Kill Bill – Volume 1

(USA 2003; Regie: Quentin Tarantino)

Videotheken-Hengst-Wissen und Hyperkitsch-Kunstwelten

Rache, heißt es in Quentin Tarantinos 'Kill Bill Vol. 1', ist niemals eine gerade Linie – sondern ein Wald. Der sonderbare Satz soll wohl auch für das Filmemachen gelten, ganz sicher aber für das Kino des Quentin Tarantino. Die gerade Linie ist seine Sache nie gewesen. Mit 'Reservoir Dogs' hatte er die achronologische Narration – fortan 'postmodern' genannt – im Kino etabliert. Pulp Fiction' war dann der Beweis, dass der Job in der Videothek um die Ecke doch noch zu was gut sein kann. Tarantinos Kino ist ein Meta-Happening von Filmgeschichte; die Bäume in seinem Märchenwald sind wildwuchernde Zitate, die einem manchmal auch die Sicht auf den Film verstellen. Mit seinem vierten Film 'Kill Bill', der aufgrund seiner Länge und Informationsdichte zweigeteilt ins Kino kommt, ist Hollywoods ehemaliger Wunderjunge nach innerlicher Reifung mit 'Jackie Brown', der schönsten Form von Huldigung, die für eine B-Film-Queen vorstellbar ist, zum Kind regrediert. Man könnte auch sagen, er sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Tarantino ist mit 'Kill Bill' zum reinen Genrekino, der Pulp Fiction, zurückgekehrt. Hätte er die Form von Kino, die er mit 'Jackie Brown' erreicht hatte, weiter verfolgt, wäre er in 15 Jahren beim geriatrischen Film angekommen, hat er in einem Interview gesagt. Also ist 'Kill Bill' zwangsläufig das Gegenteil von 'Jackie Brown' geworden, denn Tarantino ist ein Regisseur, der mehr auf das Kino hält als auf sich – auch wenn das im ersten Moment nicht so scheint. 'Der vierte Film von Quentin Tarantino' titelt überheblich der Vorspann. Zuvor allerdings hat er eine Hommage eingeschoben wie noch kein anderer in Hollywood. Vor den ersten Produktionscredits erscheint der legendäre Schriftzug 'Shaw Scope' der Shaw Brothers – und 'Kill Bill' braucht keine fünf Minuten, die Würdigung der Pioniere des chinesischen Martial-Arts-Genres ('Die 36 Kammern der Shaolin', 'Das Schwert des Gelben Tigers') zu rechtfertigen. In den Suburbia von Passadena liquidiert Uma Thurman nach allen Regeln der Kampfkunst eine ehemalige Kombattantin.

Was Tarantino mit 'Kill Bill' veranstaltet hat, ist obsessiv, um das Mindeste zu sagen. Bisher war es in die Jahre gekommenen Regisseuren wie Scorsese oder Godard vorbehalten, wehmütige Erinnerungen an ihre ganz persönliche Kinogeschichte mit dem Publikum zu teilen. Insofern ist 'Kill Bill' vielleicht schon Tarantinos frühes Alterswerk, sein 'Histoire(s) du cinÈma'. Der Film komprimiert 30 Jahre asiatisches Kino auf etwas mehr als drei Stunden, eine hemmungslose Nabelschau von angestautem Videotheken-Hengst-Wissen. Seinen Kameramann und seine Schauspieler hat er zur Nachhilfe ins Kino geschickt, damit sie mit den Einstellungen und Posen vertraut werden, die er in 'Kill Bill' penibel rekonstruiert.

Wenn Uma Thurman und Lucy Liu im Haus Der Blauen Blätter zum Duell antreten, dann schwingt in der martialischen Poesie, den Farbspielereien und der Schwerelosigkeit seiner Kämpferinnen der Geist der alten Shaw-Brüder mit. Die Blutfontänen, die abgetrennten Glieder und Köpfe sind eine ehrfurchtsvolle Verneigung in Richtung Kenji Misumis 'Okami / Shogun Assassin'-Filmen sowie des japanischen Animes. Takeshi Kitanos stoischer Gewalt wird ebenso Referenz erwiesen wie der Martial Arts / Drahtseil-Technik Yuen Wo-Pings ('Matrix', 'Tiger & Dragon'). 'Kill Bill' ist mit staubigen Erinnerungen vollgestellt wie ein Museum, und so verwundert es kaum, dass er trotz seines erhöhten Tempos etwas leblos wirkt. Denn was am Ende bleibt, wenn man die drei furiosen Kampfsequenzen, die im Zentrum des Films stehen, die hölzern-comichaften Dialogszenen und die wenig erhellenden Rückblenden beiseite lässt, ist eine Handlung, die locker auf das Zettelchen eines Glückskekses passen würde.

