Ar Condicionado

(AO 2020; Regie: Fradique)

Kritische Klimaanlagenkrise

Das Leben in der angolanischen Hauptstadt Luanda ist gefährlich: Allerorts lösen sich Klimaanlagen von den Wänden und stürzen mit lebensbedrohlicher Wucht zu Boden. Hinter der Fassade dieser verschrobenen und etwas surrealen Prämisse, zeichnen sich in dem Film „Ar Condicionado“ jedoch eine ganze Reihe sozio-politischer Hintergründe ab. Dass es hier nicht wirklich um Belüftungsanlagen geht, wird spätestens bei der Trauerfeier um solch eine Anlage klar. Sie bieten eher den Anstoß zu einer kurzen Wanderung durch die angolanische Gesellschaft.

Zunächst bekommt die rätselhafte Klimaanlagenkrise durch ihre konstante Thema- und Mediatisierung im Radio eine politische Dimension: Der Regierung wird Handlungsunfähigkeit unterstellt, Rücktrittsforderungen werden laut, die Sozialwohnungspolitik soll reformiert werden. Gleichzeitig wird über einen Sabotageakt gemutmaßt, der Angola von chinesischen Ventilatoren abhängig machen soll. Darin kann man einen kritischen Kommentar auf die bilateralen Beziehungen beider Länder vermuten, schließlich ist Angola Chinas zweitgrößter Geschäftspartner in Afrika. Neben Import-Export-Handel festigt China (wie vielerorts auf dem Kontinent) durch die Vergabe von Krediten und massiven Investitionen in Infrastruktur und Handelsrouten gegenwärtig seinen Einfluss in der Region.

Während das Radio also den makropolitischen Hintergrund auf Tonebene wiedergibt, tauchen die Filmbilder in den lokalen Kontext der Großstadt ein. Wir begleiten Matacedo (José Kiteculo), der eine Stelle zwischen Wachmann und Hauswart innezuhaben scheint, bei seinem Arbeitsalltag in einer Betonsiedlung. Zusammen mit der Hausangestellten Zézinha (Filomena Manuel) soll er sich für ihren gemeinsamen Chef (der nie müde wird, seinen sozialen Status zu betonen) um die Reparatur von dessen Klimaanlage kümmern. Hier deutet sich ein soziales Gefälle an, bei dem kühle Luft nur jenen gebührt, die sich eine funktionierende Anlage (oder noch besser: ein klimatisiertes Auto) leisten können. Nimmt man den portugiesischen Titel wortwörtlich, ‚konditionierte Luft‘, werden Kontrollmechanismen angedeutet, denen sogar das Lebensnotwendigste unterliegt. Dabei wird die Kontrolle von jenen ausgeübt, die über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügen.

Da der Einbruch des Außergewöhnlichen, Absurden oder Übernatürlichen im Kino auch immer für die Auflehnung gegen einen repressiven Status Quo steht, kann der plötzliche Freitod des Statussymbols Klimaanlage also auch als Gleichstellungsgeste verstanden werden, mit der sich alle gleichermaßen einer erdrückenden Hitzewelle ausgesetzt sehen. Somit wird der Temperaturanstieg in sozialen Brennpunkten auch in den oberen Etagen der Gesellschaft spürbar.

Angesichts der Hitze scheint alles in eine dichte, schwerwiegende Atmosphäre gehüllt, die sich auf den Film selbst überträgt. Dieser schreitet im Tempo von Matacedos ruhigem Gang durch die heruntergekommenen Siedlungen voran. Die Kamera folgt dessen Silhouette auf Schritt und Tritt, während sich die urbane Landschaft Luandas offenbart und er uns durch ihre verwinkelten Ecken geleitet. Die warmen Farben der dunklen Lichter nehmen die drückende Hitze auf. Sie erzwingt eine Entschleunigung, die in wiederkehrenden Zeitlupen explizit wird. Auch der treibende Soundtrack trägt das Publikum mit bedächtigem Rhythmus durch den Film, bevor der Klimaanlagenregen auch in diese Tonebene über den Rapgesang eines Anwohners einfließt.

