Black Box

(D 2023; Regie: Aslı Özge)

Unsicherheit macht paranoid

In Berlin zu Zeiten der Gentrifizierung: Im Hinterhof eines leicht maroden Mietshauses gehen unheimliche Dinge vor sich. Nicht nur, dass der Haupteigentümer einen Container samt Architekten in den Hinterhof platziert hat, der über das „Bauprojekt“ informiert, nein, nun kommt auch noch die Polizei. Die Straße wird abgesperrt, die Anwohner werden in ihre Wohnungen verwiesen. Einen Grund dafür erfährt man – erst mal und eine ganze Weile danach – nicht. Wer ein dringendes Vorstellungsgespräch hat, guckt heute in die Röhre – so etwas geht doch längst auch am Computer, war bei Corona auch so, rät der Hauptkommissar. Es soll Hinweise auf terroristische Aktivitäten geben. Von wem, das bleibt in diesem Film wie so vieles unklar. Nicht umsonst heißt Aslı Özges Mietshauspsychogramm „Black Box“ – es kommt nichts raus und nichts rein.

Der Reihe nach werden die Bewohner mit ihren Problemen und Sichtweisen vorgestellt. Wenn man das Haus nicht verlassen kann, beschäftigt man sich schon mal mit dem Nachbarn. Warum fährt die da ein Auto, das ihr nicht gehört? Warum hat der Typ oben rechts keinen Namen auf dem Klingelschild stehen? Du bist doch mit mir verheiratet, warum sagst du mir erst jetzt, dass du unsere Kohle an der Börse verzockt hast? Mit der Zeit nehmen die Ängste überhand: Immer noch weiß niemand genaues, weiter geht es auch nicht mit irgendwas und über allem kreist unablässig der Helikopter…

Regisseurin Özge lässt ihren erfahrenen Cast – u. a. Christian Berkel und Anne Ratte Polle – schön paranoid frei drehen. In „Black Box“ reflektieren sie über die Dinge, die die letzten Jahre durchaus an der Tagesordnung waren. Von Seuchenpolitik über Wohnungsverlust bis zu bürgerkriegsähnlicher Kneipenräumung reicht das Spektrum locker. Es dauert nicht lang, dann tendieren die ersten zu radikalen Einschätzungen und Lösungen der Situation. Allen gemein ist: Sie fürchten sich, weil sich ihr Umfeld ungewohnt verändert hat.

Mit der Zunahme von Unsicherheit würden unsere Gesellschaften immer verängstigter, sagt Özge. Dies führt zu einer zunehmenden Polarisierung und zu einem erstarkenden Nationalismus. „Im Gegensatz zu dem, was uns die Regierungen weismachen wollen, kommt die Gefahr in diesem Film, genau wie im wirklichen Leben, vielleicht nicht von außen, sondern von innen, von uns selbst.“ Ob das stimmt, kann jetzt gern im Kino überprüft werden.

Diese Kritik erschien zuerst am 10.08.2023 auf: links-bewegt.de

Black Box
Deutschland 2023 - 120 min.
Regie: Aslı Özge - Drehbuch: Aslı Özge - Produktion: Michael Souvignier, Till Derenbach, Daniel Mann - Bildgestaltung: Emre Erkem - Montage: Patricia Rommel - Verleih: Port au Prince - FSK: ab 12 - Besetzung: Luise Heyer, Felix Kramer, Christian Berkel, Timur Magomedgadzhiev, Manal Issa, André Szymanski, Sascha Alexander Geršak, Jonathan Berlin, Anne Ratte-Polle
Kinostart (D): 10.08.2023

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt17055924/
Foto: © Port au Prince