Ob bei einer nächtlichen Taxifahrt, im Zimmer der Schuldirektorin oder in der Mensa ihrer Schule: Mifti provoziert gerne, fordert Reaktionen heraus – nicht immer oder nur sehr bedingt zu ihrem Vorteil. Mifti kokettiert mit Vergewaltigungsfantasien, muss aber auf dem Weg dorthin ganz schön einstecken. Mal bekommt sie ein Portion Spaghetti ins Gesicht, mal einen Becher frisch gebrühten Kaffees. Und dann ist da ja auch noch der Taxifahrer, der sich die günstige Gelegenheit auf eine schnelle Nummer nicht entgehen lässt. Mifti scheint über derlei Feedback mitunter erstaunt, aber durchaus nicht unerfreut. Immerhin passiert mal was!
Nach dem Tod ihrer Mutter lebt die 16-jährige Mifti mit ihren Halbgeschwistern Anika und Edmond in einer Berliner WG und ist zumeist vorzugsweise irritiert. Was sie allerdings mit kessen Sprüchen und coolen Gesten gekonnt überspielt. Mifti driftet durch ihren Alltag, nächtens, was die Option eines regelmäßigen Schulbesuchs zumeist erfolgreich hintertreibt. Aber gleichaltrige Freunde hat Mifti eh nicht. Wie auch, wenn man als 16-Jährige vielleicht sogar noch etwas jünger aussieht, sich aber mit dem Erfahrungshorizont einer Mittdreißigerin durchs Leben bewegt. Von ihrer Familie hat Mifti nicht viel zu erwarten. Der Vater lebt mit seiner Geliebten in einem Designerhaus, schwadroniert über Terrorismus als zeitgemäße Karriereoption und nimmt die Welt nur noch als ästhetisches Phänomen wahr. Schwester Anika, selbst zuverlässig hysterisch, würde gern als Miftis Ersatzmutter agieren, besäße sie auch nur einen Funken Autorität. Bruder Edmond ist lethargisch und ohne jedes Interesse. Bleiben noch die Erinnerungen an die elegante Mittvierzigerin Alice, coole Drogendealerin für die Hautevolee der Hauptstadt, mit der Mifti eine offenbar längere Affäre hatte. Und ganz aktuell: Ophelia, Fernsehstar, wegen Volltrunkenheit am Steuer zu Sozialstunden in der Küche von Miftis Schule verdonnert. Auch Ophelia ist damit beschäftigt, ihrer Verzweiflung durch ständige Action keinen Raum zu lassen.
Ganz schön fett, was hier an umfassenden Überdruss aufgeboten wird! Dass es Helene Hegemann („Torpedo“) gelungen ist, selbst die Regie bei der Verfilmung ihres vom Feuilleton erst gefeierten, dann geschmähten Bestseller-Debüts „Axolotl Roadkill“ zu übernehmen, ist als Glücksfall zu werten. Bot sich ihr doch mit etwas zeitlichem Abstand die Chance, eine Wiederholung der in ihren Augen ärgerlichen Fehlrezeption des Stoffes als Coming-of-Age-Geschichte oder gar Generationen-Porträt zu unterbinden. Ziemlich konsequent hat Hegemann einer konventionell psychologisierenden Charakterisierung ihrer Protagonistin filmische Hindernisse in den Weg gelegt, die das Rätselhafte des Geschehens profilieren. Gegenüber der literarischen Vorlage wechselt die Verfilmung konsequent die Erzählperspektive, wechselt von der Ich-Erzählung ins personale Erzählen, wodurch „Axolotl Overkill“ gewissermaßen zu einer objektivierten Variante von „Axolotl Roadkill“ wird, was für Leser des Buches ein durchaus spannendes Angebot ist.
Zugleich aber verweigert der Film Chronologie und Linearität der Erzählung und gerät dadurch zu einer Folge zugespitzer Szenen, die gerne auf komische oder provokante, politisch unkorrekte Pointen hin gearbeitet sind. Zudem setzt Hegemann auf episch-distanzierende Erzählstrategien, auf surreale Einsprengsel, verblüffende Auftritte von Pinguinen, Alpakas und Einhörnern und einen stupend gut getimeten Deadpan-Humor.
Wie bereits im Fall ihres Filmdebüts „Torpedo“ kann sich die Filmemacherin auf einen glänzend zusammengestellten (Theater-)Cast mit Mavie Hörbiger oder Bernhard Schütz verlassen. Perfekt ist die Besetzung der verwirrten, gegen Familie, Schule, Umwelt und vor allem ihr Alter revoltierenden Protagonistin mit der stets und zuverlässig faszinierenden Jasna Fritzi Bauer („Ein Tick anders“, „Scherbenpark“, „About a Girl“). Durch den Verzicht auf Linearität und Chronologie kommt der Film zwar nicht so recht vom Fleck, aber dieses Problem teilen Protagonistin und Film nicht grundlos, sondern bewusst mit dem titelgebenden Schwanzlurch.
Dieser Text erschien zuerst in: Filmdienst
Hier findet sich ein Interview mit Regisseurin Helene Hegemann.