Etwas geschieht – und etwas (davon) wird sichtbar. Ein junges Paar erklimmt mühevoll einen Anhang zu einem Platz. Oben angekommen wird gemeinsam musiziert: „The Lion Sleeps Tonight“. Straßenmusik. Dann kommen andere junge Menschen hinzu, die ihrerseits eine Agenda haben. Ein Plakat wird ausgebreitet. Sommer 1984, der EU-Beitritt Griechenlands steht bevor und ist mit einigen Hoffnungen verbunden. Als der junge Mann, nennen wir ihn Kenneth, einen Anruf tätigt, erhält er eine Nachricht, die ihn zusammenbrechen lässt. Eine Beobachterin der Szene wird aufgeklärt, dass Kenneths Mutter einen Unfall erlitten habe. Kurz darauf kommt es zu einer erneuten Begegnung des Paares, diesmal in ihrer Heimatstadt. Eine gewisse Entfremdung ist nicht zu übersehen. Trotzdem werden Zukunftspläne geschmiedet. Jeder für sich. Die junge Frau, nennen wir sie Theres, will Lehrerin werden. Griechisch und Latein.
„Der traumhafte Weg“, der neue Film von Angela Schanelec, ist angelegt wie ein schwebendes Mobile aus Einzeleinstellungen, die ein genaueres Hinsehen erfordern, wenn man der/die Geschichte(n), die sie (auch) erzählen, auf die Spur kommen will. Vertrauend auf die Neugier und die Phantasiebegabung des Zuschauers belastet die Filmemacherin ihre Figuren nicht mit Geschichte oder psychologischen Profilen, sondern nimmt stattdessen die Körper und die Textur ihrer Kleidung als Medien. Hier wird buchstäblich über Schuhe und Pullover erzählt. Hatten die Filmemacherin und ihr beständiger Kameramann Reinhold Vorschneider in früheren Filmen ihren Einfluss auf die Figuren/Darsteller durch lange Plansequenzen beschränkt, so inszenieren sie in „Der traumhafte Weg“ durch Ausschnitte und Einstellungen, deren Manier an Robert Bresson („Das Geld“; F 1983), Jean-Luc Godard („Nouvelle Vague“; F 1990) oder Jean-Marie Straub und Danièle Huillet („Klassenverhältnisse“; D 1984) erinnert – und durchaus von einem spezifischen Humor oder einer Freude am vermittelten Erzählen zeugt.
Der Film folgt den Geschichten des Paares, das sich aus den Augen verloren hat. Da ist die Geschichte von Kenneth, der mit seinem Schicksal hadert, Junkie wird, gemeinsam mit dem fast blinden Vater die im Koma liegende Mutter erlöst, als gerade die Ostdeutschen den Reiz österreichisch-ungarischer Grenzgebiete entdecken. Da ist die Geschichte von Theres, die ein Kind bekommt, studiert und schließlich mit dem Kind nach Berlin zieht. In Berlin, dem Berlin der Gegenwart, kommt eine weitere Geschichte vom Ende einer Beziehung hinzu: Eine Schauspielerin versucht sich von einem Anthropologen zu trennen, mit dem sie eine Tochter hat. Auch hier wirkt manches auf den ersten Blick mysteriös, fragmentarisch und isoliert, aber, wenn man die Puzzleteilchen an Informationen zusammenlegt, wird auch hier deutlich, wie präzise der Erzählfluss des Films, wie durchdacht und sinnig jedes Detail in Szene gesetzt ist. „Der traumhafte Weg“ – der Filmtitel bezeichnet ziemlich präzise das Erzählverfahren und seine Freiheit(en) – fungiert dabei durchaus auch als Intervention gegenüber dem konventionellen und überdeterminierten Fernsehspiel-Realismus, wie er hierzulande mittlerweile auch 80% der Kinofilme zu eigen ist, aber nicht im Sinne einer destruktiven und frustrierenden Hermetik, sondern eher als Geste freundlichen Entgegenkommens auf der Basis gegenseitigen Respekts.
Wenn die Geschichten, die in „Der traumhafte Weg“ vorgestellt werden, auf der Zielgeraden – nach mehr als 30 Jahren! – dann enggeführt werden, ist es das Privileg des aufmerksamen Beobachters die Spannung dieser Engführung zu genießen. Den Figuren bleibt sie verborgen, weil sie nichts voneinander wissen. Am Ende: ein Verschwinden, ein Schuh auf dem Bahnsteig. Und der Film? Der hat sich wesentlich um einen Ort bekümmert, an dem die Engführung, die keine Begegnung ist, »plausibel« ist. Wenn Angela Schanelec davon spricht, dass sie schließlich auch die Zuschauerin ihres Films sei, dann sollte man das als Angebot verstehen, ihr ein wenig dabei in die Karten schauen zu dürfen, wie sie selbst sich eigene Fragen beantwortet und dafür ungewöhnliche künstlerische Lösungen findet. Ausgangspunkte von „Der traumhafte Weg“ waren vielleicht die Begegnung mit Obdachlosen im Alltag und die Fragen nach deren Geschichten, ergänzt vielleicht durch eine Lektüre von „Traurige Tropen“ von Levi-Strauss, die Begegnung mit Thorbjörn Björnsson und die Lust, einmal mehr mit Maren Eggert zu drehen. Was daraus wurde? Ein Kinofilm im emphatischen Sinne und eine Einladung, sich auf das Abenteuer des Sehens und des Nachdenkens einzulassen.
Hier gibt es einen weiteren Text zu ‚Der traumhafte Weg‘.