The Big Short

(USA 2015; Regie: Adam McKay)

Einstürzende Elfenbeintürme

Ein Katastrophenfilm als Chronik der angekündigten Finanzkrise von 2007? Ein Dialog-Stakkato, das den Zuschauer über zweieinhalb Stunden mit Hintergrundinformationen und Fachbegriffen aus der Finanzwelt traktiert – ist so etwas auszuhalten? Man hält es aus, es funktioniert. In seiner Verfilmung des gleichnamigen Sachbuch-Bestsellers von Michael Lewis tritt der noch unverbrauchte Regisseur Adam McKay die Flucht nach vorne an. Er inszeniert einen dialogintensiven audiovisuellen Parforceritt, der zuweilen an die flackernden Bildgewitter von Oliver Stone erinnert. Im Gegensatz zu dessen Börsenfilm „Wall Street“ kann „The Big Short“ mit der Materie sehr viel mehr anfangen. McKay dringt wesentlich tiefer in das Thema ein.

Das ist erstaunlich, denn die internationale Finanzkrise von 2007, in deren Verlauf auch deutsche Anleger viel Geld verloren, ist knapp zehn Jahre später offenbar fast vergessen. Die reale Wirtschaft, so scheint es, wurde nicht so nachhaltig geschädigt, wie das beim schwarzen Freitag von 1929 und der nachfolgenden Weltwirtschaftskrise der Fall war. Wenn McKays Film nun den vermeintlich größten Finanzcrash aller Zeiten beschwört, so könnte der Zuschauer eigentlich milde lächelnd die Achseln zucken. Wäre da nicht der „Diselgate-Skandal“, der im September dazu führte, dass der Wert der VW-Aktie – ein Blue Chip, den man eigentlich blind kaufen konnte – sich binnen weniger Tage halbierte. Diese Crashs machen bewusst, dass die Finanzkrise eigentlich ein Dauerzustand ist, den man irgendwann verdrängt. Insofern kommt „The Big Short“ durchaus zur richtigen Zeit in die Kinos.

Der Film rollt das Platzen der sogenannten Immobilienblase aus der Sicht dreier Vermögensverwalter auf, die das Desaster kommen sahen: Hared Vennett (Ryan Gosling), ausgebuffter Finanzmakler bei der Deutschen Bank, staunt nicht schlecht. Warum schwimmt der erfahrene Hedgefonds-Manager Michael Burry (Christian Bale) nicht wie alle anderen Finanzmanager mit dem Strom? Warum riskiert er in einer Zeit des prosperierenden Hypothekenmarktes das Geld seiner Anleger, indem er darauf wettet, dass der Immobilienmarkt zusammenbrechen wird?

Dieses scheinbar geisteskranke Verhalten versucht Hared Vennett dem mit allen Wassern gewaschenen Trader Mark Baum (Steve Carell) zu erklären. Dabei macht der Film auch dem Zuschauer die Konstruktion des amerikanischen Finanzsystems am Beispiel eines aus Bauklötzchen zusammengesetzten Hauses deutlich, ungefähr so wie bei „Die Sendung mit der Maus“. Der finanzielle Turmbau zu Babel besteht aus kleinen Steinchen. Jedes stellt ein Finanzprodukt dar, dem die Rating Agenturen allerhöchste Bonität bescheinigen. Wo ist also das Problem?

Als Mark Baum, gespielt von dem ziemlich ernst agierenden Komiker Steve Carell, bei der Rating Agentur nachhakt, trifft ihn fast der Schlag. Wider besseres Wissen haben die Agenturen grünes Licht für marode Finanzprodukte gegeben – weil die Geldhäuser ihre Zertifikate ansonsten von der Konkurrenz hätten bewerten lassen. Die gesamte Finanzwirtschaft, so findet Baum nach und nach heraus, ist ein brüchiges System, in dem sich jeder auf den anderen verlässt und keiner mehr der Überblick hat.

Keiner bis auf Michael Burry. Als einziger hat er das gemacht, was eigentlich jeder kleine Volkswirtschaftler hätte tun sollen: Bilanzen lesen. Durch das vermeintlich langweilige Studium von Zahlen hat er herausgefunden, dass jene unzählig vielen sozial schwachen Hausbesitzer, die durch staatlich gedeckte Kredite zum Kauf einer Immobilie bewegt wurden, ihre Schulden nicht bedienen können. Es kommt, wie es kommen muss. Nämlich zu einer lawinenartigen Serie von Verkäufen. Dadurch sinken Immobilienpreise in den Keller– und reißen, so wie bei jedem Schneeballsystem, die großen Finanzhäuser mit in den Abgrund: So ungefähr kann man es heute auf Wikipedia nachlesen. 2007 wollte davon niemand etwas wissen. Und der Film erzählt recht spannend, warum.

