ewigkeitsstatus zugesprochen: „Der Gott der Musik spricht durch ihn.“
Dabei hat jenseits dieser Elogen und Überhöhungen für den eher zurückhaltenden und sehr emotionalen Ennio Morricone (1928-2020) die musikalische Karriere bescheiden angefangen. Vom Trompete spielenden Vater gezwungen, in dessen Fußstapfen zu treten, verdingt er sich zunächst als Unterhaltungsmusiker und Arrangeur von Schlagermusik, der er bereits seinen eigenwilligen Stempel aufdrückt. Denn dazwischen liegt ein Kompositionsstudium bei Gottfredo Petrassi und die Beschäftigung mit der zeitgenössischen Neuen Musik, der er u. a. 1958 während eines Aufenthaltes bei den Darmstädter Ferienkursen begegnet. Diese Spannweite und Spannung zwischen Tradition und Moderne kennzeichnet auch sein Werk und findet seine erste charakteristische Ausprägung in der sogenannten „Dollar-Trilogie“ seines früheren Schulkameraden Sergio Leone Mitte der 1960er-Jahre. Dessen ebenso eigenwilligen wie einflussreichen Italowestern prägt er nicht nur mit seiner melodischen Signatur, sondern auch durch seine Verwendung von Geräuschen, die so zu einem Stück der Musique concrète werden.
In seinen Scores zu Filmen von Elio Petri, Liliana Cavani und dem Giallo-Meister Dario Argento spitzt Morricone diese experimentelle Seite teils durch Improvisation noch zu. Daneben finden sich unter seinen über 500 Filmmusiken auch dezidiert orchestrale Werke, die in den Filmen von Bernardo Bertolucci („1900“), Gillo Pontecorvo („Schlacht um Algier“), Roland Joffé („Mission“) und Terrence Malick („In der Glut des Südens“) zu eigenen Erzählungen werden. Der sehr produktive „Erfinder der Filmmusik“ sagt dazu: „Filmmusik muss für sich allein stehen, wenn sie dem Film dienen soll.“ Erst spät wird diese Eigenständigkeit von den traditionellen Klassikkomponisten anerkannt und gewürdigt. Für Morricone, der auch über 100 Werke jenseits seiner Arbeit für Kino geschrieben hat, war das eine Genugtuung, denn er litt zeitlebens unter Minderwertigkeitskomplexen und Schuldgefühlen. Auch in Hollywood brauchte es lange, bevor man dem Avantgardisten erst den Ehrenoscar (2007) und im Jahr 2016 schließlich für den Score zu Quentin Tarantinos Film „The Hateful 8“ noch einen „regulären“ Oscar verlieh. Ennio Morricone, der beim Komponieren stets nach etwas Unbekanntem suchte, schrieb mit dieser Musik laut eigener Aussage übrigens seine „Rache am Western“; womit er einmal mehr seinen lebenslangen Konflikt zwischen den Genres und Sparten zum Ausdruck brachte.