Dass ich diesen Film – von Genre-Geeks und Slasher-Nerds leidenschaftlich gehasst, von der Kritik überwiegend gescholten und dem Publikum größtenteils ignoriert – mögen würde, wusste ich bereits bei einer Szene im Krankenhaus nach etwa zehn Minuten. Großartig, wie die Kamera von Dean Cundey, der später unter anderem die „Back to the Future“-Filme und „Jurassic Park“ fotografieren sollte, die sterile Leere des Schauplatzes einfängt. Bei dem Mord, der hier geschieht, erinnert nicht nur die Tatsache, dass der Killer schwarze Handschuhe trägt, an einen Giallo. Ein Bezug, mit dem der Film über den Kontext seines Subgenres, des Slasherfilms hinausgeht (auch wenn „Haloween III“ für solche festen Zuschreibungen viel zu eigensinnig ist, doch dazu später mehr) und auf dessen italienische Vorgänger verweist, so wie er seine Hauptfigur an einer Stelle auf das irisch-keltische Fest Samhain verweisen lässt, dessen Bräuche die US-amerikanische Halloween-Kultur entschieden prägten. Die (Pop-)Kultur in einem Einwanderungsland wie den USA ist nie eine ausschließlich „amerikanische“ Angelegenheit, hat ihre Wurzeln immer schon überall auf der Welt, auf anderen Kontinenten, in anderen Zeiten und anderen (Pop-)Kulturen, was, nebenbei bemerkt, sicher nicht das einzige ist, was einen Slogan wie „America first!“ als vollkommen schwachsinnig erscheinen lässt. Nach dem Mord nimmt die Kamera Fahrt auf, rast durch die von schummrigem Neonlicht erleuchteten Gänge.
Dass ich diesen Film lieben würde, wusste ich spätestens bei einer Szene in einer Bar, in der sich die männliche und die weibliche Hauptfigur kennenlernen, die wenig überraschend bald ein Paar sein werden. Beide sind sie im Leben gestrandet, auf einem Plateau angekommen: Er lebt frisch in Scheidung von seiner Frau, mit der er zwei Kinder hat, ihr geliebter Vater ist gerade ermordet worden. Die Atmosphäre in dieser Bar, in der ein Fernseher flimmert, der den im Film allgegenwärtigen Halloween-Tage-Count Down zur Melodie von „London Bridge“ spielt, in dem eine Programmankündigung für John Carpenters „Halloween“ zu sehen ist. Das Licht und die Atmosphäre in dieser Bar sind so unverwechselbar, dass man sich keinen schöneren Ort für ein Filmpaar in spe vorstellen könnte, um einander zum ersten Mal zu treffen.
Der Vorgänger ging ganz auf Nummer Sicher, indem er in jeder Hinsicht an Carpenters Meisterwerk von 1978 anknüpfte, dessen DarstellerInnen-Duo Jamie Lee Curtis und Donald Pleasence übernahm, den Villain Michael Myers, die Titelmelodie von Carpenter (in der bei ihm das Geschnatter der High School Girls unterging und durch die die Suburbia-Schauplätze bereits am Tag, auf den eine mörderische Nacht folgen sollte, unheimlich aufgeladen wurden) und dessen Geschehen zu allem Überfluss nicht in der Gegenwart des Jahres 1981 spielte, sondern in der Halloween-Nacht des Jahres 1978, also unmittelbar an die Ereignisse des Erstlings anschloss. Der Body-Count des in dieser Hinsicht eher zurückhaltenden Carpenter-Films wurde drastisch nach oben korrigiert, der Schauplatz Krankenhaus recht geschickt ausgenutzt, wobei unter anderem Spritzen und Whirlpools zu Mordwaffen umfunktioniert wurden. Alles in allem kein schlechter, aber auch kein sonderlich bemerkenswerter Genrebeitrag.