Mit phantasievollen szenischen Erfindungen und dosierten Stilbrüchen macht McKay diesen abstrakten Vorgang sinnlich nachvollziehbar. Um das Fachchinesisch der Finanzbegriffe zu erläutern, reden die Protagonisten zuweilen direkt in die Kamera. Manchmal werden kleine Graphiken eingeblendet, um einen Verlauf zu illustrieren. Zusammen mit permanenter Dialog-Hektik nähert sich der Film einem audiovisuellen Overkill. Die Schnittfrequenz erreicht zuweilen die Dichte eines Videoclips. Doch dieser opulente Bildersturm ist kein Selbstzweck. Er verdeutlicht das Fließen der Geldströme und die atemlose Schnelligkeit, mit der Entscheidungen im permanenten Blindflug getroffen werden. Durch den Informations-Overkill wird aber auch ironisch klar, dass die Worte leer klappern und trotz akribischer Erklärung niemand so recht durchsteigt. Wird beispielsweise ein Koch gezeigt, der vor der Kamera Fischabfälle zu einem lecker aussehenden Gericht garniert, dann wird nachvollziehbar, wie findige Banker immer wieder neue „stinkende“ Finanzprodukte kreieren, die den Anleger täuschen. Doch irgendwann beißt die Schlange sich in den Schwanz.

Neben Ryan Gosling und Steve Carell überzeugt vor allem Christian Bales exzessives method acting. Seine Figur illustriert die Binsenweisheit des Einäugigen, der unter Blinden König ist. Als Kind, so zeigt es eine Rückblende, fiel ihm beim Baseball einmal das Glasauge heraus, worauf er disqualifiziert wurde. Wenn Bale sich permanent im Gesicht herumfummelt, dann ist man darauf gefasst, dass er sich tatsächlich das Auge herausnimmt. In seinem Büro hört dieser inspirierte Chaot ohrenbetäubende Death Metal Musik. Eine beinahe klischeehafte, aber doch wirkungsvolle akustische Metapher für den nahenden Zusammenbruch, den er wie ein Zen-Meister vorherahnt – und dabei kräftig absahnt.

Sehenswert ist der 130-minütige „Crash“-Kurs, weil er den Kapitalismus nicht eindimensional als das Böse schlechthin verteufelt. Gemäß der populären Sichtweise, die beispielsweise Don DeLillo in seinem von David Cronenberg eins zu eins adaptierten Roman „Cosmopolis“ postulierte, haben die globalen Finanzströme, die an den Börsen hin- und hergeschoben werden, nichts mehr mit der realen Ökonomie zu tun. Diesen verkürzten Gedanken transportiert auch Martin Scorseses „The Wolf of Wall Street“. Während Leonardo DiCaprio als erfolgreicher Börsenmakler in einem modernen Sodom und Gomorrha den Dauerexzess lebt, wird Scorseses Film extrem ermüdend, weil er sich von Thema des Aktienhandels völlig loskoppelt.

Ganz anders „The Big Short“. Hier wird die Verknüpfung zwischen der Spekulationsblase und der realen Wirtschaft konkret greifbar. Pointierte Szenen machen transparent, dass es um die Schicksale zahlreicher kleiner Immobilienbesitzer geht, die ihre Häuser verlieren und unter Brücken schlafen. Obwohl der Film in diesem Punkt noch etwas präziser hätte sein können, ist McKays Wirtschaftsthriller eine packende filmische Reflexion über den einstürzenden Elfenbeinturm der Hochfinanz. „The Big Short“ ist sozusagen die Spielfilmversion zu Marc Bauders Dokumentarfilm „Master of the Universe“, in dem ein ehemaliger Investmentbanker Einblicke in das Innenleben der Börse gibt. Eine synchronisierte oder besser eine untertitelte Fassung ist für McKays Fall ratsam.

Hier gibt es eine weitere Kritik zu ‚The Big Short‘.

Benotung des Films :

Manfred Riepe
The Big Short
USA 2015 - 130 min.
Regie: Adam McKay - Drehbuch: Michael Lewis, Adam McKay, Charles Randolph - Produktion: Dede Gardner, Brad Pitt - Bildgestaltung: Barry Ackroyd - Montage: Hank Corwin - Musik: Nicholas Britell - Verleih: Paramount Pictures - FSK: ab 6 Jahren - Besetzung: Brad Pitt, Christian Bale, Karen Gillan, Selena Gomez, Marisa Tomei, Ryan Gosling, Steve Carell, Finn Wittrock, Max Greenfield, Melissa Leo, Billy Magnussen, Rafe Spall, Sue-Lynn Ansari, Hamish Linklater, John Magaro
Kinostart (D): 14.01.2016

DVD-Starttermin (D): 02.06.2016

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1596363/
Foto: © Paramount Pictures