Umberto Eco – Eine Bibliothek der Welt

(IT 2022; Regie: Davide Ferrario)

Die Wahrheit der Stille

Lang und verschlungen ist der Weg durch das Bücherlabyrinth. Aus subjektiver Perspektive folgt die Kamera dem Gang von Umberto Eco durch seine Mailänder Privatbibliothek. Diese umfasst 30.000 neuere Bücher sowie 1200 antike Werke, darunter etliche Inkunabeln. Bis der berühmte italienische Schriftsteller zielgerichtet nach einem Buch seiner Sammlung greift, die vor allem von einer Vorliebe für Magie, okkulte Wissenschaften und Kuriositäten geprägt ist. Ursprünglich aufgenommen für eine Videoinstallation, die bei der Biennale von Venedig gezeigt wurde, eröffnet diese beeindruckende Bibliotheksbegehung nun Davide Ferrarios Film „Umberto Eco – Eine Bibliothek der Welt“. Die Bibliothek sei „Symbol und Realität eines kollektiven Gedächtnisses“, sagt Eco. Und er zitiert Dante Alighieri, der in seiner „Göttlichen Komödie“ den Anblick Gottes mit den Seiten eines einzigen Buches und damit mit dem ganzen Universum gleichsetzt. Gott sei demnach, so Eco, die „Bibliothek aller Bibliotheken“.

Der in drei Kapitel und einen Epilog gegliederte Film handelt entsprechend zunächst vom „Erinnern“, von Bibliotheken als „Gedächtnis der Menschheit“ und den pflanzlichen Trägerstoffen des Gedruckten. In diversen Interviews und Statements, die der Films als durchgehenden Gedankenstrom versammelt und in denen der enorm geistreiche und gebildete Autor eloquent und auf höchst unterhaltende Weise eine kritische Opposition zum digitalen Zeitalter formuliert, entwickelt Umberto Eco Grundsätze für ein enzyklopädisches Wissen. Ohne Erinnerung lasse sich keine Zukunft planen. Doch neben dem Aufbewahren habe das Gedächtnis vor allem die Aufgabe, zu filtern, was durch die Informationsflut des Internets zunehmend erschwert werde. Wo die Fähigkeit auszuwählen verloren gehe, werde die Erinnerung blockiert. Das Wissen nehme Schaden.

Neben diesen Zeitdokumenten und Gesprächen mit Familienmitgliedern inszeniert Davide Ferrario zusammen mit Schauspielern kurze Texte von Eco in Bibliotheken. Außerdem zeigt er eindrucksvolle Bilder von öffentlichen Büchereien weltweit, zu denen auch die modernen Stadtbibliotheken von Ulm und Stuttgart gehören. Während im zweiten Kapitel das Erzählen von Geschichten als besondere Fähigkeit des Menschen thematisiert wird, insofern durch die literarische Erfindung Abwesendes und Unwirkliches „wahr“ wird, problematisiert Umberto Eco im dritten Kapitel die Lüge. Denn in Abgrenzung zur Fiktion produzierten Fälschungen und Verschwörungstheorien eine Realität, die gerade im Dauerrauschen des Internets gefährlich werden könne; was schließlich gerade heute durch die jüngsten Entwicklungen belegt wird.

Folgerichtig sagt Eco im Epilog des sehr anregenden Films: „Man findet Gott nicht im Lärm, sondern nur in der Stille. Und während die kleine Enkeltochter des im Februar 2016 verstorbenen Schriftstellers auf ihren Inlineskatern durch die Gänge der Bibliothek fährt, die dem Staat zur Nutzung in der Mailänder Biblioteca Nazionale Braidense und an der Universität in Bologna übertragen wurde, ergänzt der passionierte Leser und Büchersammler noch: „Wahrheit findet man nur durch stilles Suchen.“

Umberto Eco – Eine Bibliothek der Welt
(Umberto Eco – La biblioteca del mondo)
Italien 2022 - 80 min.
Regie: Davide Ferrario - Produktion: Davide Ferrario, Francesca Bocca - Bildgestaltung: Andrea Zambelli, Andrea Zanoli - Montage: Christina Sardo - Musik: Carl Orff - Verleih: Mindjazz Pictures - Besetzung: -
Kinostart (D): 21.03.2024

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt26242614/
Foto: © Mindjazz Pictures