All Inclusive

(CH 2018; Regie: Corina Schwingruber Ilić)

Die schönsten Wochen des Jahres

Am Ende der Saison 2016 hatten nach Darstellung der Stadtverwaltung circa 790.000 Touristen von 530 Kreuzfahrten Dubrovnik besucht. 2017 spülten die Luxusliner zu Hochzeiten bis zu 10.000 Menschen pro Tag in die Kleinstadt an der Adria, die selbst nur etwa 43.000 Einwohner zählt. Und allein bis Mitte Juli 2019 sind es nach Angaben des kroatischen Ministeriums für Tourismus bereits knapp 700.000 Besucher gewesen – 20 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2018. Die Zahlen sind so irreal wie die haushohen Kreuzfahrtschiffe, die sich losgelösten Eisschollen gleich den Städten nähern, sie lautlos platt zu walzen drohen und schließlich doch Halt machen, um wie Raumschiffe im Orbit vor ihren Zielen zu schweben. Und vielleicht sind die etwa 300 Kreuzfahrtschiffe, die bis Anfang 2020 im Akkord die Weltmeere bereisten, genau deshalb so beliebt: fernab der Realität kann man nur mitten auf dem Ozean noch wirklich sein. Wie das Urlaubsbild auf Instagram die Realität der Sehenswürdigkeiten als Orte des Massentourismus supprimiert, schafft die Kreuzschifffahrt selbst bei Landgängen keine Berührungspunkte mit der Wirklichkeit mehr. An Bord wird die Landessprache gesprochen und gegessen, was man von zu Hause kennt. Sicher vor den Problemen und Bösartigkeiten der Welt ist alles in diesem Kokon-Urlaub einer „traumhaften“ Künstlichkeit untergeordnet, in der man von einem Museum zum nächsten schippert.

All inclusive ist in den vergangenen Jahren aus diesem Grund zum geflügelten Wort der Tourismusbranche geworden: Es beinhaltet das Versprechen sich um nichts kümmern zu müssen, weil vorab bereits alle monetären Unannehmlichkeiten aus der Welt geschafft und die permanente Aufforderung zum Konsum in den Urlaub geschickt wurden. Doch alles zu erwarten und alles zu bekommen bedeutet nicht nur Teil einer unbeschränkten Steigerungslogik zu sein, sondern zuvorderst einer lieblosen Dienstleistung auf den Leim zu gehen. Versprochen wird das singuläre Erlebnis, geliefert wird Uniformität in einer Minimalerfahrung dessen, was reisen sein kann. Die Kunst der Massenabfertigung liegt nun genau darin, sie als solche nicht in Erscheinung treten zu lassen. Entlang dieses schmalen Grats operiert Corina Schwingruber Ilić mit ihrem Dokumentarkurzfilm „All inclusive“.

In eisblauen, aseptischen Bildern fängt die Schweizer Filmemacherin ein, was an Bord eines Kreuzfahrschiffes den lieben langen Tag geschieht: Cocktails im Pool schlürfen, in der Wasserrutsche steckenbleiben, auf der Sonnenliege einschlafen, romantische Fotos bei Sonnenuntergang vom Bordfotografen schießen lassen, eine Polonaise durch das knackevolle Bordrestaurant, die Nachtschicht auf dem Laufband im Fitnessstudio, Party mit Konfetti, Fressen ohne Ende. Mit jeder neuen Einstellung offenbart sich eine weitere Facette dieses stählernen Urlaubsmikrokosmos auf hoher See, dessen grundlegendes Anliegen zu sein scheint, in einer blitzblanken Umgebung durch vielfältigste Angebote keine Gelegenheit für den Gedanken zu bieten, dass die Erlebnisse aller Anwesenden identisch sind und auf einem System perfekten ineinander greifender, unsichtbarer und unterbezahlter Zahnräder fußt. Dementsprechend bietet die Montage des Filmes in ihrem steten Rhythmus neue Szenerien immer genau dann an, wenn die Mischung aus ungläubigem Staunen und Faszination abzuebben droht. Wie die Attraktionen auf den Schiffen selbst stehen die Einstellungen, die jeweils auch eine Szene abbilden nebeneinander und provozieren in den immer gleichen Einstellungsgrößen und ähnlichen -längen über die Zeit hinweg das unangenehme Gefühl unterschwelliger Monotonie.

