Viral

Viral

(USA 2016; Regie: Henry Joost, Ariel Schulman)

Von Parasiten und Zungenküssen

Der Vorspann ist reichlich generisch. Unter dem Mikroskop sehen wir Bilder von Bakterien, Viren, Würmern. Dazu hören wir Fetzen von Nachrichtensendungen, die von einer drohenden Epidemie künden. In Taiwan. In den USA. Die Welt droht unterzugehen. Mal wieder.

Die erste Einstellung zeigt, sicherlich nicht minder generisch, einen amerikanischen Suburb aus der Luft. In der zweiten Einstellung wird dann leidenschaftlich rumgeknutscht. Die, die bei dem Spiel sich liebkosender Zungen außen vor ist, in die Situation einer reinen Beobachterin, ja, einer Spannerin verbannt, heißt Emma Drakeford (Sofia Black-D’Elia) und wird die Hauptfigur dieses Films sein. Wenig später bekommt sie eine SMS von Luzifer persönlich. Hinter dem Namen des Leibhaftigen versteckt sich ihre Schwester Stacey (Analeigh Tipton), die mit ihr gemeinsam auf die High School geht. „Viral“ führt den Konflikt zwischen zwei Schwestern, der einer der zentralen des Films sein wird, durchaus geschickt ein. Stacey jedenfalls beordert Emma auf die Mädchentoilette, weil sie einen Tampon braucht. Dass sie mit der Hand, die sie gerade in ihrem Intimbereich hatte, der Schwester nun durch die Haare fährt, findet diese eher weniger appetitlich. In dem Film wird es also um Körper gehen, um Körperflüssigkeiten und deren Austausch, später dann um Parasiten, die sich in Körper einnisten und diese zerstören und dazu bewegen, andere zu zerstören. „Viral“ ist in einem Wort: Body-Horror.

Natürlich assoziiert der geschulte Genre-Fan mit diesem Wort vor allem einen Namen: David Croneneberg. Hierzu passt, dass dieser mit „Shivers“ 1975 die Mutter des modernen Parasitenhorrors und ein Meisterwerk des polymorph-perversen Kinos schuf. Dort bekamen es die BewohnerInnen eines Luxusappartementhauses außerhalb von Montreal mit Parasiten zu tun, die aussahen wie eine Mischung aus Phallus und Exkrement und, wie es in einer Szene heißt, eine Mischung aus Aphrodisiakum und Geschlechtskrankheit sind. Jedenfalls verwandeln sie die Menschen in eine Art Zombies, die es hier nicht aufs Fressen, sondern aufs Ficken abgesehen haben. Da werden zwei junge Mädchen an der Leine durchs Haus geführt (ob Cronenberg hier von Pasolini oder doch Pasolini von Cronenberg geklaut hat – „Salò“ ist wie „Shivers“ von 1975 – ist von einigem filmhistorischen Interesse, interessiert mich jedenfalls brennend, ist aber wohl nicht endgültig zu klären. Vielleicht hatten auch einfach nur zwei transgressive Filmemacher die gleiche Idee). Da treibt es der alte Vater mit der jungen Tochter. Jeder mit jedem und jede mit jeder. Am liebsten aber alle zusammen. Und zwar in einer wunderbar orgiastischen und orgasmatischen Szene im Pool.

Was erst mal vielleicht wie eine kleinbürgerlich-reaktionäre Phantasie von Gegenkultur und „sexueller Revolution“ aussehen mag (wussten die Spießer nicht immer schon, dass die Hippies genau so leben?) oder aber wie eine Unterschichts-Phantasie von der Oberschicht (wussten wir hier unten nicht immer schon, was die da oben in den Pools ihrer Appartementhäuser so treiben?), ist bei Cronenberg wesentlich schwieriger auf einen ideologischen Nenner zu bringen. Wenn am Ende, wie eine Dekade zuvor in „The Fearless Vampire Killers“, das Böse (oder eben doch nur: das vermeintliche Böse?) hinaus in die Stadt, in die Welt getragen wird, kann man darin wohl auch eine sehr eigene, ziemlich fiese Utopie sehen: Die sexuelle Revolution hat gerade erst begonnen. Let’s quit the foreplay and let’s fuck!

