Die Unbeugsamen 2: Die widerständigen Frauen der DDR

von Marit Hofmann


Torsten Körner wurde am 21. September 1965 in Oldenburg geboren. Er studierte Theaterwissenschaft und Germanistik in Berlin. Seit 2000 lebt Körner als freier Autor und Publizist in Berlin. Unter anderem verfasste er Bio­gra­fien über Götz George, Franz Becken­bauer, Heinz Rühmann und die Familie von Willy Brandt. Mit dem Film „Angela Merkel – Die Unerwartete“ (ARD 2016) legte er das erste Mal ein Fernseh­porträt vor. Es folgten Filme über den letzten Republik­geburtstag der DDR („Palast der Gespenster“, Arte/MDR, 2019), ein Porträt über Altkanzler Gerhard Schröder („Gerhard Schröder – Schlage die Trommel“, Arte/MDR, 2020) und über Bonner Politi­ke­rinnen („Die Unbeug­samen“, 2021). In seiner neuen Dokumentation „Die Unbeugsamen 2“ zeigt Torsten Körner 15 ostdeutsche Frauen aus den verschiedensten Gesellschaftsbereichen der DDR. Ein Gespräch.

Nachdem Sie einige Biografien über berühmte Männer geschrieben hatten, haben Sie sich weiblichen Perspektiven zugewandt. Was hat diesen Sinneswandel ausgelöst?

Bei der Arbeit an der Biografie über die Familie Willy Brandt fiel mir auf, wie einseitig die alte Bonner Republik erinnert und in den Medien erzählt wurde. Überall vermeintlich starke Männer! Gab es keine Politikerinnen? Gab es keine Journalistinnen? Gab es keine weiblichen Stimmen, keinen weiblichen Blick? Die Geschichte der Bonner Republik ist über weite Strecken eine Geschichte der Ausblendung weiblicher Identitäten, und das hat mich, der in dieser Republik groß geworden ist, regelrecht bestürzt.

Welche Rolle spielte dabei Maxie Wanders Buch „Guten Morgen, du Schöne“, nach dem Sie Ihren neuen Film über DDR-Frauen benannten?

Ich wollte von diesem Buch lernen: zuhören, sammeln, verdichten. Das war das Kompositionsprinzip von Maxie Wanders Reportagen, die so beeindruckend sind, weil da weibliche Identitäten in ihrer Vielfalt und Buntheit sichtbar werden, weil die Rückseite und der Alltag der sozialistischen Republik kenntlich wurden. Leider gibt es, soweit mir bekannt, keine Filmaufnahmen von Maxie Wander, die ich sonst sehr gerne in den Film integriert hätte. Eine großartige Frau mit einer großen Sensivität für Zwischentöne. Sie war gerade erst dabei, sich als Autorin zu finden.

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Sehen Sie Unterschiede bei der Arbeit mit männlichen und weiblichen Protagonisten?

Schwer zu beantworten, weil man Generalisierungen vornehmen müsste, die oft trügerisch sind, aber ich wage mich mal vor: Männer wollen vor der Kamera ihre Emotionen stärker kontrollieren, Frauen sind augenblicksgeneigter, sie vertrauen dann mehr auf die Situation und sind offener dem eigenen Gefühl gegenüber. Männer wollen stark und schön sein, ihre Selbstkontrollinstanzen sind misstrauischer.

Arbeiten Sie nun bewusst auch mit mehr Frauen hinter der Kamera, und hat sich dadurch etwas verändert?

Ich arbeite sehr gerne mit Kamerafrauen und habe sehr tolle kennengelernt. Vor allem mit Anne Misselwitz habe ich viel gedreht. Meistens sind Frauen – bilde ich mir ein – teamorientierter, während Männer als Regisseure eher ego-orientierter unterwegs sind, mich eingeschlossen. Ob es einen besonderen weiblichen Blick gibt? Vielleicht sind sie empfangsbereiter für die Auren von Menschen, für Stimmungswerte; auch meine Editorin Sandra Brandl hat ein gutes Auge und Ohr für Nuancen und Bilder hinter den Bildern. Allgemein arbeite ich lieber in gemischten Teams. Drehteams, die nur aus Männern bestehen, finde ich schwierig, weil sie so eine „Masse Mann“ bilden, in der ich mich nicht zu Hause fühle.

Sie sagen, Sie hätten nach „Die Unbeugsamen“ über Politikerinnen in der Bonner Republik keine Fortsetzung nur mit DDR-Politikerinnen machen können, und lassen in Teil 2 ganz unterschiedliche Ost-Protagonistinnen (von der Künstlerin bis zur Metallurgin) zu Wort kommen. Wäre ein Pendant zu „Die Unbeugsamen 2“ denkbar, das Frauen der alten BRD aus unterschiedlichen Bereichen (also nicht nur Politikerinnen) zu Wort kommen lässt? Was wären die Unterschiede?

