Alexandre Ajas Maniac

(F / USA 2012; Regie: Franck Khalfoun)

Subjektives Serienkillen

Der einsame und kontaktscheue Frank (Elijah Wood) hat eine Werkstatt, in der er Schaufensterpuppen restauriert. Doch manchmal überwältigt ihn eine ganz andere Leidenschaft: Dann tötet er schöne Frauen, um sie zu skalpieren und seine Puppen mit ihrem Haar zu schmücken. Eines Tages kommt die Fotografin Anna (Nora Arnezeder) zufällig an Franks Laden vorbei. Sie findet ein paar anregende Motive und hält Frank für einen Künstler. Der fühlt sich zum ersten Mal verstanden und verliebt sich in die ahnungslose Frau. Aber kann es ihm gelingen, dem Drang zum Töten zu widerstehen?

Franck Khalfouns Film mit dem blöden deutschen Verleihtitel – Alexandre Aja fungierte hier als Produzent und Co-Drehbuchautor – ist ein Remake von William Lustigs Splatter-Kultfilm aus dem Jahr 1980. Der Clou: Die Neuauflage wird fast komplett aus der Perspektive der Titelfigur erzählt. Viel wird deshalb derzeit geschrieben über die besondere Nähe, die der Film zu seinem mörderischen Protagonisten herstelle. Von einem einzigartigen Blick in dessen Seele ist bisweilen die Rede. Dabei ist das, was man wirklich über das Innenleben des schizophrenen Serienkillers erfährt – durch Halluzinationen etwa oder durch Rückblenden, die manchmal wie die Traumbühnen bei Ingmar Bergman inszeniert sind –, der übliche, psychologisch nicht haltbare Pulp. Aber Horrorfilme müssen ja letztlich nur erschrecken und verstören, obwohl man immer froh ist, wenn noch ein bisschen mehr passiert. Zumindest diese konstituierende Aufgabe des Genres löst der neue „Maniac“ gut, denn die subjektive Präsentation der Geschichte ist zuallererst eine Provokation.

Ob eine subjektive Kameraführung überhaupt das geeignete Mittel ist, um Mitgefühl zu erzeugen, ist durchaus umstritten. Auch wenn man sich in der Frühzeit des Mediums einen solchen Effekt erhofft haben mag und die Macher des „Maniac“-Remakes eine solche Erwartung ebenfalls formulieren, erwies sich eine radikal angewandte Subjektive bislang vor allem in anderer Hinsicht als nützlich. Die Einschränkung der Zuschauerperspektive prädestinierte sie zum Beispiel für detektivische Noirs, siehe „Dark Passage“ (Delmer Daves, 1947) oder „The Lady in the Lake“ (Robert Montgomery, 1947). Schon da allerdings wirkte die exzessive Verwendung der Point-of-view-Kamera wie ein Gimmick – selbst beim viel gelungeneren „Dark Passage“. Zweifellos aber stellt die Subjektive eine gewisse Intimität und Nähe her, die vor allem dann eine Reaktion beim Zuschauer hervorruft, wenn sie als hochgradig unangenehm empfunden wird, wenn etwa der Voyeurismus gleichsam erzwungen wie bedient wird und wir als Betrachter zu Zeugen und Komplizen grausamer Taten werden.

Michael Powell machte in „Peeping Tom“ (1960) die voyeuristischen Attribute des Mediums selbst zum Thema, indem er der Subjektiven eines Serienkillers (gespielt von Karlheinz Böhm) folgt und die Perspektive sogleich als Kamerablick entlarvt: Der Mörder filmt seine Taten und projiziert sie später immer wieder. Bereits 1932 legte Rouben Mamoulian in seiner Fassung von „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ den Grundstein für eine solche Auseinandersetzung mit der Schaulust im Kino und der gesellschaftlichen Lust (bzw. ihrer Unterdrückung) generell. Sein Film thematisierte die damals populären Ideen der Psychoanalyse und etablierte Dr. Jekyll (Fredric March) mit einer langen Point-of-view-Sequenz. Später zwingt er den Zuschauer in eine männliche Allmachtsphantasie und lässt die Triebentfesselung in Gewalt und sexuelle Erniedrigung gipfeln. Subjektive Bilder werden dann zwar nie wieder so lang ausgespielt wie anfangs, aber dennoch mit größtmöglicher Wirkung eingesetzt. Besonders provozierend ist die Gleichsetzung des Zuschauerblicks mit dem Blick Dr. Jekylls in jener Szene, in der die Prostituierte Ivy (Miriam Hopkins) sich zur Kamera hin lasziv auszieht und schließlich ihr nacktes Bein pendeln lässt – ein Bild, das durch eine Doppelbelichtung sogar noch die nächste Szene überlagert, den jungen Arzt also nicht loslässt. Weil so ein unterdrücktes Begehren, wie es sich später als dunkle Seite des Doktors manifestiert, in jedem heterosexuellen Mann schlummern dürfte, müssen sich viele Zuschauer während der Terrorexzesse Hydes wenn schon nicht als Komplizen, so doch zumindest als potenzielle Monster fühlen.