Was für ein anderes Kaliber Film ist dagegen „Halloween III“! Was für ein sperriger und, das wiederhole ich an dieser Stelle gerne, eigensinniger Film, der der Überbietungslogik eines Sequels nicht nur darin gerecht wird, dass die Menge an Splatter- und anderen Spezialeffekten – allerdings, das sei der Fairness halber dazu gesagt, waren diese schon 1982 kaum auf der Höhe der Zeit, haben dafür einen ganz eigenen naiven Fünfziger Jahre-Charme – im Vergleich zu den beiden Vorgängern hoch gesetzt wurde. Auch der Body-Count beläuft sich laut einer OFDb-Review auf nicht von mir geprüften 23 Toten, was mehr wären als in den beiden Vorgängern zusammen.
Regie-Debütant Tommy Lee Wallace konnte mit dem finanziellen Desaster, das dieser Film an der Kinokasse war, natürlich nicht in eine große Karriere starten, arbeitete später hauptsächlich fürs Fernsehen, wo er immerhin unter anderem bei dem Zweiteiler „It“ nach dem Roman von Stephen King Regie führte, den ich unbedingt nachholen möchte. Natürlich kann man sich für Fans der Reihe keinen größeren Affront vorstellen als seinen „Halloween“-Beitrag. Ein Slasher-Sequel, das nicht nur auf den vier Jahre nach seinem ersten Auftritt bereits ikonographischen Michael Myers verzichtet und auf seine guten Gegenspieler sowieso, sondern, auch, und das noch bei der weitesten Dehnung des Begriffes, vieles ist, aber eines nicht: ein Slasher.
Vielmehr wird die factory town Santa Mira, Sitz des gigantischen Halloweenmaskenherstellers Silver Shamrock, in die es das Protagonistenpaar Dr. Daniel Challis (Tom Atkins) und Ellie Grimbridge (Stacey Nelkin) auf der Suche nach dem Mörder ihres Vaters, der sein Patient war, verschlägt, zu einer beeindruckenden Dystopie. Der Ort bildet als Mikrokosmos einen absolut entfesselten Monopolkapitalismus ab, in dem nur eine einzige Firma das Sagen hat, nicht nur alleiniger Arbeitgeber ist, sondern auch alles überwacht, jede/n ausschaltet, der oder die ihr nicht in den Kram passt. „I feel like a gold fish“, sagt Ellie angesichts der vielen starrenden Augen bei der Fahrt durch den Ort und Challis stellt etwas später fest: „This place is a zoo.“ Geleitet wird Silver Shamrock von dem heimlich fiesesten, weil menschlichsten Villan der “Halloween“-Reihe Conal Cochran (Dan O’Herlihy, der auch fünf Jahre später in „Robocop“ einen fiesen Firmenleiter spielen sollte, der mit dem organisierten Verbrechen paktiert), der in seinem Reich nicht nur alleiniger Souverän ist, sondern, indem er künstliches Leben erschafft, sich quasi zum Gott erhebt. In diesem an eine faschistische Diktatur gemahnenden Mikrokosmos floriert die von altem irischem Kapital (denn nicht mal das ist hier US-amerikanisch) beheizte Wirtschaft, was jedoch nicht allen ihren BewohnerInnen zum Vorteil gereicht, wie Challis gleich nach seiner Ankunft feststellt, als ihn ein Obdachloser auf der Straße anspricht und um einen Schluck aus der soeben erworbenen Schnapsflasche bittet, den er ihm, in dem er einen willkommenen Verbündeten und Informanten sieht, natürlich sofort gewährt.