Sicher wäre so ein Pendant denkbar, aber vermutlich wäre es schwieriger gewesen, damit zu überraschen. Die alte BRD war eine Gesellschaft der Individuen, eine kapitalistische Marktgesellschaft, die auch davon lebte, dass ihre Individuen in je individualisierten Lebenswelten ihr eigenes Leben auf die Spitze trieben, um damit einen Raum im Markt zu erobern. Die DDR ist zwar oft als Nischengesellschaft beschrieben worden, aber die pluralistischen Lebensweisen hat man oft nicht sehen wollen, weil sie von den kollektivistischen Tendenzen verdeckt schienen. Die individuelle Frau war vielleicht nicht gesehen worden, weil man im Westen eher auf das Propagandabild der gleichberechtigten Volksgenossin abonniert war und Frauen nur dann als Einzelne sah, wenn sie als Dissidentinnen oder Künstlerinnen dieses Image verletzt hatten. Damit beteiligte sich der westliche Blick unwissentlich an einer Auslöschung individueller Biografien, die die Kollektivhüter der DDR betrieben. Wir wissen, dass in der DDR auch Frauen verfolgt wurden, weil sie einfach nur anders sein wollten, auf Differenz bestanden, weil sie sexuell selbstbestimmt sein wollten, weil sie sich dem verordneten Frauenbild einfach nicht fügen wollten. Auch deshalb war Maxie Wanders Buch so erfolgreich. Sie bot gerade diesen Frauen einen Raum zur Selbstentfaltung. Daher wollte ich mit meinem Film DDR-Frauen zeigen, die ihre Individualität jenseits der Klischees und großen Bilder lebten, die widerständig bei sich blieben, ohne deshalb gleich Dissidentinnen der großen Geschichte zu werden wie etwa Bärbel Bohley. Sie waren Dissidentinnen des Augenblicks, Piratinnen auf dem Meer des Alltags.

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Hat Sie die Diskrepanz zwischen dem Stand der Emanzipation in Ost und West, den „Die Unbeugsamen 1 und 2“ offenbaren, überrascht?

Was wäre die Diskrepanz, und wie beschriebe man sie? Die Protagonistinnen des ersten Teils waren Politikerinnen, die sich über Jahrzehnte im Politikbetrieb emanzipiert hatten, sich eine dicke Haut zulegten und Ellenbogen ausfuhren. Die Frauen der DDR mussten sich ja emanzipieren auch gegen die von oben behauptete Emanzipation, die einerseits zur Staatsidentität gehörte, die aber im Alltag oft nicht eingelöst wurde. Frauen hatten auch in der DDR weniger Freizeit als Männer; sie wurden schlechter bezahlt, besetzten seltener Leitungsposten; sie waren es vor allem, die die Familien- und Haushaltsarbeit erledigten. Ich wundere mich rückblickend, dass das Politbüro damit durchgekommen ist, einerseits die Gleichberechtigung der Frau als nahezu erfüllt zu behaupten und gleichzeitig Frauen nahezu völlig aus diesem Gremium auszuschließen. Was die Frauen der DDR alles geleistet haben, gehört wieder und wieder beschrieben und gewürdigt. Man muss da gar keinen Mythos zimmern, es reicht die Empirie. Ich denke, gerade für die Architektur unserer gegenwärtigen Gesellschaft wäre es gut, an diese Erfahrungspotenziale anzuschließen und noch mehr Lebensgeschichten zu bergen, anzuerkennen, sichtbar zu machen.

Verstehen Sie Ihren neuen Film auch als Würdigung des künstlerischen Erbes der DDR, der Musik, der Architektur, der Malerei und insbesondere des Defa-Filmschaffens, das Sie viel zitieren?

Absolut! Der sogenannte Westen weiß viel zu wenig über dieses Erbe, zumal der „Aufbau Ost“ zugleich ein „Abriss Ost“ war. Im Zuge der „Wiedervereinigung“ wurde vieles, das man hätte bewahren müssen, ausradiert, weggesprengt, ausgemerzt, plattgemacht. Ich benutzte hier ganz bewusst brutale Bilder. Aber auch junge Menschen aus Ostdeutschland wissen zu wenig über dieses Erbe. Man sollte schon mal was gehört haben von Volker Koepp und seiner Wittstock-Reihe, von Helke Misselwitz und ihrem fantastischen Film „Winter adé“; es gibt und gab großartige Sängerinnen wie Uschi Brüning, Christiane Ufholz, Regine Dobberschütz, Ines Paulke, Veronika Fischer und viele andere.

Wie erklären Sie sich, dass im deutschen Film und Fernsehen immer noch ein dämonisierender und stereotyper Blick auf den Alltag in der DDR vorherrscht? Und was hat Sie motiviert, diesem ein differenziertes Bild entgegenzusetzen?

Es ist immer leichter, Stereotype zu pflegen, als Differenzierungen zur Welt zu bringen. Ich habe mich zumindest um Zwischentöne, Zwischenbilder und Menschen im Dazwischen bemüht – ob mir das gelungen ist, müssen die Zuschauerinnen beurteilen.

Dieses Interview erschien zuerst am 21.08.2024 in: ND

Die Unbeugsamen 2 – Guten Morgen, ihr Schönen!. Deutschland 2024. Regie und Buch: Torsten Körner. 104 Min. Kinostart: 29.08.2024

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