Das Glücksrad

(J 2021; Regie: Ryûsuke Hamaguchi)

Von der Magie des Zufalls

Der japanische Filmemacher Ryusuke Hamaguchi interessiert sich für die Unberechenbarkeit des Lebens. In seinem dreiteiligen Episodenfilm „Das Glücksrad“ geht es deshalb um das Unvorhersehbare zufälliger Begegnungen, um die Folgen verpasster Chancen und um unumkehrbare Veränderungen. Dabei erinnern seine wendungsreichen Geschichten über widersprüchliche Gefühle und komplizierte Beziehungen, die jeweils in langen Dialogszenen diskutiert werden, an die Werke von Eric Rohmer und Hong Sang-soo. Im Mittelpunkt der drei Teile von „Das Glücksrad“, die nur lose durch Klaviermusik von Robert Schumann („Kinderszenen“) miteinander verbunden sind, stehen Frauen mit ihrem Liebesbegehren und ihrer verzweifelten Suche nach Lebensglück.

Die Gefühlslagen und Beziehungskonstellationen sind stets verzwickt. In „Magie (oder noch weniger Verlässliches)“ erzählt die Maskenbildnerin Tsugumi während einer langen Taxifahrt ihrer besten Freundin Meiko, einem Fotomodell, von ihrem ersten, sehr vertraulichen Treffen mit einem jungen Innenarchitekten. Während sie von der Magie dieser Begegnung und der Erotik des Gesprächs schwärmt, ahnt sie nicht, dass Meiko den von der Liebe enttäuschten Mann als ihren früheren Freund identifiziert und ein neues Verlangen nach ihm verspürt, das zu widersprüchlichen Handlungen und Variationen unberechenbarer Gefühle führt: „Traust du dich, an etwas zu glauben, das noch weniger verlässlich ist als Magie?“ Und verletzt man zwangsläufig denjenigen, den man liebt?

Auch in der zweiten Episode „Bei offener Tür“ spielt die Erotik der Worte eine entscheidende Rolle. Die attraktive Nao setzt sie ein, um sich für ihren zynischen Liebhaber Sasaki an ihrem früheren Professor Segawa zu rächen, der gerade erfolgreich ein Buch veröffentlicht hat und den sie eigentlich bewundert. Dass letztlich gegen ihren Willen der Plan zu beider Nachteil „gelingt“, hat einmal mehr der Zufall zu verantworten. Dieser diktiert auch das Geschehen in der Episode „Noch einmal“, deren Ausgangspunkt ein Klassentreffen nach zwanzig Jahren ist. Die Zeit hat die Figuren, ihr Aussehen und ihr Leben verändert, sodass es zu Verwechslungen und Enttäuschungen, aber auch zu einem überraschenden Ausgleich, vielleicht sogar zu einer Heilung kommt.

Dass das gelingt, ist der Rolle der Kunst zu verdanken, die Ryusuke Hamguchi in seinem höchst originellen Film wiederholt thematisiert. So bewirkt im Schlussteil ein wechselseitiges Rollenspiel, dass sich die emotional verletzten Figuren zum Ungesagten ihrer einst verpassten Chancen und zu ihren unausgesprochenen Gefühlen bekennen. „Für die Sehnsucht nach jemandem kann man nichts“, heißt es einmal demgemäß. Hamaguchi erweist sich hier und an anderen Stellen seines Films, der immer wieder nach dem persönlichen Lebensglück fragt, als forschender Humanist. Ins Zentrum seiner Hoffnung hat er deshalb die Kraft und Ermutigung gestellt, die Menschen durch den freundlichen und aufmerksamen Zuspruch durch andere Menschen gewinnen.

Das Glücksrad
(Gûzen to sôzô)
Japan 2021 - 121 min.
Regie: Ryûsuke Hamaguchi - Drehbuch: Ryûsuke Hamaguchi - Produktion: Satoshi Takada - Bildgestaltung: Yukiko Iioka - Verleih: Film Kino Text - FSK: ab 12 - Besetzung: Kotone Furukawa, Kiyohiko Shibukawa, Katsuki Mori, Fusako Urabe, Aoba Kawai, Ayumu Nakajima, Hyunri, Shouma Kai
Kinostart (D): 01.09.2022

IMDB-Link: https://www.imdb.com/title/tt14034966/
Foto: © Film Kino Text