Rumstehen, fahren, rumstehen – Taxi fahren ist langweilig? Nicht mit Devki: Die will nicht nur endlich den Führerschein machen, sondern auch von ganzem Herzen Leute von A nach B befördern. Und das in Delhi, einer Stadt, in der sogar selbstbewusste Frauen abends oft nur in Begleitung von Männern unterwegs sind. Devkis großes Vorbild ist Chandni: Die hat die Prüfung schon bestanden und kutschiert munter durch die Straßen.
Für Leute wie Devki gibt es die Initiative „Women on Wheels“. Hier kann sie ihre Ausbildung machen. selbstständig sein. Das Ziel: finanzielle Unabhängigkeit. Außerdem können andere Frauen so nachts etwas sichererer unterwegs sein – wenn sie von einer Frau gefahren werden. Im Wagen sitzen – im Indien dieser Tage ein Kampf um die Rechte der Frau.
Begleitet wird Devki dabei von Regisseurin Manuela Bastian. Die deutsche Filmemacherin nimmt in ihrem ersten abendfüllenden Kinofilm „Where to, Miss?' Gewalt und Unterdrückung von Frauen in Indien aufs Korn. Nicht um gewalttätige Schauwerte zu generieren, sondern um die mutigen Frauen in den Mittelpunkt zu stellen. Denn Delhi ist ein gefährliches Pflaster für sie. Immer wieder kommt es zu Massenvergewaltigungen – wie etwa 2012, als die Studentin Jyoti Singh Pandey an der brutalen Misshandlung durch sechs Männer starb. Danach wurde es nicht besser. Die Polizeistatistik der Jahre 2012 bis 2015 wartet mit brisanten Zahlen auf: Im Schnitt wurden vier Frauen pro Tag in der indischen Hauptstadt vergewaltigt – ein Anstieg um das Dreifache. Und der diesjährige Amnesty-Report hat für 2014 indienweit 322.000 Verbrechen gegen Frauen gezählt, darunter 37.000 Fälle von Vergewaltigung. Dort heißt es, die Frauen schreckten oft davor zurück, sexuelle Gewalttaten anzuzeigen, da sie Stigmatisierung und Diskriminierung durch Polizei und Behörden befürchteten.
Kein Wunder, dass Bastian mit ihrem Film gleich den Deutschen Menschenrechts-Filmpreis 2016 in der Kategorie Hochschule gewonnen hat, der ihr am 10. Dezember 2016 in Nürnberg verliehen wurde. „Ich möchte mehr Verständnis erzeugen für die Frauen, die dem gesellschaftlichen Druck nicht Stand halten und denjenigen Mut machen, die den Kampf aufnehmen“, sagt Bastian.
Eine Hürde ist zunächst die eigene Familie. Im Prinzip, so Bastian, habe sie ein indisches Sprichwort verfilmt: „Eine Frau gehört zuerst ihrem Vater, dann ihrem Ehemann und zuletzt ihrem Sohn.“ Denn so gut wie bei Chandni, die von ihrer Familie in ihren Plänen unterstützt wird, läuft‘s bei Devki nicht. Bastian folgt ihrer Protagonistin mit der Kamera durch ihre Rollenfächer – als Tochter, Ehefrau und Mutter. Als zukünftige Taxifahrerin fällt sie in allen dreien durch: „Stell dir vor, wir bekommen dich verheiratet“, spekuliert Devkis Vater. „Denkst du, dein Mann lässt dich das machen?“ – „Warum fährst du nicht nur tagsüber, das geht doch auch…“ „Manche Menschen“, entgegnet die junge Frau, „brauchen auch nachts ein Taxi.“ Überhaupt eigene Entscheidungen zu treffen, hieße in Devkis Fall sogar, für unbestimmte Zeit aus der Familie ausgestoßen zu werden, und das in einem Land, in dem die Familie der einzige Rückhalt ist: die Frau als lebenslanger Privatbesitz. Und umgekehrt gilt: Wer als Frau allein unterwegs ist, kann schnell Opfer von Übergriffen werden. Selbstbestimmt leben, das würde unter diesen Umständen auch bedeuten: ohne Schutz zu sein.
Aber Devki lässt nicht locker, übt mit dem Auto und macht Kurse in Selbstverteidigung bei ihrem Aufbruch aus tradierten Rollenmustern.
„Where to, Miss?“ – Wo soll es hingehen? Dieser Film ein kleines, einfühlsames Porträt – aber auch ganz großes Kino: ein Abenteuerfilm. Und ein Road Movie sowieso!
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Amnesty Journal