A Serious Man

( 2009; Regie: Ethan Coen, Joel Coen)

Im Trüben fischen

Eine jüdische Gemeinde im mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Dass gerade Summer of Love ist, lässt sich lediglich in Larry Gopniks erotischen Träumen von der heißen Nachbarin erahnen, und mithilfe von Jefferson Airplane, die gerade „Somebody to love“ aus ihrer legendären „Surrealistic Pillow“-LP auskoppeln. Larry ist Physikprofessor und Jude. Ein bisschen Lieben und Geliebtwerden könnte wahrlich nicht schaden, denn alles, was über ihn hereinbrechen kann, bricht plötzlich über ihn herein: Zunächst nur ein dreister Bestechungsversuch eines durchfallenden Schülers; dann eine Denunziation, welche die bevorstehende Festanstellung gefährdet; später ein Anwalt, der einen Herzinfarkt in seiner Gegenwart erleidet. Sowieso immer Sohn und Tochter, die dem Vater nach Feierabend sofort pubertierend entgegenbranden. Und bald auch ein Get. Ein Was? Eine rituelle Scheidung.

Was betreiben die Coens hier? Labsal an der Marterung eines unschuldigen Mannes („Ich habe nichts getan!“)? Es wäre nicht der erste bitterböse, coensche Schabernack dieser Art. Doch so geballt hat es kaum eine ihrer Figuren je getroffen, nicht einmal den jüdischen Autoren Barton Fink, obschon die Coen-Brüder diesen immerhin durch nichts weniger als die (Hollywood-)Hölle schickten. Was hat Larry Gopnik den Coens getan, er hat doch gar nichts gemacht? Gewiss, es herrschte bei den Coens schon immer ein dezentes Playing-God-Syndrom. Sie verwickeln einen Münzen werfenden Bolzenschussgerätepsychopathen in einen Autounfall und lassen ihn davonkommen. Sie töten einfach sinnlos einen strunzknuffeligen Brad Pitt (Wer traut sich das schon?) oder einen nicht weniger drolligen Steve Buscemi (den in „The Big Lebowski“ wohlgemerkt). Und sie lassen es gerne wie einen dummen Zufall aussehen. Seit ihrem Debüt schon werden Coen-Figuren Opfer von wendigen, unverwechselbaren Drehbüchern, deren Windschnittigkeit sich von unglücklichen Verwechselungen, Verknotungen und Verkettungen nährt. Larry Gopnik, dem hier nun alles widerfährt, ist der erste, der sich seiner Schöpfer zu erwehren versucht: Warum ich?, sprach’s und hinterfragte das Coen-Prinzip, die Relativität des Zufalls.

Es sind dabei natürlich immer noch die Coens selbst, die Larry Gopnik sein Aufbegehren auf den Leib geschrieben haben. Jene Selbstreferentialität speist sich aber alleine schon aus dem Umstand, dass „A Serious Man“ in einem derart kauzigen und mikroskopisch kleinen Milieu spielt, in dem die Filmemacher selbst aufwuchsen. Im Vorgänger war die Selbstironie noch weitaus unpersönlicher. „Burn After Reading“ umklammerte eine Geschichte, die sich am Ende genüsslich an der Zelebrierung ihrer eigenen Sinnlosigkeit ergötzt. Der Fokus verließ das CIA-Gebäude per Vogelperspektive so, wie er gekommen war, Richtung All, von dem aus selbst das größte Chaos auf Erden längst seine Bedeutung verlor. Die Heisenberg’sche Unschärferelation, Larry Gopnik lehrt sie auch, erwies den Coens nach „The Man Who Wasn’t There“ abermals ihren Dienst zur Abstraktion. Je genauer wir hinsehen, desto unschärfer wird das betrachtete Bild oder mit Larrys Worten: Was wirklich geschieht, können wir nie wirklich wissen.

Neben dem Selbstbezug impliziert dies nun auch vor allem einen theologisch-philosophischen Überbau. Ich habe doch gar nichts getan, stellt nur ein Leidender demjenigen gegenüber klar, der ihn leiden lässt. Wie Hiob sich an Gott wandte, wendet Larry sich an Haschem, an „ihn“, dessen Namen im orthodoxen Judentum nicht ausgesprochen wird. Doch Gott antwortet nicht. „Der Boss hat nicht immer Recht, aber er bleibt doch der Boss“, weiß Larrys Frömmigkeit über Haschem zu sagen. Selbst der Hilferuf, gerichtet an die Rabbiner und der skurrile Durchlauf durch ihre Hierarchie scheint den Zutritt zu einer Erkenntnis zu verwehren, angesichts der schier aberwitzigen Allgemeinplätze, die ihre Ratschläge darstellen. Der erste, Jungrabbi Scott: Erweitere die Perspektive! Und zeigt auf den wundersamen Parkplatz vor dem Fenster. Der zweite, Rabbi Nachtner: Tischt jedem die Geschichte eines Zahnarztes auf, der eines Tages auf der hinteren Seite der unteren Vorderzähne eines Patienten eine mysteriöse hebräische Gravur entdeckt: „Hilf mir!“ steht im Gebiss des Gois geschrieben. Was bedeutet das bloß? Wie kommen die Zeichen dorthin? Wer hat sie eingraviert? Lakonische rabbinische Pointe: „Wir wissen es nicht, ist doch egal“. Beim dritten und vermeintlich weisesten Rabbiner, Rabbi Marshak, findet Larry nicht einmal mehr Gehör. Der ist mit Jefferson Airplane beschäftigt. Der Türhüter, der den Eingang zur Erleuchtung endgültig schließt.