Der Vergleich ist sicherlich ungerecht, denn natürlich hat „Viral“ weder die gesellschaftspolitische noch die filmgeschichtliche Relevanz eines „Shivers“. Cronenberg ging sowohl in der Verquickung von Sex und Splatter als auch in der Graphik von deren Darstellung weiter, als es sich das junge Regie-Duo Henry Joost und Ariel Schuhmacher je erlauben würde. Was man dem Film, wenn man es gut mit ihm meint, und ich sehe keinen Grund, das nicht zu tun, hoch anrechnen kann, ist, dass er auch keine derartigen Ambitionen hat. Es ist ein absolut nicht wichtigtuerischer Film. Ebenfalls für ihn spricht die Ernsthaftigkeit, mit der er seine Geschichte erzählt. Die klassische Moderne des nordamerikanischen Horrorfilms ist hier sicherlich irgendwie da, aber sie ist es sicherlich nicht in Form von dämlichen Verweisen, die von einem eher kümmerlichen Ironieverständnis zeugen, oder dem postmodernen Spiel mit Zitaten und Versatzstücken.

Wenn es dann in „Viral“, wie in unzähligen Teenie-Horrorfilmen zuvor, eine Szene gibt, in der wir einer Unterrichtsstunde beiwohnen, dann will der Film eben nicht nur darauf hinaus, dass wir das kennen und wiedererkennen, sondern es erfüllt gleich mehrere narrative Zwecke. Zunächst einmal befinden wir uns im Biologieunterricht, wo es natürlich um Parasiten geht, die der Lehrer mit wirklich nicht schönem Anschauungsmaterial seinen SchülerInnen näher bringt, nicht ohne eine gewisse sadistische Freude an ihrem Ekel. Aber noch wichtiger ist, dass der Lehrer von Emma und Stacey gleichzeitig ihr Vater ist, der übrigens von Michael Kelly gespielt wird, den ich durch seinen Auftritt als trockenen Alkoholiker in wichtiger politischer Funktion in der Serie „House of Cards“ sehr ins Herz geschlossen habe.

Damit wären wir bei dem, was in erster Linie für diesen Film spricht, nämlich seine gerade in ihrer Verunsicherung äußerst sympathischen Figuren. Auch wenn es in seiner zweiten Hälfte Standard-CGI-Bilder von Menschen gibt, die sich unter dem Parasitenbefall in zombieartige Monster verwandeln, die andere Menschen, unter denen auch ihre eigenen Angehörigen sind, erbarmungslos angreifen, bleibt der Film doch bis zum Schluss vor allem character driven. Der Zerfall der äußeren Ordnung korreliert hier mit dem Zerfall der Familie. Der Vater hat die Mutter mit einer seiner Studentinnen betrogen, die Mutter sich von ihm und der Familie abgewandt. Im Film kommt sie nur noch in den dringlichen Fragen ihrer Töchter an den Vater vor. Auch das ist, gelinde gesagt, nicht neu, aber eben weil ich die Figuren so mochte, interessierten mich auch ihre Konflikte untereinander und mit sich selbst.

Am Ende ist die Welt weit davon entfernt, gerettet zu sein, aber Emma darf nun zu ihrem Schwarm finden – und also endlich auch selber rumknutschen. Immerhin.

(„Viral“ ist von 2016, als Barack Obama Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika war. Damals. Letztes Jahr. Er kommt hier tatsächlich auch vor, in einem Fernsehauftritt, in dem er im Angesicht der Epidemie zu Besonnenheit aufruft. Wahrscheinlich muss man sich nicht einmal übermäßig für Politik interessieren, um bei dieser Szene nostalgisch zu werden. Was für ein Charisma hat dieser Mann, was für eine sympathische Erscheinung ist er – nicht nur, aber eben ganz besonders im Vergleich zu seinem Nachfolger.)

Viral
USA 2016 - 85 min.
Regie: Henry Joost, Ariel Schulman - Drehbuch: Barbara Marshall, Christopher Landon - Produktion: Jason Blum, Sherryl Clark, Robyn Marshall, James Moran - Bildgestaltung: Magdalena Górka - Montage: Ron Dulin, William Yeh - Musik: Rob Simonsen - Verleih: Capelight Pictures - FSK: ab 16 Jahren - Besetzung: Sofia Black-D'Elia, Analeigh Tipton, Travis Tope
DVD-Starttermin (D): 21.07.2017

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt2597892/
Foto: © Capelight Pictures