Er habe in ein schwarzes Loch geschaut, erzählt uns der Regisseur Talal Derki (41), der mittlerweile in Berlin lebt, über die zwei Jahre, die er bei der islamistischen al-Nusra-Front im syrischen Bürgerkrieg verbracht hat. Für seinen Dokumentarfilm „Of Fathers and Sons“ war er dafür in sein Heimatland zurückgekehrt. Mit der Kamera protokolliert er das Leben des al-Nusra-Mitgründers Abu Osama und das seiner Söhne. Dem hatte er erzählt, er sei Kriegsfotograf mit Sympathie für den Salafismus. Osama ließ ihn an einem Familienleben teilhaben, in dem Gewalt in Wort und Tat alltäglich sind. Abu Osama, der davon lebt, Bomben zu entschärfen und die Zünder weiterzuverkaufen, auf dass sie in neuen Bomben neuen Schaden anrichten, träumt vom Kalifat. „Gerecht und friedlich“ werde es sein. Ein Frieden, den niemand mehr stört, weil nichts darin lebt. Seine Söhne, der 12-jährige Ayman und der 13-jährige Osama, sollen ihm bei der Einrichtung dieser Todeszone helfen. Ihre berufliche Zukunft ist vorgezeichnet: Sie sollen islamische Gotteskrieger werden.
Der Film steigt mit einer Autofahrt ein, aus dem Radio dröhnt ortsübliche Musik. „Lasst die Enthauptungen beginnen“, rappt der Sänger, „macht euch bereit zu sterben.“ Der Sohn fragt seinen Vater: „Wie hast du das Land befreit, Papa?“ Land und Freiheit sind variable Begriffe, wie sich kurz darauf zeigt. Da liegt Abu Osama in einem Hinterhalt mit einem Präzisionsgewehr auf der Lauer. Er schießt einen Mann vom Motorrad. „Ich hab ihn erwischt. Er versucht, sich zu verstecken.“ Aber das Gewehr klemmt. Als er die Waffe wechselt, ist das Opfer verschwunden. Die Kamera schwenkt über das Tal, zahlreiche Brandherde sind zu sehen. Regisseur Derki sitzt in einer Ecke: „Ich wusste ja von Anfang an, was er tut. Wir saßen da, ich interviewe ihn, dann versucht er, einen anderen Vater zu töten!“ Als Chronist habe er nicht einschreiten können. Sein eigenes Schicksal wäre besiegelt gewesen.
Kampfhandlungen abbilden ist das eine; das andere: „Of Fathers And Sons“ ist ein Film über junge Menschen, die in Not aufwachsen. Der eigene Vater plant ihr Leben nicht lange ein, im Gegenteil. Er wünscht ihnen einen ehrenvollen Tod. Als Zuschauer verliert man über weite Strecken die Hoffnung über den Zustand der Welt oder verbindet ihn mit Engagement, wie es die Kollegen von Amnesty International Slowenien getan haben. Sie vergaben den diesjährigen Menschenrechtsfilmpreis an Derki. Oft wird Künstlern, die wie er arbeiten, ein Hang zur Selbstgefährdung nachgesagt. Aber sie berichten auch aus der inneren Verfasstheit der Welt als Konflikt, wenn sie sich Gefahr aussetzen und dabei über zwei Jahre die Kamera mitlaufen lassen. Eine beeindruckende Arbeit. „Meine Botschaft ist: Was hier passiert, kann jederzeit auch woanders passieren. Wenn wir – als Welt – nicht die Gesellschaften schützen, entsteht irgendwo das nächste Chaos“, warnt Derki. Die Jugendlichen von Syrien, die zum Krieg und sonst nicht ausgebildet werden, stehen modellhaft für eine vernachlässigte Jugend in Gebieten, die ökonomisch und politisch instabil und umkämpft sind.
Derki hat zuvor als Kameramann für arabische und amerikanische Fernsehstationen aus dem Syrienkrieg gearbeitet. Er hat den Film „Return to Homs“ („Homs – Ein zerstörter Traum“; D/SYR 2013) gedreht, in dem es um einen jungen Mann geht, der sich während der Proteste gegen die syrische Regierung Baschar al-Assads radikalisiert und in der Rebellenarmee landet. Waffen und Geld kommen ohne Ende aus dem Ausland. Derki wollte herausfinden, warum junge Männer als Kampfmaschine enden. So kam er auf die Familie Abu Osamas. Der hat zwölf Söhne, Ayman und Osama stehen am Ende ihrer Kindheit.