Santa Mira ist zugleich ein Ort, an dem verschiedenste Traditionslinien des Genrekinos zusammenlaufen. Da ist zunächst neben dem Giallo sicherlich der Paranoiathriller der Siebziger, wobei die wichtigste Referenz vielleicht Philip Kaufmans „Invasion of the Body Snatchers“, der bereits 1978, also im selben Jahr wie der erste „Halloween“, Elemente von Science Fiction, Horror und (Paranoia-)Thriller meisterlich kombinierte. Es ist keineswegs zufällig, dass es sich hierbei um ein Remake des gleichnamigen Don Siegel-Films von 1956 handelt, denn auch die Fünfziger spuken durch das 1982 in Santa Mira. Sie finden sich etwa in den Spezialeffekten von Gesichter verbrennenden Laserstrahlen, aber auch in der absolut gruseligen Vorzeigefamilie eines Angestellten der Fabrik, die ein ziemlich blutiges Ende findet. Santa Mira ist ein dialektisches Wunderwerk, ein Ort, der ganz und gar zeitlos ist, nur im Kino existieren kann, aber dabei doch den Zeitgeist der frühen Achtziger mitten ins Herz trifft. Und die zerrüttete Familiengeschichte des Protagonisten sowie die Liebe des Films für krisengeschüttelte gesellschaftliche Außenseiter, die hier auch ruhig mal Arzt sein können, ohne ihren Platz in der Welt so recht zu finden, lässt ihn eh als Spätausläufer des New Hollywood erscheinen.
So ist Challis einfach kein family man wie Michael Myers – schon eher ein dirty old man in der Art von Charles Bukowskis Alter Ego Henry Chinaski. Die Monogamie ist seine Sache nicht, der sich vor den Aufwartungen hübscher Frauen nicht retten kann, einer befreundeten Krankenschwester auch mal selbst seine Aufwartungen macht – mit einem Klaps auf den Hintern. Im Umgang mit seinen Kindern gibt er sich gleich zu Beginn denkbar unbeholfen. Die Halloweenmasken, die er ihnen mitbringt, können gegen die ständig im Fernsehen beworbenen aus dem Haus Silver Shamrock, die ihnen ihre Mutter geschenkt hat, nicht anstinken. Damit ist die family time gleich zu Beginn auch schon wieder beendet, die Exfrau, die ihm bei dieser Gelegenheit Vorhaltungen über „drinking and doctoring“ macht, eine Anspielung auf sein wohl ziemlich ausgewachsenes Alkoholproblem, kommt im folgenden Film nur noch als wutentbrannte Stimme aus dem Hörer eines öffentlichen Telefons vor. Als die viel jüngere Ellie und er in Santa Mira ankommen haben sie erst einmal so leidenschaftlichen Sex, wie ihn nur frisch Verliebte haben können, der leider viel zu schnell ausgeblendet wird mit einem Schnitt zu einem establishing shot auf die ausgestorbene nächtliche Straße des Ortes, in dem Moment, als er sich mit dem Mund über ihren Nippel hermacht. Dafür gibt es eine Einstellung später den schönsten postkoitalen Dialog in einem Film ever: Als sie sich gleich wieder über ihn hermachen will, beginnt ihn zärtlich zu küssen, antwortet er mit der Frage: „Aren’t you just the least bit tired?“ „No.“ „Wait a minute, how old are you?“ „Relax! I’m older than I look.“
Aber „Halloween III“ hat nicht nur Vorbilder, sondern er kann auch selbst als ungewürdigter Begründer einer Traditionslinie des amerikanischen Genrekinos gesehen werden, als Vorreiter von Filmen wie „They Live“, einem späteren, endlos deliranten und düster dystopischen Meisterwerk John Carpenters, in dem das Böse ebenfalls unter anderem aus dem Fernseher kommt, oder durch die metafiktionalen Spielereien mit dem ersten „Halloween“, der hier gleich mehrmals über Fernsehbildschirme flimmert, die, freilich etwas weiter ausgearbeitet, in einer anderen Slasher-Reihe, zwölf Jahre später, endgültig zum Tragen kamen, nämlich in „Wes Craven’s New Nightmare“, dem siebten Teil der „Nightmare on Elm Street“-Reihe. Oder auch, wesentlich weniger ambitioniert, in „Seed of Chucky“, dem fünften Teil der Serie um die Mörderpuppe, dem Regie-Debüt von deren Erfinder Don Mancici. Ja, der Film war von Produzent Carpenter sogar als Beginn einer neuen Reihe geplant, in der nach dem Tod Myers am Ende von „Halloween II“ jedes Jahr ein neuer Film mit einem anderen Halloween-Bezug in die Kinos kommen sollte, was aber nach dem kommerziellen Misserfolg von „Halloween III“ komplett im Sande verlief. Übrigens startete der Film nur wenige Monate nach „Blade Runner“, mit dem ihn auch das Thema künstliche (Killer-)Menschen verbindet. Dass sich um Scotts Film ein regelrechter Kult gebildet hat, während Wallaces Film, der sich so nonchalant und mutig zwischen alle Stühle setzte, nicht mal unter Genre-Aficionados wirklich als Geheimtipp gehandelt wird, ist eine der großen Ungerechtigkeiten der Filmgeschichte.
