Schwarz: Die dunkle Seite der Popkultur

Strahlende Dunkelheit
von Christian Kaiser

1968 ist kein gewöhnliches Jahr, sondern regelrecht eine Chiffre: Das gilt ein wenig auch im Bereich des Horrorfilms, in dem Roman Polanskis „Rosemaries Baby“ (USA 1968, Rosemary’s Baby), George A. Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ (USA 1968, Night of the Living Dead) und Michael Reeves’ „Der Hexenjäger“ (GB 1968, Witchfinder General) die Ära des modernen Horrorfilms endgültig einleiteten.

Genau hier beginnt Stigleggers Essayband „Schwarz – Die dunkle Seite der Popkultur“, der in seinem ersten Unterkapitel Polanskis Schilderung (nicht nur) des Satanismus im Alltag der damaligen Gegenwart, Romeros metaphorischen Zombie sowie Reeves’ Körperhorror vorstellt und erhellt. Zugleich geht es hier auch noch um Anton LaVey und die 1966 gegründete Church of Satan, hatte doch LaVey eine etwas skurrile Vorliebe für Polanskis Film; und schon hier führt dann ein Weg von LaVey zu Musikern wie Marilyn Manson, die später in dem Band größeren Raum einnehmen sollen. Mit Polanski – vielmehr: mit den berüchtigten Tate-Morden der Manson Family – endet dieses Unterkapitel dann wieder, indem es ebendiese Morde des Jahres 1969 wie auch die Tötung Meredith Hunters durch ein Hell’s-Angels-Mitglied während des Altamond Free Concerts desselben Jahres als Endpunkt des Traums vom Summer of Love, der Utopie der Hippie-Bewegung begreift.

Das damals verstärkt in die populäre Kultur gedrungene Schwarze ist Gegenstand aller folgenden Kapitel, die dabei Musik, Film, Mode und Politik in unterschiedlicher Gewichtung in den Blick nehmen. Stiglegger siedelt „Schwarz“ im Kontext von Veröffentlichungen wie Alain Badious „Black. The Brilliance of a Non-Color“ (2017) und (viel eher noch) Bret Easton Ellis’ „Weiß“ (2019) an, wobei ihn mit Ellis sicherlich das Interesse am Abgründigen und das insgeheime Plädoyer für eine differenziertere, weniger skandalisierende Rezeption vereinen, derweil ihn freilich der Verzicht auf Polemik wie auch auf die (nur im Vorwort und im abschließenden Dialog anzutreffende) explizit subjektive, autobiografisch gefärbte Perspektive von Ellis abhebt; Letzteres trennt ihn auch von Badiou, der das Schwarze zudem auf höchst unterschiedlichen Gebieten thematisiert, während sich Stiglegger bereits im Untertitel auf die Popkultur beschränkt. Inspiriert worden ist „Schwarz“ dabei auch von Eugene Thackers „Im Staub dieses Planeten“ (2011) und Mark Fishers „Das Seltsame und das Gespenstische“ (2017). War Thacker in seinem Band unter anderem der Frage nachgegangen, wofür das „Black“ in Black Metal stünde – um als Antwortmöglichkeiten Satanismus, Paganismus und einen „kosmischen Pessismismus“ als eine „Mystik der Welt-ohne-uns“ ins Auge zu fassen –, so hält sich Stiglegger an diese Deutungsmöglichkeiten des Schwarzen und greift etwa im Zusammenhang mit Dark-Ambient-Klängen und Black Drones ganz explizit auf Thackers „kosmischen Pessismismus“ zurück, derweil er selbst im Zusammenhang mit Black- (sowie Trash- und Death-)Metal vor allem davon untermalte Coming-of-Age-Filme in den Blick nimmt, in denen Metal jeweils als Passageritus fungiere.

Drei große Oberkapitel strukturieren „Schwarz“: In „Schwarze Popkultur: (Ok)kultur, Film und Musik“ führt der Weg eben vom Geburtsjahr des modernen Horrorfilms über eine Skizzierung des Gothic Rocks – von The Doors bis zur zwischen Mythos und Mystik verorteten Band Fields of the Nephilim – sowie über Metal als Passageritus bis hin zu den Black Drones als Ausdruck des „kosmischen Pessismismus’“.

