Tod und Abschied in einem Tanz

von Marit Hofmann


Jessica Krummacher ist Filmemacherin, Autorin und Produzentin. Sie studierte Politik in Bochum und Köln, Medienkunst an der HfG Karlsruhe und schließlich Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik an der HFF München. „Zum Tod meiner Mutter“ ist ihr zweiter Spielfilm, der auf der Berlinale 2022 in der Sektion Encounters Premiere feierte.

Sie haben das Ster­ben Ihrer Mut­ter, die sich als unheil­bar Kran­ke ent­schlos­sen hat­te, im Pfle­ge­heim das Essen und Trin­ken ein­zu­stel­len, in einer beson­de­ren fik­tio­na­li­sier­ten Form nach­er­zählt. Zeit­wei­se wähnt man sich in einem Dokumentar­film, doch dann beto­nen Sie durch poe­ti­sche Spra­che der Schau­spie­le­rin­nen und ästhe­ti­sche Bild­kom­po­si­tio­nen immer wieder den Insze­nie­rungs­cha­rak­ter. Wie kam es zu die­ser Entscheidung?

Ich ori­en­tie­re mich an vie­len Kunst­for­men, um mei­nen Film erzäh­len zu kön­nen, und umge­he bis­wei­len Para­me­ter, die ein klas­si­scher Spiel­film ver­langt. Ich schrei­be die Geschich­te selbst und habe so die Mög­lich­keit, mit der Spra­che zu arbeiten. Auch dass die Schau­spie­ler zum gro­ßen Teil vom Thea­ter kom­men, trägt dazu bei, dass Spra­che hier anders benutzt und in der Insze­nie­rung etwas über­höht wird.

In einer Sequenz spricht die Toch­ter direkt in die Kame­ra, auch den Film­ti­tel spricht sie aus dem Off. Haben Sie die­se Art Brecht­scher Ver­frem­dungs­ef­fek­te also nicht nur ein­ge­setzt, weil Sie Distanz zu Ihrer eige­nen Geschich­te brauch­ten, son­dern es war vor allem eine künst­le­ri­sche Entscheidung?

Ja. Es ging mir weni­ger dar­um, mei­ne per­sön­li­che Geschich­te auf­zu­ar­bei­ten. Mit dem Film woll­te ich eine Geschich­te erzählen, die dann im Arbeits­pro­zess nicht mehr direkt mei­ne ist.

Sel­ten wird das Ster­ben in sei­ner Dau­er so inten­siv gezeigt wie in Ihrem Film; jedoch ver­mei­den Sie dras­ti­sche und entblößen­de Bil­der, auch die Pfle­ge­pro­ze­du­ren sind eher ange­deu­tet. Soll­te die Ster­ben­de auf die­se Wei­se ihre Wür­de behalten?

Es ging mir gar nicht dar­um, das Leben in einem Heim oder die Rea­li­tät der Pfle­ge dazu­stel­len, son­dern ich woll­te erzäh­len – da kommt das Per­sön­li­che wie­der zum Tra­gen –, was ich erlebt und gedacht habe, wäh­rend ich dem Ster­ben bei­gewohnt habe. Die Län­ge kommt zustan­de, weil es eben lang gedau­ert hat und es sich lan­ge anfühlt, wenn man dem gan­zen Trau­er­pro­zess beiwohnt. Das war mir wich­ti­ger, als zu gucken, wie es im Pfle­ge­heim funk­tio­niert oder lei­der oft eben auch nicht. Obwohl ich es gene­rell wich­tig fin­de, dass ande­re vom rea­len Pfle­ge– und auch vom Ster­be­hil­fe­sys­tem erzäh­len, war das hier nicht mein Ansatz.

Dazu passt, dass das Heim im Film in Zei­ten des Pfle­ge­not­stands fast zu schön wirkt. Das Pfle­ge­per­so­nal hat meist Empa­thie und Zeit – sogar dazu zu tan­zen und Kla­vier zu spie­len und so dem Schmerz an die­sem Ort Aus­druck zu verleihen.

Tat­säch­lich hat­te mei­ne Fami­lie zumin­dest mit dem letz­ten Pfle­ge­heim Glück, und dem woll­te ich Aus­druck ver­lei­hen, indem ich zei­ge, dass die Pfle­gen­den nicht nur Figu­ren sind, son­dern auch eine Rol­le spie­len. Mit der Dar­stel­le­rin einer Pfle­ge­kraft habe ich bespro­chen, dass sie Tod und Abschied in einem Tanz inszeniert.

© Grandfilm

Bei allem Leid scheint es ein gelun­ge­ner Abschied, alles ist gesagt und geklärt. Vie­le könn­ten Mut­ter und Toch­ter um ihre Nähe und Ver­bun­den­heit bis zum gemein­sa­men Los­las­sen benei­den. Nicht jede hat die Mög­lich­keit, über zwei Wochen an der Sei­te der ster­ben­den Ange­hö­ri­gen zu blei­ben. Soll­te jedem Men­schen ein sol­ches Abschied­neh­men ermög­licht werden?

Zu ver­durs­ten und zu ver­hun­gern ist nicht der schöns­te Lebens­aus­stieg, den man sich wün­schen kann. Gleich­zei­tig hat­ten wir als Ange­hö­ri­ge so tat­säch­lich Zeit, Abschied zu neh­men. Ich wür­de jedoch nicht pro­pa­gie­ren, dass jeder so ster­ben soll­te, das wäre bizarr und gruselig.

