Armer Ethan. Beziehungsglück und Teilhabe am Alltag einer Community sind ihm versagt. Nach Hause kann er nicht mehr: Sein Zuhause ist das Unterwegs-Sein in den Konflikten einer unsicheren multiethnischen Welt. In dieser Welt ist er ein Jäger, ein Suchender. Deshalb heißt Ethan auch Hunt – und deshalb heißt der andere Film, in dem Ethan heimatlos bleibt, „The Searchers“. Als John Wayne 1956 in letzterem Westernklassiker von John Ford den knorrigen Ethan Edwards auf seiner verbissenen Jagd verkörperte, war er 49, mehr als eine halbe Dekade jünger als Tom Cruise in seinem nunmehr sechsten „Mission: Impossible“-Film.
Wie einst der Western (auch die Filme des jungen John Wayne) galt auch das Actionkino lange Zeit als die zirkushafte Präsentation spektakulärer Nummern. Darin ist auch „Mission: Impossible – Fallout“ am besten; einige Setpieces sind wirklich beeindruckend, zumal Choreografien mit dem – samt einem ebenfalls beeindruckenden Schnauzer – beigestellten Henry Cavill: Eiffelturmzielspringen, Herrenklodögeln, Helicopterrempeln, Steilwandkraxeln. Hatte Cruises Quasi-Schwimmen „im Computer“ im vorigen „Mission: Impossible“-Film an sein zum Blockbuster-Mem gewordenes Schweben „im Computer“ aus dem ersten „Mission Impossible“-Film angeknüpft, so fungieren auch hier schon allein die Action-Nummern als Reminiszenzen an die Frühphase dieser Action-Ikone: Wir sind wieder in Paris und auf engem Raum hubschraubend aktiv wie im ersten (bzw. dritten) Film, wir freeclimben wieder im senkrechten Fels wie am Beginn des zweiten. Das ist natürlich nicht Geschichtsbewusstsein, sondern ein unweigerliches Moment narzisstischen Bezugs zur eigenen Tradition, aber immerhin: Zweiterer kommt ersterem so nah, dass die Vorstellung, es habe so etwas wie Geschichte gegeben (oder einst einen anderen Ethan), noch im Raum bleibt.
Dabei ist Geschichte – „natürlich“ ließe sich auch hier sagen – im „Mission Impossible“-Zirkus weitgehend durch automatische Abläufe ersetzt. Tom heißt zurecht, wer so stur wie ein AuTomat an der Entschärfung einer Atombombe werkt. Und im Vornamen der Ethan Hunt-Figur trägt Cruise das unerbittliche Pflicht-Ethos, das ohne Reibungsverlust auf Signale reagiert, uhrwerkhaft, ähnlich all den Automatismen, die rund um ihn ablaufen und Daten fließen lassen: Tabletpräsentation, Navinutzung, Tastenakrobatik, hier Knopf im Ohr, da Chip im Hals. Wobei der Verdacht nahe liegt, dass Cruise, Rebecca Ferguson, Ving Rhames und die anderen hier beim Rumrennen ständig nur die Finger ans Ohrläppchen halten, was so viel bedeutet wie Funksprechkontakt mit dem Einsatzmonitoring (Reden ohne Ohrläppchenbetastung hingegen bedeutet: Dialog mit den Leuten im Raum), als wär’s ein Kinderspiel-Code aus der Zeit der Cowboy-Filme. Und: Das Injizieren von Signaltrackern mittels Druckluftpistolen gerät hier zu einer Manie bzw. Routinegeste – ähnlich dem einstmals verselbständigten Gebrauch der „Bleispritze“ in alten Western mit und ohne John Wayne.
Wird Ethan es wieder schaffen? Die Frage ist – hör ich hier ein „natürlich“? – längst vom Projekt der Weltrettung vor dieser oder jener Bedrohung auf die sich (wie es heute normal ist) selbst abbildende Franchise-Logik übergegangen, und die heißt Überbietung. Dass es sich erfolgreich wiederholt, meint, dass es noch extremer wird – und dafür bringt dieser kleine, kompakte, sich schindende, sich und uns viel zu wenig von seinen mimischen Fähigkeiten gönnende Schauspieler immer prekärere Voraussetzungen mit. Wird da jemand alt? Bleibt Cruise für immer jung? (Und was sagt Scientology dazu? Das hat „uns“ doch einmal so beschäftigt, als Cruise 2008 den St. Auffenberg spielte, obwohl er für die Rolle zu alt, zu hässlich und zu undeutsch war…) Das fragt sich umso mehr, als nun für den Sechser, ein Novum im „M:I“-Zirkus, nicht die Inszenierungsmarke gewechselt wurde, sondern der Regisseur beibehalten wird – so wie hier erstmals auch Nicht-Team-Figuren aus dem 2015er Film –, nämlich Christopher McQuarrie: Als findiger Routinier ohne ausgeprägte Trademark (wie sie alle „M:I“-Regisseure vor ihm einbrachten) peilt er nun so etwas wie ein „Setteln“ an; da passt das Revuepassierenlassen der bisher bravourös absolvierten Action-Ballett-Großtaten gut dazu.
Was sich leider auch wiederholt: Simon Pegg schafft es wieder, als Figur völlig unlustig zu sein. (Zur Erinnerung: Der Mann hat mal grandiose Filme wie „Hot Fuzz“ oder „The World’s End“ gemacht.) Was sich leider gar nicht wiederholt, obwohl es doch immer, zumal seitens der Haters, als Toms Automatismus schlechthin galt: sein Grinsen. Von der drahtigen kleinen Grinsekatze – vom Kater der Hater, von Tomcat – bleibt nur die Katze; das Grinsen ist fast weg. Denn: Ethan will jetzt Tiefgang, Figurensubstanz, biografisches Kapital (wenn schon jeder dahergeflogene Superheld heutzutage sechs Vorleben hat, von denen sieben ihm selbst nicht bewusst sind) (wie eine Katze, eh). Der andere Ethan, der mit über vierzig bereits rasant dahinalternde Westernheld, lebte seine Endlichkeit in der mürrischen Melancholie jahrzehntelanger Altersrollen aus – und vor zehn Jahren, als er auch schon den Flegeljahren entwachsen war, hat Cruise in „Tropic Thunder“ gezeigt, wie toll und mikrodynamisch und knackarschig wir ihn uns in Altersrollen vorstellen könnten. Der Action-Opa Ethan hingegen, der der Zeit trotzt, weil er Uhrwerk ist, macht nun einen auf Bond im Post-Schnösel-Modus, sprich: Sein neuer Film gibt uns gleich zum Auftakt ein Stück Trauungstraumatraum, danach Loyalitäts-Lulu und Beziehungs-Blabla. Statt Tränen fließen auch hier Daten: So genau wollte man’s vielleicht gar nicht wissen. Und weniger Plot wäre mehr gewesen: mehr Stunt mit Hunt, mehr Cruise als missile mit Seil. Aber seien wir nicht unbescheiden: „Mission: Impossible – Fallout“ ist sicher besser als der anstehende „Top Gun“-Aufguss. Und: Ein paarmal geht noch.