Black Light: Nicht eine afroamerikanische (Film)Kultur, sondern viele (Teil 3)

"The Harder They Come" (Perry Henzell, Jamika 1972)
von Nicolai Bühnemann

Was bisher geschah: am 10. März 2020 eröffnete das Berliner Kino Arsenal eine Reihe zum Schwarzen, (nicht nur US-)amerikanischen Kino mit einem Screening von Melvin Van Peebles Independent-Klassiker „Sweet Sweetback’s Baadassss Song“ und einer Einführung von Craig de Cuir Jr., Kurator der Reihe. Wenig später musste das Kino aufgrund von Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit einstellen. Ich entschloss mich, meine Reihe mit Notizen zu den dort programmierten Filmen zunächst dennoch fortzusetzen (schrieb dann aber tatsächlich nur noch einen Text zu Sam Fullers großartigem „White Dog“). Nun hat das Kino in eingeschränktem Umfang und mit Schutzvorrichtungen seinen Spielbetrieb wieder aufgenommen – und kann also auch die Reihe fortführen, die dort noch bis Ende August laufen wird.

Anders als zunächst geplant, habe ich mir Perry Henzells jamaikanische Blaxploitation-Variation „The Harder They Come“ (1972) dann doch nicht im Arsenal angesehen, wo ich den Film bereits vor einigen Jahren sah (es wäre mein erster Kinobesuch nach dem Lockdown gewesen), sondern auf der deutschen DVD, die seit Jahren bei mir im Regal steht (sie ist übrigens ebenfalls sehr empfehlenswert).

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Unter den Händen von Drehbuchautor, Regisseur und Produzent Henzell wird seine jamaikanische Heimat zu einem dicht wuchernden Urwald der Zeichen. Zunächst sind da die alten Busse, die über mit Palmen gesäumte Schotterpisten ruckeln und das lebhafte quirlige Treiben auf den Straßen Kingstons, auf eine Art und Weise bunt, die von gängigem Exotismus gar nicht so leicht zu unterscheiden ist. Dann die Zeichen des internationalen Kapitalismus: die Plakate und Leuchtreklamen, durch Zwischenschnitte akzentuiert, der Mercedesstern am Auto eines einflussreichen Musikproduzenten.

Weiterhin die Zeichen des Kinos, indirekt durch die Folie des ein Jahr zuvor genauso unabhängig produzierten „Sweet Sweetback“, der sich durch eine gleichermaßen eigenwillige Mischung aus Exploitationkino und avantgardistischen, bisweilen experimentell anmutenden Elementen auszeichnet – und der ebenfalls von einem schwarzen Mann auf der Flucht erzählte, bei Henzel heißt er Ivan Martin (Jimmy Cliff) (wobei sich die unterschiedliche Geschichte Jamaikas und der USA darin offenbart, dass hier die Schwarzen keine unterdrückte Bevölkerungsminderheit sind, sondern die Mehrheit bilden, das bedeutet: was dort auch ein ethnischer Konflikt ist, wird hier ausschließlich zu einem der Klassen, wobei die schwarze Elite deutlich Platzhalter der einstigen weißen Kolonialherren ist). Dann aber auch direkt durch Sergio Corbuccis Italo-Western-Meisterwerk „Django“ (1966), das in einem örtlichen Kino läuft. Die Zwischenschnitte auf die gespannten und begeisterten Gesichter der Männer im Publikum offenbaren, wie groß die Bereitschaft des jamaikanischen Prekariats ist, sich mit einem Mann zu identifizieren, der mit allen Mitteln gegen korrupte und brutale Machthaber kämpft. Schließlich, aber sicherlich nicht zuletzt ist da der Soundtrack von Hauptdarsteller Jimmy Cliff, der so erfolgreich wurde, noch in meiner Kindheit in den Achtzigern derart omnipräsent war, dass er das Partikulare, das einen Film wie diesen auszeichnet, zumindest fast fünfzig Jahre später retrospektiv betrachtet, meilenweit hinter sich lässt: „You Can Get it if You Really Want“ ist kein schwarzer, kein jamaikanischer Song mehr, nicht in erster Linie Teil des Soundtracks des Films, der heute nur noch in Fachkreisen bzw. einer cinephilen Nische sichtbar ist: Es ist ein internationaler Riesenhit, der letztlich nur noch eine Sprache spricht: die des Geldes.