Mit subjektiven Bildern aus Hydes Perspektive indes geht der Film sparsam um und zeigt den Terror aus distanzierteren Positionen. Als das Monster Ivy erwürgt, stirbt sie außerhalb des Bildkaders. Weil aber in der langen Zeit bis zum „Maniac“-Remake nicht nur Hitchcocks „Psycho“ (1960) und Powells „Peeping Tom“, sondern auch Carpenters „Halloween“ (1978) und zahllose Slasher-Filme verstörende Bilder aus der Täterperspektive geliefert haben, bleibt Khalfoun für sein Remake von „Maniac“ nur der Weg der Radikalisierung. Den Prinzipien der Splatter-Ästhetik fühlt er sich offenbar verpflichtet, denn er startet programmatisch, indem er den Zuschauer quälend lange in die brechenden Augen des ersten Opfers blicken lässt. Weil die vorangehende Messerattacke für den Zuschauer völlig überraschend kommt, wird schon an dieser Stelle deutlich, dass die subjektive Kamera per se nichts über die Innenwelt der Titelfigur verrät oder eine besondere Nähe herstellt, die über den Blinkwinkel hinausginge. Sie zwingt nur dazu, die unangenehmen Details wahrzunehmen – obwohl es für eine genregemäß exploitative Blicklenkung eigentlich gar keine solche Legitimation gebraucht hätte.

Die Splatter-Ästhetik indes wird hier zu neuer Höchstform getrieben. Die Effekte sind so glaubwürdig wie das dargestellte Leiden, der Distanzverlust durch den ständigen Zwang zum Hinsehen vollkommen. Die Point-of-view-Erzählhaltung funktioniert außerdem als Authentizitätscode, auch wenn auf einen übertriebenen Naturalismus mit künstlichen Blinzel-Effekten à la „Enter the Void“ (Gaspar Noé, 2009) verzichtet wird. Im direkten Vergleich zu dessen entfesselter Geisterkamera wirkt Khalfouns Film fast schon ein bisschen gebremst, bietet aber gerade deshalb einen umso klareren Blick auf die Goreszenen. „Maniac“ ist ein Terrorfilm, der seine destruktive Kraft aus der Permanenz des erzwungenen Blickwinkels speist, aus der serienmäßigen Wiederkehr des Grauens und dem ständigen Blickzwang. Auf eine Opferperspektive, die dem Zuschauer zumindest das masochistische Gefühl geben könnte, mit den Guten und Unschuldigen unterzugehen, wird völlig verzichtet.

So zermürbend und frustrierend (und demzufolge wohl gelungen) der Film auch ist: Einen Ausweg aus den Fesseln des üblichen Genreplots liefert sein stilistischer Ansatz nicht. Die Liebe vermag zwar sonst immer und überall alle zu retten, aber eben nicht die schizophrenen Serienmörder dieser Welt. So stellt sich dann letztlich doch die Frage, ob man statt einem ultraharten Slasherfilm mit Gimmick nicht lieber einen Film gesehen hätte, der die Schaulust kritischer reflektiert, statt sie vor allem nach allen (bekannten) Regeln der Kunst zu bedienen.

Benotung des Films :

Louis Vazquez
Alexandre Ajas Maniac
(Maniac)
Frankreich / USA 2012 - 92 min.
Regie: Franck Khalfoun - Drehbuch: Alexandre Aja, Grégory Levasseur - Produktion: Alexandre Aja, Thomas Langmann, Grégory Levasseur, William Lustig - Bildgestaltung: Maxime Alexandre - Montage: Baxter, Franck Khalfoun - Musik: Rob - Verleih: Ascot Elite - FSK: keine Jugendfreigabe - Besetzung: Elijah Wood, Nora Arnezeder, America Olivo, Liane Balaban, Morgane Slemp, Sammi Rotibi, Sal Landi, Genevieve Alexandra, Jan Broberg
Kinostart (D): 27.12.2012

DVD-Starttermin (D): 21.05.2013

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt2103217/