Glück ist, wenn eine Wiederholung sich einstellt, die willkommen ist. „Lucky“ ist ein Spielfilm der lakonischen Wiederholungen. Er zeigt tägliche Exerzitien eines Neunzigjährigen in einem Kaff in Arizona: morgendliches Turnen, Ankleiden, Kaffeekochen, dann Spaziergang mit Cowboyhut und -boots entlang immergleicher Stationen, ein Plauscherl mit der Lady vom Drugstore (deren Sohn Juan heißt, wie Juan Wayne), Meckern zum und über den Kellner im Diner, abends Altspatzentreff in der Bar zu Drinks, Reminiszenen, kleinen Streitereien. Ab und zu ein Kreuzworträtsel, das Lucky sich im Ruderleiberl gönnt, samt Wortdefinitionsnachfrage am Telefon, bei der die Einsicht „Realism is a thing!“ herauskommt.
Das klingt nach nicht viel und könnte – auf Jim Jarmuschs Spuren – tiefsinnig, kauzkomikselig oder manieriert kadriert geraten. Tut es aber kaum. „Lucky“ ist schön, witzig und lässt der Titelfigur Raum; die spielt der 1926 geborene, seit Mitte der 1950er aktive große, hagere Harry Dean Stanton in Gleichmut mit Anflügen von Grant und Schalk, stur und unberechenbar. Auch wenn er Streit sucht – und das tut er immer wieder, insbesondere mit einem von Ron Livingston dargestellten Anwalt –, findet er doch nur das Glück. Atheist ist er sowieso.
Für Stanton ist der Film nichts weniger denn ein Monument, aber eines, das ganz gelöst ist in Alltägliches, samt einiger Wiederbegegnungen en passant mit markanten Rollen aus seiner langen, an großen Titeln reichen Filmografie: Das schnurgerade Gehen im Wüstenkaff weist nach „Paris, Texas“ (muss wohl sein); Szenen mit Bargast (Stargast) David Lynch erinnern an Stantons Parts in dessen Filmen (von „Wild at Heart“ bis zur „Straight Story“). „Lucky“ ist allerdings das Regiedebüt eines anderen Lynch, nämlich John Carroll Lynch, der sich mit seinem sympathischen Psychotikerponem vor allem als Thrillerdarsteller bewährt hat (etwa als Titelfigur – dringlichster Tatverdächtiger – in „Zodiac“).
Mehr als um Filmzitate (wer braucht die schon?) geht es da um ein Wiederaufsuchen, Wiedersehen. Ein solches hat Stanton quasi auch mit seinem alten Captain vom Frachtschiff Nostromo aus „Alien“: Den spielte damals Tom Skerritt, und Stanton war der Space-Hackler mit Basecap, Hawaiihemd und Zahnstocher (der immer „Riiight“ sagt, bis das Alien ihn, als er die Bordkatze sucht, in ein seltsam verregnetes Hallendach raufzieht und tötet; die Großaufnahmen davor, beim todesnahen Gesicht-Waschen im Raumschiffregenwasser, sind die vielleicht schönste, „philosophischste“ Szene in Stantons Karriere). Auch in der „Lucky“-Szene mit Stanton und Skerritt, im World War II-Marines-Veteranen-Thekentalk der beiden, geh’s um ein Alien-Erlebnis: um eine junge Japanerin, die im Krieg 1944 US-Soldaten auf sich zukommen sah, von denen sie fest glaubte, sie würden sie nun gleich töten, und die sie daher entschlossen – anlächelte.
Dieses nachgerade postkolonial gewendete Alien-Thema hat ein Echo in einer bewegenden minimalistischen Szene, in der Lucky als einziger weißer Gast auf einer mexikanischen Familienfeier mit brüchiger Stimme ein altes Lied auf spanisch vorträgt; das ist nicht zuletzt eine Geste an Leute, gegen die Trump und seine Getreuen hetzen. (Von einem anderen Präsidenten ist in „Lucky“ immer wieder die Rede, nämlich von FDR, dem New Deal- und Weltkriegs-Präsidenten Roosevelt, nach dem die entlaufene Schildkröte des von David Lynch gespielten alten Freundes von Lucky benannt ist; das liest sich jetzt prätentiöser als es im Film rüberkommt.)
Und Lächeln angesichts des Todes, stoisch im Abgang, auch das klingt weiter, und zwar heiter, in diesem Film, der 2017 das Wiener Filmfestival Viennale eröffnete. Deren Direktor Hans Hurch und Harry Dean Stanton, beide verstarben im vorigen Sommer. Lucky stiefelt am Ende in die Wüste davon. (Ein allerletzter Film mit Stanton, „Frank and Ava“, startet dieses Jahr noch.)
Hier findet sich eine weitere Kritik zu „Lucky“.