Matacedo seinerseits braucht nur bedingt Worte, um sich zu verständigen. Eine Kriegsverletzung beeinträchtigt sein Gehör. Was ihn nicht daran hindert, sich mit verschiedenen Anwohnerinnen und Anwohnern in stummen Blickwechseln beredt auszutauschen. Sein Background als Soldat im Dschungel bleibt wie vieles im Film nur angedeutet. Auf dem Weg zurück in den Großstadtdschungel scheint in ihm etwas verlorengegangen zu sein. Durch dessen Straßen und Wohnkomplexe schlendert er nun, bis er in das Elektrogeschäft des einsiedlerischen Herrn Minos (David Caracol) findet. Ohne das Mysterium um die fallenden Luftkühlanlagen je gänzlich zu lüften, erkennt Herr Mino in ihnen die verborgene Funktion, Erinnerungen in Form von Bildern aufzuzeichnen. Dem entgegnet Zézinha, wie denn in einer Nachbarschaft, in der sich niemand eine Klimaanlage leisten kann, Erinnerungen erhalten bleiben sollen. Darin offenbart sich die selbstauferlegte Aufgabe von „Ar Condicionado“: dieser Leerstelle entgegenzuwirken und das Leben innerhalb eines realen Wohnviertels in Luanda festzuhalten. Vor Ort gedreht, nimmt der Film demnach trotz seiner surrealen Elemente eine Beobachterposition ein. Bereits der Vorspann setzt sich aus Schwarzweißfotografien zusammen, die nicht nur in das städtische Umfeld einführen, sondern dessen Bewohner*innen dokumentieren. Sei es bei einem mit Kronkorken improvisierten Damespiel oder bei einem Streit darum, wer für 20 Cent mit Matacedo eine Klimaanlage tragen darf, bilden Alltagssituationen im Laufe des Films ebenfalls Momentaufnahmen des Milieus. Beim Abspann sind es schließlich Videoaufzeichnung auf einem Röhrenfernseher, die den dokumentarischen Rahmen betonen.

„Ar Condicionado“ war ein thematisch passender Höhepunkt des diesjährigen Afrikamera Festivals, das unter dem Motto „Urban Africa, Urban Movies: Politics & Revolution“ gänzlich online stattfinden musste. Neben Filmen afrikanischen Ursprungs, die in diesem Jahr in der internationalen Festivalszene vertreten waren, liefen im Programm auch gänzlich lokale Produktionen wie der nigerianische „The Ghost and the House of Truth“ (NG 2019; R: Akin Omotoso). „Ar Condicionado“ seinerseits wurde von der angolanischen Produktionsfirma Geração 80, zu der auch sein Regisseur Fradique gehört, mit Unterstützung des Filmfestivals Rotterdam produziert. Nachdem der Film Anfang des Jahres dort noch gezeigt wurde, stellte er im Sommer Rotterdams Beitrag zum We Are One: A Global Film Festival auf YouTube dar. So werden die Wenigsten die eindrücklichen Bilder aus „Ar Condicionado“ im Kino erlebt haben, trotz der dort einwandfrei funktionierenden Belüftungssysteme. Angesichts der heißen Luft, die sich in unserer Gesellschaft in den letzten Wochen und Monaten angestaut hat, kann man nur auf ein baldiges Entlüften hoffen, das die Kinoerfahrung wieder ermöglicht.

Ar Condicionado
Angola 2020 - 72 min.
Regie: Fradique - Drehbuch: Ery Claver, Fradique - Produktion: Jorge Cohen, Prudênciana Hach - Bildgestaltung: Ery Claver - Montage: Zeno Monyak - Musik: Aline Frazão - Verleih: N/A - FSK: ohne Angaben - Besetzung: José Kiteculo, Filomena Manuel, David Caracol, Tito Spyck
IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt10389922/
Foto: © Fradique / Afrikamera 2020