In ihrem aktu­el­len Sach­buch­best­sel­ler „end­lich. Über Trau­er reden“ for­dern die Autorin­nen Caro­li­ne Kraft und Susann Brückner, dass die Poli­tik den Zuge­hö­ri­gen, also auch engen Freun­den, die Trau­er­zeit (zu der auch Ster­be­ge­lei­tung gehö­ren könn­te) ermög­licht, die sie indi­vi­du­ell brau­chen – inklu­si­ve Frei­stel­lung von der Arbeit.

Da bin ich gespannt, ob sich so was durch­set­zen lässt. Wir hat­ten das Glück, dass wir da sein konn­ten, weil ich selbstständig bin (und unbe­zahlt Urlaub neh­men konn­te) und mei­ne Schwes­ter hat sich wei­t­ge­hend frei­neh­men kön­nen. Normaler­wei­se wür­de das in der Form nicht funk­tio­nie­ren, da das Ster­ben auch ein biss­chen län­ger dau­ern kann.

Die Autorin­nen for­dern gene­rell eine neue Trau­er­kul­tur und einen offe­ne­ren Umgang mit dem Tod, der in die­ser Gesell­schaft nach wie vor tabui­siert ist. Ist Ihr Film ein Bei­trag dazu?

Ich den­ke schon. Gera­de jetzt vorm Kino­start erle­be ich, dass vie­le vor dem Film zurück­schre­cken, das The­ma sei gera­de in der jet­zi­gen Zeit zu düs­ter, da bräuch­te man Erhei­tern­de­res. Da wün­sche ich mir einen offe­ne­ren Umgang. Der Tod wird uns ja alle betref­fen. Es wür­de uns allen guttun, wenn der Tod mehr zum Leben gehö­ren wür­de und nicht nur das Ende des Lebens beschreibt, denn so macht er noch mehr Angst als ohne­hin schon.

© Grandfilm

Obwohl Ihr Film kein expli­zi­ter Bei­trag zur Ster­be­hil­fe­de­bat­te sein soll, ist die Toch­ter mit den Reak­tio­nen der Umge­bung auf den Ent­schluss der Mut­ter, nichts mehr zu essen und zu trin­ken, kon­fron­tiert. „Ich mag die Ideen nicht, dass man so ster­ben kann“, sagt eine Freun­din. Den­noch wird nicht dar­über dis­ku­tiert, dass die Mut­ter ihr Leben unter Schmer­zen als nicht mehr lebens­wert emp­fin­det, das ist gesetzt, dar­über herrscht Einigkeit.

Ja, da wäh­le ich aus, was ich erzäh­len will. Ich umge­he es gene­rell in mei­nen Fil­men, bestimm­te Hin­ter­grün­de und Vorgeschich­ten zu erzäh­len und befin­de mich mehr im Moment.

War­um liest die Toch­ter der Ster­ben­den aus dem Brief­wech­sel zwi­schen Ber­tolt Brecht und Hele­ne Weigel vor? Haben Sie das Ihrer Mut­ter wirk­lich vorgelesen?

Ja, ich bin auch über­rascht, dass wir es aus­ge­wählt haben, weil es doch sehr zäh und lang­wei­lig ist. Aber Brecht und Weigel sind zwei Figu­ren aus dem Leben mei­ner Mut­ter gewe­sen, und ich dach­te, das Buch kön­nen alle Besu­cher am Ster­be­bett ganz gut weiterlesen.

Es sind einer­seits Lie­bes­brie­fe, in denen es teil­wei­se ganz banal um die Sehn­sucht nach einem Wie­der­se­hen geht, was wieder­um zum end­gül­ti­gen Abschied­neh­men im Film passt, sie sind aber auch ein poli­ti­sches Statement.

Die Brie­fe cha­rak­te­ri­sie­ren die Mut­ter, die kaum noch selbst spre­chen kann, sodass die Zuschau­er auch das Bedürf­nis haben, die­ser Per­son beim Ster­ben zuzu­se­hen. Banal fin­de ich die Brie­fe gar nicht, aber vorm Schnitt waren die Aus­zü­ge auch viel län­ger. Wobei das Wort banal in dem Zusam­men­hang doch ganz pas­send ist: Wenn man 14 Tage am Ster­be­bett ist, geht das Leben da drau­ßen wei­ter, und es gibt vie­les, was in sei­ner Bana­li­tät auf­ge­la­den wird.

Wäh­rend Sie vor­her auf einen Sound­track ver­zich­ten, beschlie­ßen Sie den Film über­ra­schend mit DJ Hells und Jonathan Mee­ses „Mother­dance“. Warum?

Banal gespro­chen, lag er oft auf unse­rem Plat­ten­spie­ler, wäh­rend ich an dem Film gear­bei­tet habe. Mein Mann, der Künst­ler und Fil­me­ma­cher Timo Mül­ler, hat­te die Idee, das Lied zu ver­wen­den. In Mee­ses Lie­be zu sei­ner Mut­ter habe ich, auch wenn sie sich in viel glo­ri­fi­zier­te­rer Form aus­drückt, einen Zusam­men­hang gefun­den. Auf einen nor­ma­len Sound­track ver­zich­te ich immer. Viel lie­ber wür­de ich mir Musik­stü­cke gro­ßer Künst­ler aneig­nen, um mei­ne Geschich­te zu erzäh­len, das ist aber oft lei­der finan­zi­ell nicht möglich.

Dieses Interview erschien zuerst am 09.06.2022 in: ND

„Zum Tod mei­ner Mut­ter“: Deutsch­land 2022. Regie und Buch: Jes­si­ca Krum­ma­cher. Mit: Bir­te Schnöink, Elsie de Brauw, Chris­ti­an Löb­er, Gina Hal­ler, Nico­le Johann­han­wahr, Tho­mas Weh­ling, Susan­ne Bre­de­höft; 135 Minu­ten, Start: 9. Juni 2022

Foto: © Grandfilm