René Redzepi zählt zu den innovativsten Köchen der Welt. Sein Restaurant „Noma“, 2003 in Kopenhagen eröffnet, wurde innerhalb kürzester Zeit mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet und seit 2010 dreimal in Folge zum besten Restaurant der Welt gekürt. Nicht ohne Grund, denn Redzepi ist ein Perfektionist. Einer, der sofort merkt, wenn auf seinen Kreationen Thymian anstatt Zitronenthymian serviert wird und dann vor versammelter Mannschaft nicht weniger als ein ganz großes Fass aufmacht. Sein Aufstieg vom mazedonischen Einwandererkind zu einer der einflussreichsten Personen des Kochgewerbes sowie seine an Besessenheit grenzende Akribie leuchtet Pierre Deschamps nun in der Dokumentation „Noma“ kräftig aus.
Über drei Jahre hat der Regisseur den Starkoch, der mit dem Anspruch auftritt, die nordische Küche revolutionieren zu wollen, begleitet. Der Blick hinter die Kulissen des Noma erzählt dabei viel über den (selbstauferlegten) Druck, der auf allen Beteiligten lastet. In jeder Szene geht es um die perfekte Kreation und darum, das Beste zu geben und der Beste zu sein. Eine Sinnkrise ist die Folge, zu der sich zu allem Übel noch eine Lebensmittelvergiftung im Restaurant gesellt. Von einem Moment auf den nächsten ist Redzepis berufliche Existenz gefährdet. Und auch die Verweigerung des dritten Michelin-Sterns ist ein harter Schlag. Am schlimmsten trifft ihn jedoch der Verlust des Titels „Bestes Restaurant der Welt“ im Jahr 2013.
Mit einigem Tamtam werden all diese Begebenheiten zum Porträt eines Menschen vermengt, der sich vehement weigert seine Gäste mit Silberbesteck essen zu lassen und damit gegen die Etikette verstößt, der in einer Sekunde in die Kamera winkt, um ihr dann schelmisch den Stinkefinger zu zeigen, der mit dem Fahrrad nach einem stressigen Tag heimfährt, der beste Vater der Welt für seine Familie ist und einen vorzüglichen fuck auf seine gutbetuchten Gäste gibt, die extra aus New York anreisen. Redzepi beherrscht die Attitüde des smarten Rebellen vorzüglich. Nur wirklich nah kommt man ihm nicht. So wenig wie die vielen Unschärfen, Makroaufnahmen und Zeitlupen des hübsch gefilmten Essens etwas über die Poesie des Kochens erzählen, so wenig offenbart der offensiv zur Schau gestellte Einblick in die Arbeit und das Leben des Sternekochs etwas über den Menschen René Redzepi. Alles ist immer einen Hauch zu perfekt und zu dramatisch. Da wird die Frage, ob es das Lokal ein viertes Mal schaffen kann zum besten Restaurant der Welt gekürt zu werden, ins Zentrum des Filmes gestellt und mit heißer Luft aufgeschäumt, als gäbe es kein Morgen mehr. Die Verbissenheit mit der der Film Spannung suggeriert, wo doch nur Nudelwasser ganz leicht vor sich hinköchelt, grenzt an Hirnfermentierung.
Dramaturgie ist in „Noma“ wie alles andere auch vor allem ein Luxusproblem. Und jede Es-geht-hier-jetzt-echt-um-alles-Szene wird süffisant mit der Ideologie des Großverdienerhippies angereichert, dass einem das in Birkensaft pochierte Ei auf Waldmeistersauce im Halse stecken bleibt. Letztlich ist „Noma“ ein MacGuffin, ein alberner Bluff in alberner Werbefilmästhetik, der aus jeder Mücke einen Elefanten macht und den Endpunkt einer totalen Entpolitisierung und zugleich Entästhetisierung des Dokumentarfilmes darstellt. Wenn sich im Essen unser Verhältnis zu unserer inneren und äußeren Natur, zu Zeit, Geld und Werten widerspiegelt, dann erzählt „Noma“ in dekadenter Blindheit davon, wie sehr dieses Verhältnis heute verschoben ist.
Der Stellenwert der Ernährung hat mittlerweile groteske Züge angenommen. Kochen und Essen haben, nicht zuletzt auch in ihrem zur Ideologie gewordenen Mantra vom „richtigen“ Essen, das mit reichlich kognitiven Dissonanzen einhergeht, eine kollektive Essstörung kultiviert. Die übersättigte Gesellschaft spielt mit dem Hunger der Konsumwilligen nach dem moralisch Vertretbaren, dem Besonderen und dem Unwiederholbaren. Wo kaum noch etwas Absatzmöglichkeiten schafft und alles im Abonnement permanent verfügbar ist, bietet so etwas wie die Nouvelle Cuisine die ultimative Einzigartigkeit. Und so hat sich eine Fresselite herausgebildet, die für ein 25-Gänge-Menü, das der Umwelt zuliebe aus regionalen Zutaten besteht, von New York nach Kopenhagen fliegt. Essen bedeutet heute nicht immer Genuss, aber häufig Distinktion. Es geht um einen Platz in der Welt, den kein anderer besetzt. Und der Wunsch nach Geltung verführt Mann zum Grill, groß wie ein Auto und die Gutbetuchten zum Besuch eines Monate im Voraus ausgebuchten Nouvelle-Cuisine-Restaurants. Am anderen Ende der Skala arbeitet sich KEEMI auf ihrem Youtube-Kanal regelmäßig durch den Tiefkühlfraß großstädtischer Supermärkte. Mukbang heißt das Phänomen aus Südkorea, bei dem Menschen vor der Kamera mampfen und aus ihrem Alltag berichten. Kauen und sprechen fallen hier gern in eins und nach 30 Minuten ist die Grillplatte für zwei von einer Person vollständig verspeist. Das Magazin „Foodboom“ bringt es dann ganz unironisch im Titel auf den Punkt: Essen knallt.
„Noma“ knallt in diesem Sinne ebenfalls. Und am besten serviert man einen Molotow-Cocktail zu diesem Film, der über die Beschaffenheit eines aufwendig gestalteten Kochbuches nicht hinausfindet. Die Bilder sind hübsch, die Texte nett. Ein perfektes Produkt des Champagner-Kapitalismus. Guten Appetit und Prost!