Langsam bewegt sich die Kamera in subjektiver Perspektive durch helle, aseptisch wirkende Gänge, die sich labyrinthisch verzweigen und winden. Die zahlreichen Türen, die sie passiert und die einander gegenüber liegen, sind verschlossen. Was hinter ihnen liegt, bleibt verborgen. Die kalten, abweisenden Flächen, die einen sterilen Einheitston erzeugen, wecken Assoziationen an Krankenhäuser, die wie Gefängnisse sind. Tatsächlich handelt es sich um die Klinik Le Vinatier, eine psychiatrische Anstalt in Bron unweit von Lyon. Der renommierte französische Fotograf und Filmemacher Raymond Depardon erhielt die Ausnahmegenehmigung, dort zu drehen. Sein dabei entstandener Film „12 Tage“ dokumentiert allerdings nicht den Klinikalltag. Zwar erforscht er in klar strukturierten Sequenzen immer wieder die tristen Aspekte dieses Ortes, doch im Zentrum seines Interesses steht die Beobachtung der praktischen Umsetzung eines neuen Gesetzes.
Seit dem 27. September 2013 besagt dieses, dass zwangseingewiesene Psychiatriepatienten in der titelgebenden Frist von zwölf Tagen von einem Richter angehört werden müssen. Die Justiz wird damit zur – zumindest formalen – Kontrollinstanz ärztlicher Entscheidungen. Immerhin sind in Frankreich jährlich über 90.000 Menschen von einer solchen Zwangseinweisung und dem sich daran anschließenden Prozedere betroffen. Richter, Patient und Anwalt, die jeweils und wechselweise auch weiblich sind, treffen sich zur kurzen Verhandlung der Fälle in einem der Klinik integrierten Raum. Was sofort auffällt, ist ein gewisses Ungleichgewicht zwischen den Parteien. Die verletzt und apathisch wirkenden Patienten sind den Entscheidern und ihrer Bürokratie mehr oder weniger hilflos und ohne echten Beistand ausgeliefert. Zwar wird dem Gesetz Genüge getan, doch in allen gezeigten Fällen folgen die Richter den psychiatrischen Gutachten.
„12 Tage“ ist ein Zitat des französischen Philosophen Michel Foucault vorangestellt: „Der Weg vom Menschen zum wahren Menschen führt über den Wahnsinnigen.“ Tatsächlich liegt zwischen sogenannter Normalität und psychischer Abweichung oftmals nur ein schmaler Grat: Eine Frau mittleren Alters hat an ihrem Arbeitsplatz in einem Callcenter einen Nervenzusammenbruch erlitten; eine andere, jüngere, hat versucht, sich umzubringen, nachdem sie mehrfach vergewaltigt worden war; eine dritte schließlich, die sagt, sie habe in ihrem Leben bislang nur Schmerz und Einsamkeit erfahren, möchte lieber sterben als behandelt zu werden. Es sind erschütternde Zeugnisse trauriger Existenzen, die hier zwischen Macht und Ohnmacht, Schmerz und Hoffnung verhandelt werden. Sachlich und konzentriert dokumentiert Depardon diese Anhörungen, die sich zu Geschichten verwundeter Leben verdichten. In ihnen zeigt sich das Bild des nackten Menschen.
Hier findet sich eine weitere Kritik zu „12 Tage“.