Ricky hat die super Idee. Der Gelegenheitsarbeiter, der mit Frau und Kindern von kleinen Handwerkerjobs lebt, will ins Paketzustellergewerbe wechseln. Endlich selbständig! Der neue Boss, den es gar nicht richtig gibt, weil Ricky Franchise-Nehmer wird, verspricht enorme Gewinnmargen. Ricky träumt vom eigenen Haus und Wohlstand. Dass er nicht das hellste Licht unter der Sonne ist, stellt er dann zu Hause unter Beweis. Den Transporter muss er von der Privatpost mieten, Geld für die Kaution braucht er auch. Seine Frau Abby, freiberufliche Altenpflegerin, soll dafür ihr Auto verkaufen. Restvernünftige Gegenreden lässt Ricky nicht gelten, ab jetzt muss Abby mit dem Bus zu den alten Leuten fahren. Er selbst schiebt 14 Stunden täglich Amazon-Prime-Dienst. Das Elend kommt mit Ansage: Bei jeder Verzögerung muss Ricky Vertragsstrafen zahlen. So rutscht die kleine gestresste englische Familie immer weiter hinein ins Elend.
Ken Loachs neuer Film „Sorry We Missed You“ nimmt sich die Gig- und Plattform-Ökonomie vor und trägt sie ins populäre Kino. Der Titel – diesen Satz hinterlassen die Paketausfahrer, wenn der Adressat nicht zu Hause ist – steht für den Stress, den die prekären Jobber täglich haben. Kaum ein Regisseur widmet sich so konsequent den miesen Ausformungen der Arbeitswelt und macht sie dann fürs große Kino rezipierbar. Dafür Chapeau. Der 83jährige, sonst mit BDS-Propaganda beschäftigt, beschreibt hier ein Prekariat, zu dem nicht mal mehr der Sozialarbeiter kommt, weil die Selbstausbeutung das ganze Leben ausfüllt. Da schaut nur noch der Filmkritiker zu.
Mit dem statischen Aufbau kann man aber auch seine Probleme bekommen: Die Figuren kommen recht holzschnittartig rüber, sie dienen oft nur als Aufsager einer vorher festgeschriebenen Katastrophe – Eigendynamik Fehlanzeige. Was diesen Laienspielaufführungen mal guttäte, wären Schauspieler aus einer anderen Liga, auch wenn Katie Proctor als Nesthäkchen Liza eine tolle Performance abliefert. Aber nicht auszudenken, würde Michael Fassbender den Lieferanten machen. Und sogar Platz für Selbstironie hätte es gegeben: Ricky-Darsteller Kris Hitchen war vor vielen Jahren beim Vorsprechen für einen Loach-Film – und wurde abgelehnt. Da wollte einer Karriere im linken Kino machen und durfte nicht. Hier wäre ein Cameo-Auftritt für Loach dringewesen.
Diese Kritik erschien zuerst in: KONKRET 02/2020