Um trotzdem weiterzukommen, eine Essenz aus dem Ganzen zu ziehen, helfen vielleicht doch die Ratschläge der Weisen. Eventuell ein bisschen an der Fernsehantenne auf dem Dach drehen, damit das Bild endlich schärfer wird. Kehren wir Heisenberg also einfach mal um und erweitern die Perspektive. Je weiter wir uns entfernen, desto besser können wir vielleicht verstehen: Ganz am Anfang war das Bewusstsein, die Ursuppe der Selbsterkenntnis. Die Beschäftigung mit seiner Existenz brachte den Menschen mitunter zu Urknall und Evolutionstheorie und, lange vor diesen Erklärungsgebäuden der Wissenschaft, auf den Schöpfungsgedanken – und die Religion. Sie „schöpft“ Kultur- und Wertvorstellungen, Bräuche und Riten, Weltbild und Lebensanschauung, bestimmt von einer Hinneigung zum Überweltlichen. Der jüdische Mikrokosmos bleibt darum in „A Serious Man“ immer auch eine Metapher für die makrokosmische Sinnsuche. Auseinandersetzen müssen sich die Religionen alle mit der Theodizee und dem Umstand, dass auch den Rechtschaffenen, die „gar nichts getan haben“, die Last des Leidens per se nicht abgenommen werden kann. Die Akzeptanz dessen, eine Bürde, die selbst gottesfürchtige Männer wie Larry (ver)zweifeln lässt. Ein Ringen mit Gott, ohne ihn aber aufzugeben.

So detailreich die Coens jedoch ins jüdische Brauchtum eindringen, sie wahren paradoxerweise stets eine gewisse Distanz und Unbefangenheit. Vieles und nichts lässt sich in dem Film sehen. Die Unbegreiflichkeit Gottes. Ein Gottesbeweis, ein Gegenbeweis. Sinnbilder wie die Zahnmetapher allerdings tendieren zu einer geradezu nihilistischen Deutung. Die Gravur im Gebiss? Verdinglichung des Sinnlosen. Allenthalben uns umgebende mutmaßliche Zeichen und seien sie noch so sonderbar? Bedeutende Bedeutungslosigkeit. Die Coens scheinen nicht an Vorsehung und das Überweltliche zu glauben. Das Coen-Prinzip macht diesen Gedanken eigentlich unmöglich. Dies erinnert übrigens sehr an Woody Allens „Match Point“ und das Weltbild vom Tennisnetzroller: Eine Unwägbarkeit entscheidet, auf welche Seite der Ball fällt und ob sich das Blatt zum Guten wendet. Die einen haben diesmal Glück, die anderen Pech gehabt, ohne dass es eine kosmische Gerechtigkeit interessieren würde.

Daraus ließe sich natürlich eine Religionskritik entwickeln. Ungerechtigkeit auf der Welt und ausbleibende göttliche Kommunikation wie Wunder – das sind urtypische Argumente der Agnostiker und Atheisten, der Nährboden des rationalen Zweiflers. Mitnichten verschweigt der Film deshalb die Lesart, Synagoge, Jom Kippur oder Bar Mitzwa im Speziellen sowie Tempel, Feste und Rituale im Allgemeinen als Bestandteile zu betrachten, die eine Religion zu einem einzigen großen Artefakt abbilden. Eine Ideologie, ein Gewand, um Aberglauben ein Dach über dem Kopf zu geben und unter ihrer Dogmatik eine Gemeinschaft aufzubauen. Die Neutralität der Coens beschwichtigt jedoch auch wieder und man hört sie noch im gleichen Atemzuge daher regelrecht hinzufügen: „Aber wenn Ihr trotzdem glaubt, ist das auch okay.“