Die Entkopplung von Musik und Film ist dabei wiederum ein Phänomen, das sich auf mindestens zwei Ebenen vollzieht. Zunächst ist es die des Sängers und des Darstellers Jimmy Cliff: Während die Songs des Ersteren in der Welt des Films (den späteren Erfolg der Musik auf verblüffende Weise vorwegnehmend) als Hits allgegenwärtig sind, Musik als verbindendes Element im Zentrum der Gesellschaft steht, über die der Film einen größeren, panoramatischen Überblick gewährt, kämpft sich die Figur des Letzteren als kleinkrimineller Drogendealer durch deren Peripherie. Dann konterkariert die Narration des Films aber auch gerade das berühmte: „You can get it if you really want / But you must try, try and try, try and try / You‘ll succeed at last“. In einer Gesellschaft, in der dem Lumpenproletarier, erstens, keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten bleiben außer Musik zu machen oder Gras zu verkaufen und in der, zweitens, seine Arbeitskraft in beiden Bereichen vollkommen schamlos vom nationalen (Musik) bzw. internationalen (Cannabis) Großkapital ausgebeutet wird, kann er es definitiv nicht schaffen, zu Erfolg, einem besseren Leben (ohne Anführungsstriche!) zu gelangen, wenn er sich nur hart genug anstrengt.

Wo der Song eine perfekte Vorwegnahme der Ideologie des Neoliberalismus bietet (gut möglich, dass das ebenso sehr einer der Gründe seines Erfolgs ist wie seine regelrecht unverschämte musikalische Eingängigkeit, seine ungeminderte Ohrwurmtauglichkeit, die mich durch das Schreiben dieses Textes begleitet), erhebt sich der Film zu dessen Kritik. Dabei ist entscheidend, dass diese Kritik eine aus der internationalen Peripherie ist. Die US-amerikanische Drogenpolitik, die dazu führt, dass in Jamaika die Hanfplantagen niedergebrannt werden (wie in Südamerika die Cocaplantagen), wird hier ausdrücklich in den Blick genommen, der dann nicht mehr der des Protagonisten ist, der nur die Auswirkungen dieser Politik zu spüren bekommt. Zugleich scheint das, was uns „The Harder They Come“ aus dem jamaikanischen Prekariat der frühen Siebziger erzählt, auch vorwegzunehmen, was die etwas später einsetzende Neoliberalisierung für die armen Menschen in den westlichen Industriestaaten bedeutete: Aus der Arbeiter- wurde eine Nichtarbeiterklasse, aus Teilen des Proletariats ein Lumpenproletariat, das es eben gerade nicht mehr schaffen konnte, wenn es das nur wirklich wollte – sondern sich höchstens mit mehreren Jobs oder dem Abgleiten in die Kleinkriminalität über Wasser hielt.

Aus den vielfältigen Verwicklungen der Interessen, der Vermengung des lokalen Unrechts, das Straftäter mit Peitschenhieben zu zügeln trachtet, und des globalen, dem ihre Arbeitskraft, ihre Körper nur Mittel zum einzigen Zweck der Akkumulation von Kapital sind, gibt es für Ivan Martin schließlich keinen Ausweg. Auf den Outlaw in der Karibik wartet am Ende nicht wie auf Sweetback (und so viele – seiner vorwiegend weißen – Vorgänger*innen und Nachfolger*innen) ein Mexiko, wo er nicht nur vor Strafverfolgung sicher ist, sondern auch zur heroischen Geste einer letzten Drohung ans Establishment back home ausholt, irgendwann zurückzukommen, um alte Rechnungen zu begleichen. Dennoch verbindet die beiden Filme, dass ihre Helden nicht zu Märtyrern werden: Wo auf Sweetback (auch die persönliche) Freiheit wartete, gelangt Martin zu einer Apotheose als Kinoantiheld: Die Zwischenschnitte auf das Publikum der Kinovorführung zu Beginn während des letzten Feuergefechts mit der Polizei lassen ihn zu einer Wiedergänger Djangos werden, der allerdings, anders als sein weißes Vorbild, am Ende nicht überlebt. (Übrigens stellt auch diese finale Aneignung popkultureller Mythen den Film deutlich in eine Tradition mit der US-Blaxploitation seinerzeit: Im Vorspann von „Foxy Brown“ (Jack Hill, 1973) wandelt mit Pam Grier eine afroamerikanische Darstellerin deutlich auf den Spuren James Bonds, Clint Eastwoods und Bruce Lees.)

Wenn in „The Harder They Come“ jedoch noch Platz für so etwas wie eine kleine Utopie ist, dann findet sie sich nicht in diesem Ende, an dem ein „realer“ Mann im Tod als Leinwandfigur unsterblich wird, sondern in einigen Szenen zuvor: Wenn Martin etwa mit seinem love interest gemeinsam auf einem Fahrrad einen Strand entlangfährt, werden ihm schöne kleine Momente der Ruhe inmitten der Hektik der Flucht vergönnt, die alles sind, was ein Mensch in seiner Situation vom Leben wohl erwarten kann.

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Heute Abend, es ist der 31. Juli 2020, werde ich nun tatsächlich das erste Mal seit dem Lockdown ins Kino gehen. Im Arsenal läuft Shirley Clarkes „The Cool World“ von einer 35mm-Kopie – im Rahmen der Filmreihe „Black Light“.

Foto: © Arsenal Filmverleih