Vier Personen auf dem Weg nach unten, in den Feierabend. Eingeschlossen in dem steckengebliebenen Fahrstuhl eines Frankfurter Bürohochhauses. So lautet die Minimalprämisse von „Abwärts“, Carl Schenkels drittem Film, der den Schweizer Filmemacher, der zunächst in der BRD, später dann in Hollywood arbeitete, als Auteur ausweist, der Filmen verschiedener Produktionshintergründe seine eigene Handschrift aufdrücken, in ihnen eigene Themen verhandeln konnte.
Schon der furiose Vorgänger, „Kalt wie Eis“, begann in einem Knast und ließ die Mauerstadt West-Berlin für einen straffälligen Jugendlichen auf der Flucht zu einer beengenden Falle werden. Wo es dort auch schon einen generischen Plot gab, sich der Film aber noch ausgiebigen Ausschweifungen in der kreativen Szene seines Schauplatzes hingab, ist „Abwärts“ hoch konzentriertes Spannungskino (wie sich „Graf Dracula in Oberbayern“, Schenkels 1979 noch unter Pseudonym gedrehtes Regie-Debüt, dazu verhält, interessiert mich wirklich brennend, leider gibt es von dem Film nur eine vergriffene und deshalb zu Mondpreisen gehandelte Grabbeltisch-DVD). Um das Gefangensein in urbaner Architektur geht es auch hier. Schon dem Plot nach, aber eben auch in der Inszenierung, von Anfang an. Die erste Einstellung zeigt das Lichtermeer der nächtlichen Großstadt, über das die Kamera langsam wandert, den Blick in die Tiefe wagt, auf den Asphalt hinab (immer wenn dieser klaustrophobische Film seine Räume weit macht, wird sogleich der Fall in den Tod assoziiert, als einziger Ausweg aus dem Gefängnis, das dem Menschen seine Städte geworden sind, hier durch den Blick an der Fassade entlang, später dann – immer wieder – den Fahrstuhlschacht hinunter), ohne Schnitt kommt die Kamera auf einem Fenster zu stehen, in dem sich die Stadt spiegelt und durch das wir eine Frau sehen, die aus einem Schwimmbecken steigt. Außen und Innen durchdringen einander, der Mensch ist ohne die Rahmung durch die Architektur, die ihn einschließt, nicht denkbar.
So geht das weiter. Der Blick auf den Menschen wird verstellt, durch Fenster, (Fahrstuhl-)Türen, Glaskästen, Luken, die als Rahmung innerhalb der Rahmung der Kadrierungen fungieren, das doppelte Eingeschlossensein der Figuren verdeutlichen. Um die Pförtnerkabine mit ihren Glaswänden beschreibt die Kamera einen Kreis. Dabei erinnert nicht nur die Tatsache, dass einer der beiden Schauspieler in dem Glaskasten Kurt Raab ist, an Fassbinder.
Wenn der Film nach etwa zehn Minuten mit seinen vier ProtagonistInnen in dem Fahrstuhl ankommt, sind Inhalt und Form längst eins und bleiben es auch hier, wo die Enge des Raumes die Einstellungsgröße vorgibt. Die Figuren sind dabei so funktional, wie es das Kammerspielsetting vorschreibt, wobei es dem Drehbuch, das Schenkel selbst verfasste, auch hier wichtig ist, dass die Gefangenschaft in dem Fahrstuhl auch die jeweilige Lebenssituation der vier Menschen, eine Frau und drei Männer, spiegelt. Allesamt sind sie Gefangene, Steckengebliebene in ihrer eigenen Biographie.
Da ist zunächst Götz George, für den dieser Film 1984 als Vehikel angelegt gewesen sein mag, dem es aber als Star des Films ebenso wenig gelingt, das restliche Personal an die Wand zu spielen, wie es seiner Figur, Jörg, vergönnt ist, das Alpha-Männchen zu sein, das sie gerne wäre. Seine Kontrolle über die Situation jedenfalls ist von Anfang an eine Illusion. Das zeigt sich auch und vor allem in seiner Beziehung zu seiner Kollegin Marion, mit der ihn einst eine Affäre verband, die er zu gerne weiterführen würde, worauf sie sich aber nicht einlässt. Gespielt wird sie von Renée Soutendijk, die ein Jahr zuvor in dem Film „Der vierte Mann“ ihres niederländischen Landmannes Paul Verhoeven die femme fatale für die Achtziger neu definierte (ein Kunststück, das dem großen Verhoeven, nebenbei bemerkt, in zwei aufeinander folgenden Dekaden gelang, in den Neunzigern dann in Hollywood mit Sharon Stone und „Basic Instinct“). Sicherlich bedeutet sie auch hier Ärger für die Männer, die schon bald anfangen, sich um sie zu streiten, es ist dem Film dabei jedoch wichtig, dass sie nicht aus Boshaftigkeit handelt, sondern einfach nur mit den Waffen kämpft, die eine von Männern dominierte Gesellschaft einer schönen Frau wie ihr zugesteht. Pit (Hannes Jaenicke) will einfach nur raus, aus Deutschland, aus entfremdeten Arbeitsverhältnissen und, das steht schnell fest, er will Marion, die ihm, als er ihr Feuer für ihre Zigarette gibt, tiefe Einblicke in ihr Dekolletee gewährt. Schließlich ist da der Buchhalter Gössmann (Wolfgang Kieling), die undurchsichtigste der Figuren, die in dem Beziehungsdreieck, zwischen seinen Miteingeschlossenen schon wegen seines Alters außen vor ist, und mit einer ganz eigenen Motivation, einem Schatz, der nichts mit Marion zu tun hat, in den Fahrstuhl in Richtung (ewiger) Feierabend gestiegen ist.
Schenkel versteht es auch hier, die Beschränkungen von Raum und Plot zu nutzen, um eine ausweglose Atmosphäre zu kreieren. Denkwürdig ist eine Szene, in der Jörg und Pit mit Streichhölzern darum knobeln, wer als nächstes auf das Fahrstuhldach klettern wird, um von dort aus zu versuchen, einen Weg nach draußen zu erschließen. Als Gleichstand herrscht, gleitet die Kamera im extremen Close-Up zunächst über die Streichhölzer auf dem Boden, zwei auf der einen Seite, zwei auf der anderen. Dann über die Gesichter der beiden Männer im Profil, angefangen bei dem Auge bis hinab zum Mund, über dem bei Jörg der charakteristische Schnauzer thront, in dem bei Pit eine Zigarette steckt. Pit gewinnt die Entscheidungsrunde, Jörg muss aufs Dach. Seine Abwesenheit machen sich Marion und Pit zunutze, um sich leidenschaftlich zu küssen. Wenn die beiden Männer sich wenig später auf dem Fahrstuhldach prügeln, endet eine Einstellung damit, dass einer von ihnen den Kamerablick mit seinem Körper ganz verdunkelt. Nach einem „unsichtbaren“ Schnitt fährt die Kamera von Marions schwarzem Kleid zurück und gibt den Blick auf die beiden im Fahrstuhl verbliebenen frei. Besser könnte man das Verhältnis von Begehren und Gewalt in diesem Figurentrio nicht auf den Punkt bringen.
Den ein oder anderen Plot Twist, der nicht verraten werden sollte, gibt es dann auch noch und dieses Mal vielleicht wenigstens ein bisschen Hoffnung zum Schluss (zumindest für einige der Figuren).