Der Geschmack von Zement

(D/LBN/SYR/QA 2017; Regie: Ziad Kalthoum)

Ein Denkmal für den Staub

„Dreck fressen“, das ist eine Formulierung für das, was während harter Maloche passiert. Sie bezeichnet auch die Koinzidenz zwischen Arbeit und Krieg: „im Schlamm robben“ steht für schwere Lasten tragen, sich verletzen, Schmerzen.

Regisseur Ziad Kalthoum nimmt den lapidaren Spruch ganz wörtlich und setzt ihm ein filmisches Denkmal: „Der Geschmack von Zement“ heißt sein hochauflösendes Bildwerk, in dem der Staub eine symbolhafte Brücke zwischen Konstruktion und Destruktion bildet. Egal ob Bomben fallen und die Toten und Verletzten aus den Trümmern geborgen werden müssen oder der Krieg vorbei ist und die Infrastruktur wieder aufgerichtet werden muss: Es wird auf jeden Fall Staub aufgewirbelt.

Kalthoums Film handelt vom Leben syrischer Arbeiter, die nach ihrer Flucht vor dem Bürgerkrieg ein Auskommen auf Beiruts Hochhaus-Baustellen gefunden haben. Ein stark reglementiertes Leben: Tagsüber arbeiten sie, nachts ziehen sie sich in einen Raum im Keller der Baustelle zurück; unter rudimentären Umständen: Geschlafen wird auf dem Boden, es gibt kaum persönliche Gegenstände, und ab 19 Uhr ist es ihnen verboten, die Baustelle zu verlassen. Ausgangssperre.

Zement ist überall, die Arbeit ist gefährlich. Dass das Herkunftsland der Arbeiter in Trümmern liegt und sie das Nachbarland aufbauen, ist gefilmter Zynismus. Aber der Einsatz syrischer Arbeiter im Libanon hat Tradition, wie der Erzähler im Off-Text erklärt. Schon die Vorfahren gingen dort arbeiten: „Vaters Hände sahen aus wie der Stadtplan Beiruts.“

Kalthoum, 1981 im syrischen Homs geboren, hat an der Film-Hochschule in Moskau studiert. „Der Geschmack von Zement“ ist sein dritter Film. Kalthoum ist aus der syrischen Armee desertiert. Er sagt: „Die einzige Waffe, die ich tragen kann in diesem Leben, ist die Kamera.“ Und die schießt spektakuläre Bilder der Beiruter Skyline; Kräne ragen in den Abendhimmel, die halbfertigen Etagen enden in der Luft.

Kalthoum positioniert unseren Blick mitten ins Geschehen: Die Aufzüge fahren hier auf dem Kopf stehend nach unten, durch die Rohbau-Etagen leuchtet der Sonnenuntergang – hier macht einer entschiedene Anleihen beim expressionistischen Stummfilm der zwanziger Jahre – mit modernster technischer Ausstattung.

Für das Thema „Zerstörung“ dienen ihm Panzerfahrten durch die zerlegten Städte Syriens, die Kamera auf dem Geschützturm montiert. Die Kanone kracht, Gebäudetrümmer fliegen durch die Gegend, Staub verteilt sich. Jene Zementstaubwolken, die uns wiederbegegnen, wenn nachts eine Bombe in das Wohnhaus gefallen ist und Rettungsmannschaften und Nachbarn versuchen, Verletzte zu bergen. Drohnenflüge und Unterwasserkamerafahrten liefern weitere Bilder.

„Ich setze meine eigenen Erfahrungen als Geflohener in meine Filmsprache um: das Gefühl des Abwartens, das Hereinbrechen der Traumata in der Nacht, das Gefangensein in den Mühlen unserer Gesellschaft“, sagt der Regisseur.

Die Mühle: eine Kamera, an der Innenseite der Zementmischertrommel. Wir sollen den Beton schmecken und spüren. Als Publikum fährst du da Karussell, und das ist nicht das Schlechteste, was das Kino leisten kann. Es ist das Beste. Kalthoum sagt: „Ich setze den Betrachter selbst in die erste Person.“ Und die sitzt hier in der ersten Reihe.

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Neues Deutschland

Benotung des Films :

Jürgen Kiontke
Der Geschmack von Zement
(The Taste of Cement)
Deutschland, Libanon, Syrien, Qatar 2017 - 85 min.
Regie: Ziad Kalthoum - Drehbuch: Ansgar Frerich, Ziad Kalthoum, Talal Khoury - Produktion: Mohammad Ali Atassi, Ansgar Frerich, Eva Kemme, Tobias Siebert - Bildgestaltung: Talal Khoury - Montage: Alex Bakri, Frank Brummundt - Musik: Sebastian Tesch - Verleih: 3 Rosen/Deutschfilm - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung:
Kinostart (D): 24.05.2018

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt7085762/
Link zum Verleih: http://www.camino-film.com/filme/tasteofcement/
Foto: © Camino Filmverleih