Im Film zu sehen sind Szenen im und um das Haus Osamas herum. Gewalt beherrscht die Kommunikation, die Söhne wollen Soldaten werden. Ihre alterstypischen Prügeleien haben vor dem Hintergrund des Krieges einen besonderen Charakter. Man nimmt es ihnen ab, wenn sie sagen: „Ich töte dich.“ Ihr Vater erzählt: „Im Ort haben Jesiden, Christen und Sufis gewohnt. Jetzt sind wir allein.“ Einen anderen Sohn hat er nach Mohammed Atta benannt, dem Kämpfer des 11. September – Tag des Angriffs auf das World Trade Center. “Mohammed ist tatsächlich am 11. September geboren.“ Der andere ist nach Osama bin Laden benannt. Über Abu Osama sagt Derki, er sei das Paradebeispiel eines willensstarken Vaters in einer radikalen Gesellschaft, der seine Söhne durch eine harte Ausbildung führt. „Ich wollte zeigen, wie die destruktiven Ideen von Generation zu Generation weiterleben.“
In „Of Fathers And Sons“ gibt es nur eine Szene, in der eine Frau vorkommt, und das nur akustisch und nur um die Ecke. Abu Osama verliert im Einsatz ein Bein. Als er aus dem Krankenhaus kommt, weinen die Kinder. Aus einem Nebenzimmer hört man eine seiner beiden Frauen klagen. Sie solle das Maul halten, ruft er ihr zu. Frauen zu filmen, sei das Einzige gewesen, was bei den Dreharbeiten richtig verboten war, berichtet Derki. Es sei ihnen nicht erlaubt, sich von fremden Männern ansehen oder ansprechen zu lassen. Während das Familienoberhaupt sich vor Schmerzen auf seinem Bett krümmt, basteln die Kinder Bomben aus Plastikflaschen, Zitronensäure und roter Erde. „Wir verstecken sie. Wenn einer drauftritt, explodiert er.“
Bald übersiedeln Ayman und Osama in ein Ausbildungscamp. Die Soldaten lassen sie unter Stacheldraht hindurchkriechen, durch Röhren und durchs Wasser. Um sie kampftauglich zu machen, schießen sie scharf und zielen neben die Köpfe der Schüler. Die Ausbildung ist hart und gefährlich und soll es auch sein. Die Jungen rezitieren den Koran, wenn sie nicht trainieren. Ob man seinen Film auch falsch verstehen könne? Als Propaganda für den Kampf? Da müsse man irre sein, findet Derki. Vor einigen Monaten hat es Abu Osama erwischt, er wurde getötet. Den Film hat er nicht gesehen. Auch sonst hat bisher niemand danach gefragt, Kontakte gibt es nicht.
Momentan scheint es so, dass sich der Konflikt in Syrien beruhigt. Präsident Assad gewinnt zusehends Terrain, aber das Land ist auch weiterhin in Einflusszonen inner- und ausländischer Kräfte aufgeteilt, die sich aufs Blut bekämpfen. Wie ein dauerhafter Frieden aussehen könnte, weiß niemand. „Ich möchte manchmal optimistisch sein, daran glauben, dass die Kinder ein bisschen verstehen werden, was abgeht. Dass denen der Dschihad egal wird“, erzählt Derki. Sein Film lässt da manchmal Hoffnung aufkeimen. Da gibt es eine Stelle, wo drei Jungen abends in einem kahlen Raum auf einer Matratze sitzen und sich gegenseitig Rechenaufgaben stellen. Osama sagt: „Wir brauchen Grips, um Sachen zu verstehen.“ Und hat er nicht sogar den Vater angelogen? War gar nicht beten? Verfängt vielleicht die ganze Kampfpropaganda bei den Kindern gar nicht richtig? Derki sagt, ihm sei es darum gegangen, zu zeigen, dass Ungerechtigkeit und ein Mangel an Bildung die Basis für den ideologischen Fanatismus bilden. „Der Dschihadist ist die Spitze der Radikalisierungsbewegung in der Welt von heute.“ Bleiben müsse er da nicht. Wenn es keine Gewalt gegen Frauen und Kinder gäbe, wenn es vielleicht ein Gesetz gäbe, das vorschriebe, dass Kinder in die Schule gehen müssen, dann würden es die Dschihadisten nicht schaffen, so viel Macht zu gewinnen, glaubt der Regisseur.
Er wolle mit seinem Film das Gespür für die Rechte der Kinder in muslimischen Ländern schärfen. „Wenn ein Lehrer Kinder schlägt, soll er dafür vor Gericht kommen. Ich will, dass der Kreis der Gewalt durchbrochen wird. Denn wenn du mit Gewalt aufwächst, bist du bereit, sie weiterzugeben.“
Dieser Text ist zuerst erschienen in Amnesty Journal 02/03 2018.