Die Geschichte wurde wohl bereits an die 30 Mal verfilmt, etwa von George Méliès (1900), Cecil B. DeMille (1916), Carl Theodor Dreyer (1928), Victor Fleming (1948), Robert Bresson (1961) oder Luc Besson (1999). Wir schreiben das Jahr 1430, und in Frankreich ist „Brexit“ angezeigt. Die Engländer sollen raus, wollen aber nicht. Die Heerführerin Jeanne D’Arc hört Stimmen und will nachhelfen. Doch verlässt sie erst das Kriegsglück und dann ihre Gefolgschaft. Schließlich wird ihr wegen Ketzerei der Prozess gemacht, Ausgang bekannt. Man darf trotzdem gespannt sein, was Bruno Dumont draus macht. Früher („Humanität“; „29 Palms“; „Flandern“) war er für die Leberhaken im Kino zuständig, aber seit „Kindkind“ und „Die feine Gesellschaft“ begeistert er durch ein surreales Körperkino voller Überraschungen.
„Jeanne D’Arc“ beginnt, als wollte eine Laienspielgruppe mit begrenztem Enthusiasmus, eingeschränktem Budget, aber mit Unterstützung des örtlichen Reitvereins den Stoff in der Normandie zum Voltigieren bringen. Wie bei Kleist gibt es den Krieg und Paris nur als Teichoskopie. Eine umwerfende antiklerikale bis anarchistische Mischung aus Brechtschem Theater, Monty Python und Huillet/Straub. Würden- und Kostümträger, die sich Dünen rauf- und runterquälen, erscheinen zunächst lächerlich. Wenn es im Prozess um spitzfindige theologische Dispute geht, zeigen sich die bigott-mörderischen Impulse hinter dem Hässlichen. Dazu verlässt der Film die Natur und wendet sich in eine Kathedrale, eine Architektur, die den Menschen klein macht.
Dass das in den Bann schlägt, ist Lise Leplat Prudhomme zu verdanken. Sonst übernahmen die Rolle der jung Hingerichteten Darstellerinnen in ihren Dreißigern, aber Dumonts Protagonistin ist gerade mal zehn. Sie verkörpert ihre Mission mit einer unheimlichen Hingabe und liefert sich großartige Rededuelle. Mit der Wucht ihrer Individualität und ihres Gottvertrauens weist sie die weltliche wie klerikale Macht rhetorisch in die Schranken. Als wären all die ästhetischen Lösungen, die der französische Regisseur für den Stoff gefunden hat, noch nicht radikal und gegenwartsbezogen genug, gestattet er zudem kurze Blicke ins Innere der mysteriösen und zutiefst einsamen Figur mittels der Chansons, für die er den Sänger Christophe gewinnen konnte.
Diese Kritik erschien zuerst in: KONKRET 1/2020