Barbie

(USA/GB 2023; Regie: Greta Gerwig)

Riss in der Kontinuität

In der Exposition von Greta Gerwigs Film „Barbie“ dient die Referenz an die berühmte „Dawn of Man“-Sequenz aus Stanley Kubricks Science-Fiction-Klassiker „2001: Odyssee im Weltraum“ für einen ungewöhnlichen Zeit- und Quantensprung: Aus der gewöhnlichen Handpuppe, mit der Mädchen von jeher ihre spätere Mutterrolle einüben, wird der in Rosa strahlende Mädchentraum Barbie, ein verkaufsträchtiges Hochglanzprodukt mit übertriebenen weiblichen Körpermaßen und angeblich feministischer Botschaft; und aus der Steinwüste einer grauen Vorzeit ersteht das bunt glitzernde „Barbieland“ als Repräsentation einer idealen Frauenwelt, deren Perfektion natürlich ebenso utopisch wie verlogen ist. Die Projektionsfläche für die traumhafte Erfüllung des Unerfüllbaren besteht folgerichtig aus kitschigen Farben und runden Formen ohne räumliche Tiefe: ein fast mechanisches Räderwerk aus Plastik, Sperrholz und Pappe, das jedem Ding und jeder Puppe einen idealen Platz zuweist. Wo sich nichts verändert, ist alles ebenso heil wie steril.

Sorglos und selbstbewusst, unabhängig und befreit von der Mutterrolle bewegt sich die unablässig lächelnde Barbie durch dieses paradiesische Universum aus Traumhäusern und sonnigen Stränden in der ewig gleichen Abfolge perfekter Tage. „Frauen können alles sein“, sagt Barbie (Margot Robbie) mit feministischer Stoßrichtung. Doch tatsächlich ist ihre Welt unter der Konsumhülle leer, und Leben wird hier nur simuliert. Dazu passt auch die strikte Geschlechtertrennung, denn Begehren und Sex sind in diesem aseptischen Vakuum nicht vorgesehen. Die Männer sind nurmehr Schmachtende, vollständig abhängig von der Gunst der Angebeteten. „Ich existiere nur in der Wärme deines Blickes“, formuliert einmal Ken (Ryan Gosling) überaus poetisch mit Bezug auf sein aussichtsloses Schicksal gegenüber Barbie. Doch dann kommt es plötzlich zu einem „Riss in der Kontinuität“. Weil Barbie an Tod und Vergänglichkeit denkt, erfährt sie Irritationen, körperliche Veränderungen und Fehlfunktionen. Die Schönheit von „Barbieland“ ist nicht mehr makellos; und um den „Riss in der Membran“ zu reparieren, reisen Barbie und Ken auf der Suche nach der Ursache in die „reale Welt“.

© Warner Bros. Pictures

Greta Gerwig inszeniert diese Passagen, in denen gegensätzliche Welten, Lebensmodelle und Geschlechterrollen aufeinanderprallen, als Cultur-Clash-Komödie mit philosophischen Untertönen, geistreichen Dialogen, augenzwinkernden Zitaten und vielen witzigen Details. Daneben blickt sie selbstironisch auf die eigene Filmproduktion, die in Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Spielzeughersteller Mattel entstand, und nimmt einen Teil des Rummels, der darauf folgte, gewissermaßen selbstreferentiell vorweg. Das verleiht dieser vielschichtigen und poppigen Realverfilmung der ideologisch aufgeladenen Spielzeugpuppenwelt, angesiedelt zwischen divergierenden Lebensanschauungen, einem ewigen, vielfach gebrochenen Geschlechterkampf und Anspielungen auf aktuelle Krisen, geradezu postmoderne Züge. Zwar erscheint der teils komplizierte Plot mit seinem konfliktreichen und permanentem Hin und Her etwas überfrachtet, doch Tanz und Gesangseinlagen, die nicht zuletzt an die farbigen Musicals von Jacques Demy erinnern, gleichen das wieder aus.

Während die „stereotypische Barbie“ in der echten Welt schließlich ihre notwendige Verletzlichkeit und das Leben als einen Prozess der Veränderung entdeckt, erwacht in Ken der Macho-Mann, der nach seiner Rückkehr nach „Barbieland“ dieses in ein patriarchalisches Kendom-Land transformiert. Das provoziert wiederum einen Geschlechterkrieg mit Kompromissen und einem ewig ungewissen Ausgang. Dass es dabei nicht nur um weibliche Emanzipation, sondern auch um die Identitätskrise des Mannes geht, stimmt zumindest tröstlich. Dass die Welt der Puppen letztlich nur ein defizitäres Modell für das echte Leben sein kann, mag als selbstverständlich erscheinen. Der schwierige Übertritt ins Unperfekte des Veränderlichen ist es weit weniger.

Barbie
USA, Großbritannien 2023 - 114 min.
Regie: Greta Gerwig - Drehbuch: Greta Gerwig, Noah Baumbach - Produktion: Margot Robbie, Tom Ackerley, Robbie Brenner, David Heyman, Josey McNamara, Ynon Kreiz - Bildgestaltung: Rodrigo Prieto - Montage: Nick Houy - Musik: Alexandre Desplat - Verleih: Warner Bros. Pictures - FSK: ab 6 - Besetzung: Margot Robbie, Ryan Gosling, Ariana Greenblatt, Will Ferrell, Helen Mirren, John Cena
Kinostart (D): 20.07.2023

DVD-Starttermin (D): 19.10.2023

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt1517268/
Foto: © Warner Bros. Pictures