The Place Beyond the Pines

(USA 2012; Regie: Derek Cianfrance)

Angeberkino und Autorenkino

Tja, das waren noch Zeiten, als Männer auf Motorrädern in kugelförmigen Metallkäfigen jahrmarktstaugliche Hochgeschwindigkeitsakrobatik zeigten, durchtrainierte, ganzkörpertätowierte, blondierte Nomaden. Ride like the wind. Heute hier, morgen dort.

Luke, gespielt von Ryan Gosling, dem allmählich ein zweiter Gesichtsausdruck zu wünschen wäre, damit ihm nicht wie bei „Only God Forgives“ das Gesicht zerschlagen werden muss, um dieses Resultat zu erhalten, ist so ein Typ, der einer Trailer-Park-Beauty wie Romina (Eva Mendes) schon mal bei einem One-Night-Stand ein Kind macht, um am nächsten Morgen weiterzuziehen.

Als ihn der Jahrmarkt das nächste Mal nach Schenectady im Bundesstaat New York führt, ist sein Sohn bereits auf der Welt – und Mutter Romina hat sich einen anderen, zuverlässigeren, langweiligeren Mann gesucht, der als Vater für ihr Kind sorgen soll. Aber Luke liebäugelt mit dem Gedanken, jetzt eben auch eine Familie zu haben (zuvor hatte er wohl selbst keine) und drängt sich freundlich, aber etwas unbeholfen in Rominas Leben. Er weiß nicht genau, was er will, aber er weiß auch nicht, wie er es bekommen soll. Punkrock hoch zwei. „Faustrecht der Freiheit“, wenn man so will.

Weil Luke keinen rechten Plan hat, lässt er sich von einer Zufallsbekanntschaft inspirieren, kümmert er sich erst einmal um Finanzielle und nutzt dazu seine Talente als Todesfahrer von der Kirmes: Banküberfall. Da ist Ryan Gosling plötzlich wieder auf der Flucht – und ganz nah bei seiner Rolle aus „Drive“. Nur, dass aus professioneller Coolness des Fahrers jetzt etwas Forciertes geworden ist.

Zwar kann Luke jetzt Geschenke machen, aber nicht immer sind diese Geschenke wohl gelitten. Dieses etwas schräge, über Bande gespielte Familienmodell kann nicht lange gut gehen – und es geht auch nicht lange gut. Als Luke die Sache überreizt, kommt eine neue Figur ins Spiel: der Polizist Avery, gewohnt blauäugig gegeben von Bradley Cooper.

Regisseur und Mit-Drehbuchautor Derek Cianfrance („Blue Valentine“) verweist in Interviews diesbezüglich nur zu gerne auf sein großes Vorbild Hitchcock, der in „Psycho“ schließlich auch gewagt habe, nach einer Dreiviertelstunde den Blick von Janet Leigh zu wenden. Aber „The Place Beyond the Pines“ ist nur bedingt ein Thriller, eher schon ein Epos in Sachen Determinismus und verstörter Männlichkeit. Auch Avery sucht nämlich seinen Platz im Leben, allerdings unter ganz anderen Voraussetzungen als Luke. Avery ist der Sohn eines sehr erfolgreichen Vaters, der eine einschlägige Karriere ausschlug, um aus dessen Schatten zu treten. Was nicht bedeutet, dass er keinen Ehrgeiz hat, aber erst einmal macht er einen Fehler, aus dem er dann, als Held gefeiert und trotz seiner Schuldgefühle, Kapital zu schlagen versucht. Ist Avery ein etwas naiver Idealist, der sich gerne zum falschen Zeitpunkt bemüßigt fühlt, sich seiner Ideale zu erinnern? So blickt er bei seinen gut gelaunten Polizisten-Kollegen (wie stets wunderbar abgründig: Ray Liotta) zunächst in einen Abgrund von Korruption, bevor er beschließt, sein Wissen gegen den herrschenden Korpsgeist Kapital in Anschlag zu bringen, um auf dieser zweiten Heldentat eine politische Karriere zu gründen – und seine Pflichten als Vater zu vernachlässigen.

Väter und Söhne. An- und abwesende Väter, die Schuld auf sich laden. Schuld, die vielleicht erst sehr viel später Konsequenzen zeitigt, aber gewissermaßen in der Familie bleibt. Je mehr der Film will, desto schlechter wird er. Je intensiver der Film daran arbeitet, komplexe Konstellationen und Zusammenhänge zu entwickeln, desto mehr spürt der Zuschauer, dass hier bestenfalls ein prätentiöses Drehbuch waltet, unterfüttert vielleicht von einem Mangel an Selbstkritik, gepaart mit dem Willen zur Kunst. Im dritten Teil dieses viel zu langen Films, wenn der Zufall die beiden Söhne von Luke und Avery aufeinander treffen lässt und die Geschichte sich wiederholen scheint, wird der Film, der durchaus ansprechend begann, zu seiner eigenen Parodie. Er zeigt spekulativ und in naturalistischer Manier »das Leben« als sozial und/oder biologisch determiniert, möchte aber trotzdem einen pädagogisch wertvollen, offenen Schluss, damit zwar angedeutet wird, aber nicht als ausgemacht gelten kann, dass die Söhne die Fehler ihrer Väter wiederholen.

Achtet man auf die Nebenfiguren des Films, auf Romina oder den Kfz-Mechaniker Robin, scheint die Zeit in Schenectady jedoch still zu stehen. Keine Frage, hier spielt jemand die Hits von 1885. Naturalism is on the charts again. Aber mit großer Geste des Autorenfilmers, der sich in Interviews nicht entblödet, Sätze zu sagen wie: „Mein Ziel als Regisseur ist es, Klassiker zu schaffen. Deswegen träume ich natürlich davon, mal die Gelegenheit zu bekommen, einen Film wie „Vom Winde verweht“ zu inszenieren.“ Träum weiter, Derek!

Benotung des Films :

Ulrich Kriest
The Place Beyond the Pines
(The Place Beyond the Pines)
USA 2012 - 146 min.
Regie: Derek Cianfrance - Drehbuch: Derek Cianfrance, Ben Coccio, Darius Marder - Produktion: Lynette Howell, Sidney Kimmel, Alex Orlovsky, Jamie Patricof - Bildgestaltung: Sean Bobbitt - Montage: Jim Helton, Ron Patane - Verleih: StudioCanal - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Ryan Gosling, Eva Mendes, Rose Byrne, Bradley Cooper, Ray Liotta, Bruce Greenwood, Dane DeHaan, Emory Cohen, Ben Mendelsohn, Mahershala Ali, Harris Yulin, Olga Merediz, Kevin Craig West, Patrick Husted, Gabe Fazio
Kinostart (D): 13.06.2013

DVD-Starttermin (D): 07.11.2013

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1817273/