Streik

(F 2018; Regie: Stéphane Brizé)

Arbeiterkampf und Heldenerzählung

Keine zwei Jahre ist es her, da unterzeichnete die Firmenleitung des Autoteilezulieferers Perrin mit den 1.100 Angestellten in seinem Werk im südfranzösischen Agens ein Abkommen: Die Belegschaft nimmt Lohnkürzungen in Kauf, dafür ist die Arbeit für die nächsten fünf Jahre sicher.

Papier ist geduldig. Der deutsche Mutterkonzern will das Werk jetzt doch schließen. Die Produktion soll innerbetrieblich optimiert werden. Die Folge: Das französische Werk wird überflüssig, obwohl es profitabel arbeitet. Die französischen Arbeiter wollen das nicht hinnehmen. Da, wo sie wohnen, gibt es sonst nichts.

Das ist die einem realen Fall nachempfundene Ausgangslage in Stéphane Brizés Gewerkschafterfilm „Streik“, im Original „En guerre“ (Im Krieg). Mit seinem aktionistischen Kameraeinsatz, dem Wechsel von Nachrichten, Gesprächsrunden und Streiks erinnert „Streik“ in der Tat an einen Kriegsfilm wie „Starship Troopers“. Brizé erzählt das, was hinter den Bildern solcher Prozesse steht, die in den Nachrichten landen: umgeworfene Autos, brennende Holzstapel, verprügelte, halbentkleidete Konzernmanager.

„Streik“ ist eine schnell geschnittene Reihe von Streikaktionen, Gebrüll zwischen Mitarbeitern, mit Ordnungskräften, mit Vertretern von Politik und Personalabteilung. Der Gewerkschafter Laurent Amédéo (Vincent Lindon) dient Brizé als Brennglas für diese Auseinandersetzungen. Er ist erfahren in Arbeitskämpfen, hat den letzten Kompromiss maßgeblich mit der Unternehmensleitung ausgehandelt. Aber wenn schon Profitabilität im Kapitalismus keine stabile Größe ist, was dann?

Die Chefs sollen zu ihrem Wort stehen. Die antworten mit dem üblichen Kopfschütteln. Die Politik hat ähnlich Substanzielles beizusteuern: „Man darf Unternehmen gründen und schließen. Das ist unternehmerische Freiheit“, sagen Minister und andere mit gesicherter Pension ins Mikrofon, sobald man eines hinhält.

Die zunächst friedlichen Aktionen werden ruppiger, weil der Sicherheitsdienst der Firma gut zuschlagen kann. Das ist bis ins kleinste Detail gut beobachtet und arrangiert. Brizé schildert auch, wie man sich im Betrieb gegenseitig fertigmacht. Einigkeit herzustellen ist für Laurent ein sehr schwieriges Projekt; die den Arbeitern angebotenen Abfindungen erledigen ganz schnell die Solidarität.

Es geht um die untere Mittelschicht, die brav Steuern zahlt, den Laden am Laufen hält und sich ab und zu ein schlechtes Tattoo gönnt. Mit ihren Arbeitsplätzen wird auch ihre Lebensform untergehen. Und während in Deutschland kulturspezifische Debatten im Fokus stehen, scheint die populäre französische Kultur viel eher nach der materiellen Grundlage zu fragen. Liest man etwa Rezensionen zu Michel Houellebecqs aktuellem Roman „Serotonin“, findet es im deutschen Feuilleton meist weniger Interesse, dass es darin um den Niedergang der französischen Landwirtschaft geht.

Diese Transformationskrisen treffen eben ganz viele, ganz unterschiedliche Leute und Branchen. Und so wundert es nicht, dass eine „Bewegung“ wie die Gelbwesten so schwer einzusortieren ist. Weil sie ein Sammelbecken für völlig verschiedene Gruppierungen ist. Brizés Film bietet hier eine Deutung an.