In „Schwarze Mode: Fetisch, Eleganz und Begehren“ dreht sich zunächst alles um Maskulinität, Fetische und die Problematik einer „Sexualität zum Tode“ zwischen den (homo)erotischen Undergroundfilmen Jean Genets und Kenneth Angers, William Friedkins „Cruising“ (USA 1980), R. W. Fassbinders „Querelle“ (D/F 1982) und schwulen Hardcorefilmen. Provokationen mittels NS-Symbolen und -Stilen in „schwarzromantischen Subkulturen“, etwa bei Marilyn Manson, Nachtmahr oder Laibach, werden anschließend zwischen scheinbarer Verklärung einerseits und Enthistorisierung und -politisierung in Performances mit aufklärerischem Potential andererseits verortet, ehe einige prägnante Beobachtungen zur mehrfachcodierten Under-Cut-Frisur das zweite Oberkapitel abschließen.

In „Schwarze Flaggen: Politik, Pop und Terrorismus“ blickt Stiglegger dann zunächst auf Basis seines eigenen „Nazi-Chic und Nazi-Trash“ (2011) sowie Klaus Theweleits „Männerphantasien“ (1977/1978) auf die Faschisten und ihre Männerkörper(bilder) sowie die faschistischen Körperpanzer in jüngeren Spielfilmen mit Neonazi-Thematik. Anschließend kehrt er nochmals zur Band Laibach zurück, um diesmal aber die Neue Slowenische Kunst selbst mit ihren Provokationen ins Zentrum zu rücken. Dabei ist, wie schon in den meisten vorangegangenen Kapiteln, stets eine Nähe zu Stigleggers eigener Seduktionstheorie wahrzunehmen, welche als Entfaltung der seduktiven Möglichkeiten und Mittel des Films auf formaler, narrativer oder auch ethischer Ebene (also: Performanz, Mythologie, Ambivalenzerfahrung) begriffen werden kann.

Das Eindringen einer „populären Ästhetik“ in die Propagandavideos des IS schließt dann – als letztes und wohl herausforderndstes Unterkapitel des Bandes – das dritte Oberkapitel ab: herausfordernd deshalb, weil die theoretische Beschäftigung mit der medialen Vermittlung realer, teils ausgesprochen drastischer Hinrichtungen ein Gefühl der Unbehaglichkeit auszulösen vermag, was ja schon vor Jahrzehnten Georges Batailles Ausführungen zu Fotografien der Lingchi-Folter erkennen ließen.

Abschließend rundet noch ein Gespräch mit dem Kulturkritiker Christian Fuchs den Band ab, welches zunächst ausgehend von Fuchs’ Band „Kino Killer. Mörder im Film“ (1997) das Abgründige am Beispiel von Serienkiller-Filmen und -Serien in den Blick nimmt, ehe es über die Manson Family und die Tate-Mprde wieder ins Jahr 1969 und zum Altamond Free Concert gelangt, um sodann die populäre Musik seit den 70er-Jahren zu thematisieren, wobei Fuchs (Black Palms Orchestra) wie Stiglegger (Vortex) auch über ihr eigenes musikalisches Schaffen sprechen.

In den jeweiligen Texten ist die film- und kulturwissenschaftliche wie ethnologische Perspektive stets zu bemerken, aber trotz vielfacher Bezugnahme auf Ernst Cassirer, Mircea Eliade, Sigmund Freud, Claude Lévi-Strauss, Klaus Theweleit, Slavoj Zizek und viele andere bleibt „Schwarz“ mit seinem essayistischen Tonfall jederzeit auch für interessierte Laien verständlich. Eine (vielfach farbige) Bebilderung lockert den Band noch zusätzlich auf.

Schwarz – Die dunkle Seite der Popkultur
Marcus Stiglegger, Martin Schmitz Verlag, 204 Seiten, 18 €

Foto: © Martin Schmitz Verlag