Das vielleicht präziseste Bild in diesem Zusammenhang zeigt das obligatorische Get Together mit dem Kapitän beim Captain‘s Dinner: jeder*m Passagier*in wird wie an einem Fließband die Hand geschüttelt – aber erst, nachdem diese auch desinfiziert wurde. Und wie es sich gehört wird das Desinfektionsmittel diskret von einem der unzähligen Arbeiter*innen aus einem Niedriglohnland gereicht, die aus dem Hintergrund heraus für die reibungslose Dauerbespaßung der Gäste sorgen und in den Bilder des Filmes ein ums andere Mal leise am Rand in Erscheinung treten. Auf engstem Raum und in kürzester Zeit erfasst „All Inclusive“ so die Probleme des Massentourismus prägnant, ohne dass dafür auch nur ein einziges Wort fallen müsste. Im Sounddesign wird die Künstlichkeit des Gezeigten manchmal zu sehr auf die Spitze getrieben, wenn die Musik besonders dämlich vor sich hin dudelt und Gesprächsfetzen wie versehentlich in den Vordergrund gemischtes Gebrabbel einer Statistenmenge klingt. Darin liegt ein nicht mehr ganz so zarter Sarkasmus, der unnötig überhöht, was der Überhöhung gar nicht bedarf.

Dass es in „All inclusive“ an keiner Stelle Individuen zu sehen gibt, sondern der Mensch anonyme Masse bleibt, ist nicht nur Teil der Strategie, niemanden bloßzustellen und zugleich den Zuschauer*innen zu ermöglichen, für einen Moment ebenfalls Teil dieser Kreuzfahrer*innengemeinschaft zu werden. Aus der Distanz gibt sich vielmehr eine Infantilisierung durch Übertragung von Verantwortung nach und nach zu erkennen: Wie in der Altersresidenz werden die Gäste den Tag über umsorgt ohne sich je um etwas kümmern zu müssen. Dass von den Schiffen bereits einige Routen nicht mehr befahren werden, weil die Gefahr besteht auf Flüchtlingsboote zu treffen, verdeutlicht einmal mehr, wie eng befreundet der Wunsch nach Entdeckung der Welt durch Reisen und das gleichzeitige Ausblenden der Realität und der Verantwortung für diese im Massentourismus sind. Bereits 2004 hat der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace in „Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich“ sehr vortrefflich eine Kreuzfahrt beschrieben, auf der genau solche Passagiere dann fragen, ob die Crew mit an Bord schläft, man beim Schnorcheln nass werden oder wann das Mitternachtsbuffet eröffnet wird. Und der nächste Trend dreht bereits richtig auf: Individualreisen im luxuriösen Wohnmobil. Nach all der Hochseedekadenz will der Mensch in den schönsten Wochen des Jahres jetzt in den eigenen vier Wänden wieder zurück zur Natur. Genug ist eben genug. Die europäische Caravaningindustrie zeichnet 2019 mit über 210.000 Neuzulassungen als das zweiterfolgreichste ihrer Geschichte aus. Auf nach Dubrovnik!

All Inclusive
Schweiz 2018 - 10 min.
Regie: Corina Schwingruber Ilić - Drehbuch: Corina Schwingruber Ilić - Bildgestaltung: Nikola Ilić - Montage: Corina Schwingruber Ilić - Musik: Heidi Happy - Verleih: Square Eyes - FSK: ohne Angaben - Besetzung:
Link zum Verleih: https://squareeyesfilm.com/shorts/allinclusive/
Foto: © Corina Schwingruber Ilić