Selbst das Franchise um Michael Myers kam durch „Halloween III“ ins Stocken. Erst sechs Jahre später konnte mit „Halloween 4: The Return of Michael Myers“ verkündet werden. Dabei wurde aus Budget-Gründen zum ersten Mal nicht in Cinemascope gedreht, was auch in den folgenden drei Filmen beibehalten wurde. Es scheint, dass sich mit diesem Film die Serie auch ein Stück weit vom Kino verabschiedet hat, um erst mal den boomenden DTV-Markt zu bedienen. Der folgende „Halloween 5“ wurde nur noch in fünf Ländern ins Kino gebracht und ist im Rest der Welt (darunter auch in den USA) auf Video veröffentlicht worden. Erst „Halloween H20: 20 Years Later“, 1998, also 20 Jahre nach Teil 1, drei Jahre nach dem unmittelbaren Vorgänger, „Halloween: The Curse of Michael Myers“, bot wieder das breitere Bildformat, da mit der inzwischen zum Star gewordenen Jamie Lee Curtis, die einst mit „Halloween“ ihr Kinodebüt vorgelegt hatte, auch das Geld ins Franchise zurückkehrte, leider in einem Film, an dem der sperrige Titel noch das Interessanteste ist.
Richtig Fahrt aufnehmen sollte das Franchise erst wieder durch das Reboot des Musikers/Filmemachers Rob Zombie 2007. Es ist kein Zufall, dass die Vorgeschichte Michael Myers, bevor er aus der Klinik ausbricht, die bei Carpenter nur eine lange Einstellung dauerte, hier die komplette erste Filmhälfte einnimmt, geht es Zombie doch darum, seine Hauptfigur zunächst nach allen Regeln der Kunst psychologisch zu fundieren mit Strippermama, Alkipapa und sehr „fuck“-lastigen Zombie-Trademark-Dialogen. Wer das, wie ich, nur bedingt für eine gute Idee hält, der wird im Sequel von 2009 über Gebühr entschädigt, mit dem vielleicht originärsten Film der Reihe, der die psychologischen Implikationen des Vorgängers in schier unfassbaren Wahnsinn überführt. Laurie (Scout Taylor-Compton) wird zur Psychiaterin geschickt, Dr. Loomis (Malcolm McDowell), der sich mit seinem Buch über Myers und seine Morde eine goldene Nase verdient hat, und dabei, wie viele Erfolgsmenschen ein ziemliches Arschloch geworden ist, darf Freud vulgarisieren, und der große Michael hat Visionen von dem kleinen Michael mit seiner Mutter, die sich im ersten Teil suizidiert hatte, und nun im weißen Kleid ein weißes Pferd führen und dabei so bezaubernd aussehen darf wie nur Robs Frau Sheri Moon Zombie bezaubernd aussehen kann.