Der Zweite Weltkrieg, der sich im Gesicht eines Jungen abspielt – das ist der sowjetische Spielfilm „Komm und sieh“ aus dem Jahr 1985, der, nach einer sehr kurzen Spielzeit im letzten Herbst, nun online und als DVD restauriert zur Verfügung steht.
Regisseur Elem Klimow war sich sicher, nicht mehr aus dem Medium Kino herauszubekommen als diesen Film, der die Ereignisse im von der deutschen Wehrmacht überrollten Weißrussland im Jahr 1943 aus der Perspektive des Jungen Florja zeigt – und stellte danach das Filmemachen kurzerhand ein.
Zu Beginn des eindrucksvollen Films sehen wir Florja, halb spielend, halb schon kämpfend, mit einem Freund nach alten Gewehren im Sand wühlen. Er will zu den Partisanen, aber ohne Waffe werden sie ihn nicht nehmen. Seine Mutter will nicht, dass er in den Krieg zieht, sie macht ihm eine Szene. Er solle sie töten, ruft sie, und seine Geschwister auch, dann wüsste er, was Krieg ist.
Trotzdem geht er, doch im Partisanenlager will man ihn nicht. Gerade mal seine Schuhe darf er abgeben, damit ein anderer damit kämpfen kann. Doch auf seinem Rückweg zur Familie kann er Krieg haben, so viel er will: Zu Hause sind alle ermordet worden, die deutschen Soldaten haben seine Leute umgebracht. Die Handlung gipfelt in der Vernichtung der Bewohner des Nachbardorfes: Florja wird Zeuge und beinahe selbst Opfer, als sie von der SS und anderen deutschen Einheiten in eine Scheune gesperrt und verbrannt werden.
„Komm und sieh“ ist ein Film, dessen Kameraführung konsequent vom Blick des Betroffenen geleitet wird, niemals sind hier die Täter schon deswegen im Vorteil, weil sie die Handelnden sind und Film das Medium der Aktion ist. In vielen Kriegsfilmen wird die Anwesenheit des Aggressors auf fremdem Terrain mit unhinterfragbarer Selbstverständlichkeit dargestellt. In diesem Film nicht, denn jede Einstellung, die die deutschen Soldaten zeigt, stellt ihre Existenz an diesem Ort infrage: Was wollen diese Menschen dort?
„Der Krieg ist schuld“, werden sie später sagen, wenn sie den Partisanen in die Hände gefallen sind. „Wir können gar nichts dafür.“ Dass wir 100 Menschen in der Scheune exekutiert haben. Auf 628 vernichtete Dörfer sind die Mörder in Weißrussland, gekommen, wird der Abspann den Zuschauern mitteilen.
Nicht die Täter, sondern das Gesicht Florjas steht hier im Zentrum: Minutenlang nimmt sich Klimow immer wieder Zeit für seinen jungen Protagonisten, protokolliert die Verwandlung eines unbekümmerten Jungen in einen schmerzzerfressenen alten Mann, obwohl die Ereignisse nur wenige Tage umfassen. Der Titel des Films leitet sich aus der Offenbarung des Johannes ab, der Ausruf „Komm und sieh“ fordert in diesem Bibelteil dazu auf, die Verheerungen durch die vier Reiter der Apokalypse anzuschauen. Und Florja muss viel anschauen.
Dennoch schafft Klimow auch für die Fantasien des Jungen Raum, erlaubt schöne und traumhafte Szenen, vor allem zwischen ihm und Glascha, einer jungen Frau, die später von den Deutschen aufs Übelste misshandelt wird. Es gibt in diesem Film Szenen, da versinkt Florja bis zum Hals im Sumpf. Aus Menschen Erde zu machen, das ist wohl eine Folge von Krieg. Dieser außergewöhnliche Film, der zeigt, was Kino vermag, eines der letzten großen Werke aus Sowjetzeiten, erzählt davon.
Diese Kritik erschien zuerst am 03.02.2021 auf: links-bewegt.de