Erinnerst du dich an morgen? Die Schwester Thomasina und Martha alias Thom und Mars lieben David Bowies Ziggy-Stardust-Perfomance in den 1970er-Jahren, singen in der Badewanne laut dessen Hit „Major Tom“ mit. Schön und gut. Die Sache ist aber die: Die beiden Schwestern leben im London des Jahres 1941, David Bowie gibt es – zumindest in der Form – noch gar nicht: Der Musiker wird erst 1947 geboren.
Wie kommt’s also? Der Vater der beiden, ein Erfinder, hat den in einem alten großen Haus wohnenden jungen, naturwissenschaftlich hochbegabten Frauen einen Apparat namens „Lola“ (nach dem Namen der Mutter) vermacht. Du stellst das Datum in der Zukunft ein und schon gibt es elektronische Übertragungen aller Art aus dieser Zeit zu hören und zu sehen. Wie das im Einzelnen vor sich geht, wird zwar immer mal erklärt, aber so genau muss man es auch nicht wissen; Schrödingers Katze geht es in Andrew Legges innovativem Schwarzweißfilm „Lola“ jedenfalls prima.
Der Blick in die Zukunft wird ernst, als sich das Militär einschaltet. Täglich fliegen die Deutschen Bombenangriffe auf Englands Hauptstadt, Thom und Mars warnen die Bevölkerung punktgenau, aber anonym, sie kennen den Kriegsfunk vom nächsten Tag. Die Schwestern werden entdeckt und treten in den Dienst der militärischen Abwehr und des Antifaschismus. Schon bald haben sie Erfolge – für die schnell mal andere gefeiert werden. Für Fehlentwicklungen dürfen sie dann aber wieder geradestehen. Denn leider hat der gute Wille unerwünschte Nebenwirkungen, verhindert man das eine Gräuel, entsteht womöglich ein anderes, noch größeres. Der Zweite Weltkrieg nimmt einen anderen Ausgang, den man mit Sicherheit nicht geplant hat…
Geschickt wird hier mit den Möglichkeiten einer unmöglichen Beeinflussung der Gegenwart durch den Blick in kommende Zeiten gespielt. Der Film, der deutlich optische Anleihen nimmt an Wochenschauen und wissenschaftskritischen Filmen der Vor- und Nachkriegszeit, ist mit 80 Minuten Dauer nicht nur recht kurz, sondern auch immens kurzweilig und stellt durchaus Kernfragen der politischen Philosophie: Wie viele Menschen darf man opfern, um eine noch größere Anzahl zu retten? Sind alle Mittel, über die man verfügt, einzusetzen? Dass das gut gemeinte Engagement ins krasseste Gegenteil kippt, gibt dem Film zudem eine tragische wie bissig-satirische Note. „Lola“ ist stilistisch und ironisch hochkomprimiertes Kino. Filmkunst.
Hier gibt es eine weitere Kritik zu „Lola“.
Diese Kritik erschien zuerst am 13.12.2023 auf: links-bewegt.de