Concerning Violence

(DK / FI / SW / USA 2014; Regie: Göran Olsson)

'Die Dekolonisation ist immer ein Phänomen der Gewalt'

(Frantz Fanon, 'Die Verdammten dieser Erde')

Frantz Fanon wurde 1925 auf der Karibikinsel Martinique geboren. Der Psychiater, Politiker und Schriftsteller wurde mit seinen Büchern 'Schwarze Haut, weiße Masken' und 'Die Verdammten dieser Erde' zu einem der wichtigsten Vordenker der post-colonial studies. Letzteres schrieb er in den letzten Wochen seines Lebens, bevor er 1961 mit nur 36 Jahren an Leukämie starb. Die Dringlichkeit dieses Buches liegt nicht nur in seiner Entstehungsgeschichte begründet. Man merkt ihm auch an, dass Fanon das Kolonialsystem mit seinen vielfachen Mechanismen der Ausgrenzung und Unterdrückung nicht als akademischer Außenstehender, sondern als direkt von ihm Betroffener beschreibt.

Göran Hugo Olssons Film 'Concerning Violence – Nine Scenes from the Anti-Imperialistic Self-Defence' ist quasi eine Verfilmung des ersten Kapitels von 'Die Verdammten der Erde', das auf Deutsch 'Von der Gewalt' heißt. Montiert werden historische Aufnahmen von den Befreiungskämpfen der MPLA in Angola 1974 oder dem Streik bei der schwedisch-amerikanischen Minen-Gesellschaft LAMCO in Liberia 1966, ein Interview mit Dr. Ph. Tonderai Makoni aus Zimbabwe, der von der Kolonialregierung eingekerkert und gefoltert wurde. Szenen aus dem Alltag der 'zweigeteilten Welt' (Fanon) des Kolonialismus mit ihren krassen Kontrasten zwischen den Kolonisierten und den Kolonialherren, zwischen schwarz und weiß, mit ihren immer klar abgesteckten Machtverhältnissen zwischen Bediensteten und Herrschern. Dazu liest Lauryn Hill, Aktivistin, Sängerin und Rapperin, Ausschnitte aus dem Text Fanons vor.

Dem Untertitel entsprechend ist der Film in neun Kapitel untergliedert, die sich etwa mit den Dekolonisationskriegen, den sozialen Gegensätzen oder dem Umgang mit den Streikenden bei LAMCO befassen. In einem geht es auch um die Rolle der Religion, über die Fanon schreibt: 'Die Kirche in den Kolonien ist eine Kirche von Weißen, eine Kirche von Ausländern. Sie ruft den Kolonisierten nicht auf den Weg Gottes, sondern auf den Weg des Weißen, auf den Weg des Herren, auf den Weg des Unterdrückers.' Das Interview mit einem schwedischen Missionarspaar in Tansania ist eine der interessantesten Szenen des Films, gerade weil das Machtverhältnis zwischen dem Mann und der Frau, die im Vordergrund in die Kamera sprechen, freundlich, engagiert, soft spoken, und den Männern, die im Hintergrund harte Arbeit verrichten, so perfide ist. Sie sagen, dass sie sich in den Jahren, die sie hier sind, sehr verändert haben, die 'natives' hingegen kaum, erzählen von dem starken Einfluss der Kirche auf die Seelen der 'Eingeborenen'. Gerade dass die beiden, die doch mit der Aufgabe betraut sind, den Afrikanern westliche Werte einzutrichtern, so gar nicht in das Bild böser Unterdrücker passen wollen, gibt einen Eindruck davon, wie tief der Kolonialismus die Vorstellung von der Verschiedenheit der Völker, von der Überlegenheit einer Kultur und Religion über andere Kulturen und Religionen in die Menschen einschreibt – und zwar unabhängig von ihrer Hautfarbe. Diese Szene gibt eine Ahnung davon, wie das Kolonialsystem funktioniert, dessen theoretische Grundlage die Ideologie von der Ungleichheit der Menschen ist und das in der Praxis immer weiter reale Ungleichheit produziert.

Gerade im letzten Drittel spart der Film nicht an drastischen Bildern, wie sie typisch sind, um das Elend der „dritten Welt“ zu zeigen. Es gibt einen schier endlosen tracking shot entlang an Reihen von zusammengekauerten, hungernden Menschen in einem afrikanischen Dorf. Bilder von zerfetzten Leichen aus dem Unabhängigkeitskrieg von Guinea/Bissau. Schließlich eine Frau, die bei Kriegshandlungen ihren Arm verloren hat und für die Kamera zunächst als 'schwarze Venus von Milo“ in Szene gesetzt wird, dann während sie ihrem Baby die Brust gibt als „schwarze Madonna mit dem Kinde'. In ihrer Einleitung zum Film verweist die indisch-stämmige Literaturwissenschaftlerin Gayatari Chakravorty Spivak anhand dieser Szene auf die Gender-Aspekte des Kolonialismus, in dem Kolonisierte und Kolonialherren oft einstimmig Frauen gewaltsam gendern und mit großem Pathos die Mutterschaft preisen. Auch in dem Kapitel über den Freiheitskampf der Frelimo in Mozambique wird die Rolle der Frauen im Befreiungskampf thematisiert, der für sie zugleich ein Kampf für Gleichberechtigung ist.

Darüber hinaus ist gerade der fehlende Gegenwartsbezug das größte Problem des Films. Dramaturgisch ist er so geschickt gemacht, dass die 85 Minuten Laufzeit wie im Flug vergehen. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die doppelte Historisierung durch die Archivbilder und den Text Fanons als distanzierendes Moment wirkt. Fanon ist nicht nur mit seiner Mischung aus marxistischen und psychologischen Theoremen seiner Zeit verpflichtet, auch der unmittelbare Eindruck der Unabhängigkeitskriege in Afrika ist seinem Text deutlich anzumerken. Als Geschichtsstunde und Dokumentensammlung zu Kolonialismus und Dekolonisation mag Olssons Film gut funktionieren und durchaus seinen Wert haben. Gerade der Schluss aber, wenn mit Bild- und Wortgewalt die Ablösung der ehemaligen Kolonien vom kulturellen und politischen Erbe Europas, die Schaffung eines „neuen Menschen“ beschworen wird, will offenbar auf mehr hinaus. Es scheint paradox, aber gerade die kritische Distanz zu Fanon, die dem Film weitestgehend abgeht, hätte es wohl gebraucht, um seine abschließenden Worte zu mehr zu machen als einer Utopie vergangener Tage.

Benotung des Films :

Nicolai Bühnemann
Concerning Violence
Dänemark / Finnland / Schweden / USA 2014 - 78 min.
Regie: Göran Olsson - Drehbuch: Göran Olsson - Produktion: Tobias Janson, Anika Rogell - Montage: Göran Hugo Olsson, Michael Aaglund, Dino Jonsäter, Sophie Vucovic - Musik: Micke Nyström - Verleih: Arsenal - Besetzung:
Kinostart (D): 18.09.2014

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt3263690/