© Neue Visionen

So weit, so gut. Aber „Streik“ soll auch Heldenerzählung sein, und das wirkt recht überstilisiert. Laurent ist mehr als eine Hauptfigur, er ist der Fixstern dieses Films: ein Kämpfer vor dem Herrn, der die Rettung der Arbeitsplätze zum Lebensinhalt macht. Er ist der dünne Schmerzensmann des Streiks. Geschätzte 90 Prozent des Films sehen wir sein Gesicht, das klagt, verhandelt, agitiert. Es kündet davon, wie weit man mit Wut kommt.

Dabei täte durchaus mehr erzählerische Breite und weniger Lindon gut. Insbesondere die Rolle seiner Mitstreiterin Mélanie (Mélanie Rover) ist unterbelichtet. Die ebenfalls engagierte Gewerkschafterin sitzt bei allen Verhandlungen dabei, organisiert und macht und tut. Doch Brizé scheint sich nicht sonderlich für sie zu interessieren. Sie erscheint als Beiwerk eines Epos. Dabei wäre ihre Rolle absolut ausbaufähig. Sie rackert sich ab – aber nicht total. Angesichts der Arbeitskampfrituale verdreht sie schon mal die Augen, wo die Männer hochdrehen. Sie verkörpert eine andere Haltung: So wichtig die Arbeit ist, es könnte womöglich ein Leben geben, das weitergeht, selbst wenn die Firma schließt. Und vor allem: Mélanie will nicht sterben für den Laden – was Laurent anders sieht.

Sie steht für jene, die betroffen sind, aber nicht in die erste Reihe drängen. Dort steht einsam der Anführer. Da stellen sich Fragen: Was ist, wenn es so einen wie Laurent nicht gibt? Gäbe es andere Aktionsformen? Würde gar nichts passieren? Das kann die Erzählstruktur des Ein-Mann-Feldzugs nicht beantworten. Zu sehr gefällt sich der Film darin, allein Schauspieler Lindon die Rolle des Übermenschen zuzuweisen, der zur Katastrophe bereit ist.

Und noch etwas anderes kümmert im Film nicht: Wenn dieses Werk nicht schließt, dann ein anderes. Was ist mit den Arbeitnehmern dort? Was ist mit konzernweiter Solidarität? Zudem: Dies ist zwar ein Film über einen Gewerkschafter, aber die Gewerkschaft tritt so gut wie nicht in Erscheinung.

Aber Auslassungen wie diese können auch zu Diskussionen über Film und Stoff führen. Das Kino, wie Brizé es interpretiert, wird noch einige Gelegenheit bekommen, die Auseinandersetzung zwischen Mensch und Markt zu beschreiben. Die Modernisierungswelle, die die E-Mobilität verheißt, beginnt erst, über die europäische Wirtschaft zu schwappen. Dann werden Arbeitsplätze in ganz anderer Größenordnung verlorengehen. Dass ein Werk Profit macht, ist jetzt schon zur nur mehr moralischen Frage verkommen. Mit der Industrie 4.0 dürften zwar neue Branchen entstehen, aber alte eben unwiederbringlich untergehen. Die, die davon betroffen sein werden, dürften mehr als einen Kinosaal füllen.

Dieser Text erschien zuerst in: KONKRET 05/2019

Streik
(En guerre)
Frankreich 2018 - 114 min.
Regie: Stéphane Brizé - Drehbuch: Stéphane Brizé, Olivier Gorce - Produktion: Philip Boeffard, Christophe Rossignon - Bildgestaltung: Eric Dumont - Montage: Anne Klotz - Musik: Bertrand Blessing - Verleih: Neue Visionen - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Vincent Lindon, Mélanie Rover, Jacques Borderie, David Rey, Olivier Lemaire, Martin Hauser
Kinostart (D): 25.04.2019

DVD-Starttermin (D): 24.09.2019

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt7555774/
Foto: © Neue Visionen