The Whale

(USA 2023; Regie: Darren Aronosky)

Das enge Leben

Kino der härteren Gangart bietet „The Whale“ des Ausnahmeregisseurs Darren Aronofsky. Mit Filmen wie „The Wrestler“ und „Black Swan“ inszenierte er mit Hollywoodstars rabiate Körperlichkeit als Kinoereignis.

An diese Filme schließt er nun mit einem Werk an, das auf einem erfolgreichen Theaterstück beruht, dessen Hauptfigur mit über 200 Kilo schwerst adipös ist. Charlie, dargestellt von – in diesem Fall kann man in der Tat von Hollywood-Schwergewicht sprechen – Brendan Fraser im Fatsuit, hat eine traumatische Biografie, die er zum Anlass nimmt, sich extrem zu vernachlässigen. Unablässig stopft er Chips und Schokoriegel in sich rein, lässt den Pizzadienst täglich doppelt anfahren und stapelt das Essen übereinander. Als durchaus feinsinniger Literaturdozent analysiert er online mit seinen Studenten Hermann Melvilles epochales Werk „Moby Dick“, in dem der aggressive Walfänger Ahab den weißen Wal jagt. Welch bedrückende Geschichte, sagen die Studenten. Charlie erkennt sich indes selbst in Wal und Ahab als eine Person. Als vom Leben lädierte Figur, die letztlich sich selbst zur Strecke bringt.

Die „Moby Dick“-Thematik ist äußerst kunstvoll ins Skript gewoben. Charlie hat vor Jahren ohne Rücksicht auf Verluste seine Familie verlassen, um mit einem Studenten eine Beziehung zu führen, der bald darauf starb. Der Freund war in einer radikalen Christensekte aufgewachsen, konnte seine Lebensführung nicht mit den erlernten religiösen Dogmen in Einklang bringen. Immer wieder wird Charlie von einem Wanderprediger ebenjener Provenienz aufgesucht, die seinen Lebenspartner zur Strecke brachte.

Charlie weiß, dass sein übermäßiger Nahrungsmittel-Konsum – Stichpunkte: Bluthochdruck, Herzinsuffizienz u. a. – irgendwann seinen eigenen Tod bedeuten wird. Vorher aber will er wieder mit seiner Familie in Kontakt treten. Nicht einfach: Seine Ex-Frau Mary hängt an der Flasche, Tochter Ellie ist eine Jugendliche voller Gewaltgefühle.

Aronofskys Film: Einerseits eine Reflexion über Lebensgewohnheiten manch Durchschnittsamerikaners voller schlechtem, aber extrem kalorienreichem Plastikfutter und ohne Krankenversicherung, andererseits komplexes Familiendrama, zusammengeführt auf der recht begrenzten Fläche eines Wohnzimmer-Sofas.

Schauspieler Brandon Fraser glänzt sicher in einer perfekten Maskerade als Schwergewichtiger auf engstem Raum, keine Frage. Und doch bleibt dieses Werk unter seinen Möglichkeiten, besteht es in der zweiten Hälfte aus reichlich Weinen und Umarmen und erzählerischem Herumstehen. Dramaturgische Stringenz war Aronofskys Ding zwar noch nie, hier aber liefert er die visuell ehrlichen Momente, die den Film hätten ausmachen können, oft eher nicht, vielleicht um dem Vorwurf des Voyeurismus auszuweichen. Welche Schwierigkeiten Charlies Dasein mit sich bringt, wird oft nur angedeutet. Der Regisseur vermeidet allzu drastischer Darstellung; übrig bleibt letztlich ein jugendfreies Familiendrama. Aber das ist auch echt ‘ne Geschmackssache, vielleicht ist der Film genau richtig so, indem er bei manchen Dingen eben in Andeutungen verbleibt. „The Whale“ dürfte jedenfalls eines der spektakulärsten Kinoereignisse des Jahres sein.

Diese Kritik erschien zuerst am 25.04.2023 auf: links-bewegt.de

The Whale
USA 2023 - 117 min.
Regie: Darren Aronosky - Drehbuch: Samuel D. Hunter - Produktion: Darren Aronofsky, Jeremy Dawson, Ari Handel - Bildgestaltung: Matthew Libatique - Montage: Andrew Weisblum - Musik: Rob Simonsen - Verleih: Plaion Pictures - Besetzung: Brendan Fraser, Sadie Sink, Ty Simpkins, Hong Chau
Kinostart (D): 27.04.2023

DVD-Starttermin (D): 27.07.2023

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt13833688/
Foto: © Plaion Pictures