Schließlich weiß auch die Naturwissenschaft als diametrale Weltanschauung die Antworten auf die Fragen nach unserer Existenz, nach der Welt und was sie im Innersten zusammenhält, nicht gänzlich zu beantworten. Larry als frommer Physikprofessor steht genau zwischen den Stühlen. Ausgerechnet die Physik, jene Disziplin, die sich eine Weltformel zu finden erkühnt. Dass jedoch auch sie nicht für alles eine absolute Erklärung finden kann, allegorisiert neben Heisenbergs Unschärfe auch Schrödingers Katze. Die lehrt Larry ebenfalls. Ist die Katze tot oder ist sie nicht tot? Sein oder Nichtsein? Riesige Teleskope richten wir beispielsweise ins All auf viele Lichtjahre von uns entfernte Objekte, in der Hoffnung, schärfer zu sehen und den Ursprung des Universums und damit auch die menschliche Existenz zu erklären. Doch wir wissen im Grunde gar nichts, wir haben nur Theorien. Manchmal wissen wir noch nicht einmal, wie morgen das Wetter wird.

In diesem Konflikt der Weltbilder spielt vor allem die Frage nach einer Bedeutung des Seins letztlich eine Rolle. Fügung und Zufall lassen sich nur schwerlich vereinbaren, wenn das Göttliche nicht gerade selbst eine Münze wirft. Lenkt unser Tun eine höhere Kraft, dann kann ihm nicht der Sinn abgesprochen werden. Geschähe aber alles nur infolge beliebiger Kollisionen naturwissenschaftlicher Atome in Raum und Zeit und die Religion stellte nur einen Kult dar, welchen Sinn bei aller Vergänglichkeit der menschlichen Existenz hätte dieselbige dann eigentlich?

Schicksal oder bloßer Zufall, der zeitgleiche Autounfall von Larry und dem hinterlistigen Sy Ableman? Wissen wir nicht. Ist doch vielleicht auch egal. Hauptsache, wir sind uns des doppelten Bodens gewiss, der den Film pflastert. Die Bedeutung der Bilder befindet sich stets in einer Schrödingerischen Schwebe. Etwa wird Larry kurz nach dem Unfall von einem Plattenclub angerufen, der ihm im Rahmen eines Abonnements Santanas „Abraxas“-Album andreht. „Die Scheibe geht Ihnen automatisch zu.“ – „Aber ich habe doch gar nichts getan.“ – „Ja. Sie müssen nichts tun.“ Dabei birgt Abraxas zugleich als „höchstes Urwesen“ einen geradezu blasphemischen Angriff auf Larrys jüdischen Glauben. Vielleicht kann nur der Schwebezustand erklären, dass eine LP mit solchem Titel, eigentlich nämlich erst drei Jahre später im Jahr 1970 erschienen, sich über die Zeit hinwegzusetzen vermag.

Und was es jetzt mit dem Dibbuk im Prolog auf sich hat? Was weiß ich. Wenn es denn überhaupt einer ist! Gar die Credits sind sich uneinig hinsichtlich dieses vermeintlichen jüdischen Dämons und setzen ein Fragezeichen hinter Fyvush Finkels Rolle. Hier wird wohl bereits die Unbestimmtheit der Dinge in jüdisch-mythologischer Tracht verhandelt. Dibbuk ja oder nein. Verfluchung ja oder nein. Vielleicht ist der Dibbuk auch Schrödingers Katze. Und ist Sy Ableman, das Gespenst, das Larry in seinen Träumen heimsucht, auch ein Dibbuk? Wir können nur spekulieren. Auch wissen wir nicht mit Bestimmtheit, ob am Ende nicht doch alles gut wird; unter den Gesetzen der Natur ein Tornado entstand oder Gott sich „aus seinem Gewittersturm“ (Hiob 38) an Larry wenden und vom duldsamen Ertragen seines Leidens erlösen wird. Wir wissen nur, dass wir nichts wissen.

Hier findet sich eine weitere Kritik zu ‚A Serious Man‘.

A Serious Man
(A Serious Man)
USA 2009 - 106 min.
Regie: Ethan Coen, Joel Coen - Drehbuch: Ethan Coen, Joel Coen - Produktion: Tim Bevan - Bildgestaltung: Roger Deakins - Montage: Ethan Coen (Pseudonym: Roderick Jaynes), Joel Coen (Pseudonym: Roderick Jaynes) - Musik: Carter Burwell - Verleih: Tobis/Universum - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Michael Stuhlbarg, Richard Kind, Fred Melamed, Sari Lennick, Aaron Wolff, Jessica McManus, Michael Tezla, Alan Mandell, George Wyner, Peter Breitmayer, Brent Braunschweig
Kinostart (D): 21.01.2010

DVD-Starttermin (D): 13.08.2010

IMDB-Link: http://www.imdb.de/title/tt1019452/combined
Foto: © Tobis/Universum