Wert legt Tarantino paradoxerweise vor allem auf die Authentizität seiner Hyperkitschkunstwelt, in der geschlagene Kämpfer noch in doppelten Pirouetten zusammenbrechen. Diese Authentizität bezieht sich direkt auf die Gewalt, die sowohl in Tarantinos wie auch in seinem asiatischen Lieblingskino eine zentrale Rolle spielt. Das Filmblut, das im Film literweise in die Kamera spritzt, hat er sich aus Asien importieren lassen. Und bei den Kampfszenen mit dem Drahtseil-Experten Yuen Wo-Ping verzichtete er auf digitale Tricks. Gewalt, die mit Tarantinos Filmen immer noch zuallererst in Verbindung gebracht wird, hat in 'Kill Bill' nur noch den Stellenwert eines bloßen Zitats. Ein Effekt, der sich im Film sehr schnell abnutzt. Als schließlich die Schlacht im Haus Der Blauen Blätter, eine Hommage an das Rasenmäher-Finale von Peter Jacksons 'Braindead' und Kinji Fukasakus High School-Massaker 'Battle Royal', ihren Anfang nimmt, ist das blutrünstige Gemetzel weit weniger artistisch als die Schlusstotale auf das Schlachtfeld, auf dem sich die Körper der Kämpfer wie zu grotesken Schriftzeichen angeordnet haben.

Die Tatsache, dass 'Kill Bill' von seinem Verleih Miramax in zwei Teilen in die Kinos gebracht wird, lässt sich erst nach Besichtigung des recht schleppenden ersten Teils richtig bewerten. Am Ende eines langen Kinosommers voller Sequels mutet diese Entscheidung nicht unbedingt geschäftstüchtig an. Denn das Geschäftsjahr 2003 könnte als das Jahr in die Kinogeschichte eingehen, in dem die Idee des Sequels zu Grabe getragen wurde. Dass Fortsetzungen in der Regel nicht erfolgreicher als ihre Vorgänger sind (sie kosten mehr, spielen aber weniger ein), war schon in den siebziger Jahren bekannt. In diesem Jahr aber sind die wichtigsten Blockbuster – und damit Sequels ('Tomb Raider II', 'Terminator III', Matrix Reloaded', 'Bad Boys II' etc.) – bereits nach der ersten Startwoche kläglich abgesoffen. Die Umsätze fielen um etwa 50 Prozent. Schuld daran trägt die Mundpropaganda, die nach der ersten Woche die Runde macht – denn was dieser Sommer bot, war meist wirklich unter aller Sau. Genau auf diese Mundpropaganda aber baut Miramax-Chef Harvey Weinstein, wenn er im nächsten Frühjahr den zweiten Teil von 'Kill Bill' in die Kinos bringt. Er hofft auf den Hunger der Tarantino-Fans, die sechs Jahre auf den neuen Film warten mussten. Ein billiger Trick, der ihm viel Geld bringen könnte. Der Fan muss nun doppelt zahlen.

Dem ersten Teil nach zu urteilen, wäre es allerdings besser gewesen, 'Kill Bill' einfach auf 2 1/2 Stunden herunterzukürzen. Weinstein, der in Hollywood den Spitznamen 'Harvey Scissorhand' hat, ist berüchtigt dafür, seinen Regisseuren das Leben zur Hölle zu machen und blindwütig in ihre Filme zu pfuschen. 'Kill Bill Vol. 1' transportiert – wohlgemerkt bei einer Länge von nur 95 Minuten – bereits genügend Füllmaterial, auf das man gut und gerne hätte verzichten können. Man könnte die Entscheidung, den Film zu teilen, natürlich auch als Sieg der künstlerischen Freiheit über das unternehmerische Kalkül werten – Weinstein hat eine Schwäche für den Arthouse-Film, auch wenn es kein 'Tiger & Dragon' geworden ist. Aber mit 'Kill Bills' Cliffhanger-Ende geht Weinstein kaum ein Risiko ein, dass der zweite Teil floppen könnte. 'Kill Bill Vol. 2' könnte sogar zu einer seltenen Ausnahme werden: das Sequel erfolgreicher als das Original.

Wenn Sie einen Tipp haben wollen: Pfeifen Sie auf 'Vol. 1', leihen Sie sich ein halbes Jahr später die DVD und gucken Sie danach im Kino die Fortsetzung. Man muss sich von den Hollywood-Leuten ja nicht für vollkommen blöd verkaufen lassen.

Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 11/2003

Kill Bill - Volume 1
(Kill Bill - Volume 1)
USA 2003 - 108 min.
Regie: Quentin Tarantino - Drehbuch: Quentin Tarantino - Produktion: Lawrence Bender - Bildgestaltung: Robert Richardson - Montage: Sally Menke - Musik: RZA - Verleih: Buena Vista - FSK: keine Jugendfreigabe - Besetzung: Uma Thurman, David Carradine, Lucy Liu, Daryl Hannah, Vivica A. Fox, Michael Madsen, Michael Parks, Sonny Chiba, Chiaki Kuriyama
Kinostart (D): 16.10.2003

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt0266697/