Der Kuaför aus der Keupstraße

(D 2016; Regie: Andreas Maus)

Keine besonderen Vorkommnisse

Wie arbeiten deutsche 'Verhörspezialisten'? Und was machen deutsche Filmemacher daraus, wenn sie Ermittlungsakten in die Finger kriegen? Zwei aktuelle Beispiele: Raymond Ley hat das Gedächtnisprotokoll der BKA-Leute, die Beate Zschäpe auf dem Weg zu ihrer Oma in entspannter Plauderatmosphäre vergeblich zum Auspacken bewegen wollten, zur Grundlage seines Ende Januar ausgestrahlten TV-Terrorakts 'Letzte Ausfahrt Gera. Acht Stunden mit Beate Zschäpe' (hier in der ZDF-Mediathek zu sehen) gemacht. Die an Zschäpes Klagen über die miese Knastkost anteilnehmenden Kripobeamten erscheinen besonnen; in ihrer aufrichtigen Sorge reden sie schon mal mit sich selbst ('Was weißt du, Mädchen?'), wenn Ley nicht weiß, wie er den ahnungslosen ZDF-Gucker sonst in den Fall einführen soll.

Während Ley in seinem 'Dokudrama' unter anderem auf die Expertise eines NPD-Funktionärs setzt, Mitleid mit den ratlosen Polizisten wecken und in absurd nachgestellten Szenen Tisch und Bett mit Beate und ihren Uwes teilen will, widmet sich Andreas Maus in 'Der Kuaför aus der Keupstraße' Opfern des NSU, die auch zu Opfern der Polizei wurden: die beim Kölner Nagelbombenattentat 2004 vor einem türkischen Frisörsalon Verletzten und ihre Angehörigen.

Haben Sie schon einmal Münzen in einen Spielautomaten geworfen? Wenn Sie dann noch aus der Türkei stammen und ein Anschlag auf Sie verübt wurde, macht Sie das hochverdächtig. Zumindest für die deutsche Polizei. Die Stärke der künstlerisch überambitionierten und mit einem überflüssigen poetischen Off-Kommentar versehenen Dokumentation: Die von Schauspielern auszugsweise nachgestellten Verhöre, denen Attentatsopfer noch Jahre danach stundenlang unterzogen wurden, machen klar, dass der 'Weg, vom Opfer – aus einer vollkommen normalen bürgerlichen Existenz heraus – zum Täter gemacht zu werden, sehr, sehr kurz' (Maus) ist. Die Ermittler bringen Eheleute und Geschäftspartner durch Unterstellungen und Verdächtigungen ('Ach, Sie spielen Oddset? Warum haben Sie das verschwiegen?', 'Wissen Sie, was Ihr Mann in seiner Stammkneipe macht?') gegeneinander auf, Freundschaften zerbrechen.

Eine fremdenfeindliche Tat, wie sie die Leute aus der Keupstraße vermuteten, hat die Kölner Polizei (wie ihre Kollegen bundesweit) von Anfang an ausgeschlossen, und sie räumt nach wie vor keine Fehler ein. Während die Staatsgewalt Zschäpe mit Süßigkeiten und Einladungen in den Biergarten ködern will, wurden die Opfer des NSU ein weiteres Mal fertiggemacht. Bis heute lässt man sie mit den psychischen Folgen nicht zuletzt der 'Polizeiarbeit' allein. Da hilft es auch nicht, wenn Bundeskuschelpräsident Gauck die Frisörfamilie fürs Gruppenfoto betatscht. Wenn Streifenwagen zum Schutze Gaucks die Keupstraße entlangrollen, kann einem am Ende dieses Films angst und bange werden. Hilfe, Polizei!

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret

Benotung des Films :

Marit Hofmann
Der Kuaför aus der Keupstraße
Deutschland 2016 - 97 min.
Regie: Andreas Maus - Drehbuch: Andreas Maus, Maik Baumgärtner - Produktion: Herbert Schwering, Christine Kiauk - Bildgestaltung: Hajo Schomerus - Montage: Rolf Mertler - Musik: Maciej Sledziecki, Marion Wörle - Verleih: Real Fiction - Besetzung: Taner Sahintürk, Atilla Öner, Sesede Terziyan
Kinostart (D): 25.02.2016

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

Link zum Verleih: http://www.realfictionfilme.de/filme/der-kuafoer-aus-der-keupstrasse/index.php