Philip Seymour Hoffman, der leider im Februar verstarb, ist in seiner letzten Hauptrolle tatsächlich eine gespenstische Erscheinung. Von der Leinwand herab scheint er aus der Vergangenheit des Kinos zu uns herüberzuwinken. Dezent übergewichtig, ergraut, kettenrauchend, den Kaffee schwarz und den Whiskey pur trinkend, spioniert er sich durch ein Hamburg, das seinesgleichen ebenfalls am ehesten in Filmen vergangener Dekaden findet. In Roland Klicks Meisterwerk „Supermarkt“ etwa oder in Peter Kerns Regiedebüt „Crazy Boys – Eine Handvoll Vergnügen“. Durch das beständige Schmuddelwetter ist die Stadt grau in grau gehalten. Auf den Straßen stapeln sich die Müllsäcke und der regennasse Asphalt spiegelt die blinkenden Leuchtreklamen der Sexshops. Hier konkurrieren schummrige Astra-Kneipen mit Moscheen, Obst- und Gemüsehändler und Dönerbuden – schließlich spielt der Film über weite Strecken in der muslimischen Community der Stadt. Was daran doch etwas abgedroschenes Klischee ist, wird durch eine überbordende Liebe zum Detail wettgemacht. In dieser Stadt sind sogar die Hochgeschwindigkeitszüge dreckig grau und im vollgetaggten Hauseingang prangt das Klingelschild mit überwiegend türkischen und arabischen Namen.
Wir haben also einen Film Noir-Helden in einer Film Noir-Stadt. Um die nerdig postmoderne filmhistorische Patina geht es „A Most Wanted Man“ aber gerade nicht. Vielmehr interessiert er sich tatsächlich für desillusionierte, verlorene Menschen inmitten einer kalten, indifferenten Umgebung. Was von den Idealen, die ein Mann wie Günther Bachmann (Hoffman) einmal gehabt haben mag, noch übrig ist, ist nur, dass er seinen Job als Spion für den deutschen Geheimdienst machen möchte, ohne dass es als Kollateralschaden angesehen wird, wenn Unschuldige dabei zwischen die Fronten geraten und auf der Strecke bleiben.
Genau darum geht es, als der Flüchtling Issa Karpov (Grigoriy Dobriygin), halb Russe, halb Tschetschene und gläubiger Moslem, nach Hamburg kommt, um an das Vermögen seines verhassten Vaters zu gelangen. Karpovs Eintreffen ruft sowohl den deutschen Geheimdienst als auch die CIA auf den Plan, die in ihm einen potenziellen Terroristen sehen und sich nach 9/11 keine Patzer erlauben wollen. Wo Bachmann von Karpovs Unschuld überzeugt ist, aber hofft, durch ihn an Hintermänner des Terrorismus zu gelangen, plädieren sowohl die Amerikaner als auch andere deutsche Behörden auf einen schnellen Zugriff. In das Netz der Intrigen und Verwicklungen sind auch der englische Banker Thomas Brue (Willem Dafoe) verwickelt, der für die Bank arbeitet, bei der Karpovs Vater sein Geld anlegte, und die junge engagierte Anwältin Annabel Richter (Rachel McAdams), die sich für die Rechte von Flüchtlingen einsetzt und ein besonderes Interesse für Karpov entwickelt.
So wie der distinguierte, rotweintrinkende Brue einen Kontrast zu dem Protagonisten bietet, steht den dreckigen Straßen die sterile, kalte Welt von Ministerien und Geheimdienstzentralen gegenüber. Die Figur McAdams zeigt, dass soziales Engagement gegen die Geheimdienstinteressen letztlich genauso wenig ausrichten kann wie die unorthodoxen Spionage-Methoden Bachmanns. In Nebenrollen ist übrigens allerlei deutsche Filmprominenz zu sehen. Nina Hoss spielt die Assistentin Bachmanns und Daniel Brühl darf in ein paar Szenen konzentriert auf Monitore starren.
Anton Corbijn inszeniert diese Geschichte auf manchmal doch arg behäbige Weise altmodisch. Auf Action und Thrills setzt sein Film nicht. Dass der vollkommen verstörte, durch Folter gezeichnete Karpov nicht die Gefahr ist, die die Geheimdienste in ihm sehen, ist ebenfalls schnell klar. Auch hier geht es dem Film um eine zerrüttete, durch und durch prekäre Existenz in einem System, in dem Menschen bloß „Marionetten“ sind, wie der deutsche Titel von John Le Carrés Romanvorlage „A Most Wanted Man' lautet. Durch den Bezug zum 11. September und den „Krieg gegen den Terror“ wird diese universale Geschichte über die Entmündigung des Menschen in einer konkreten Gegenwart verortet. Das, der gnadenlos pessimistische Schluss und der grandiose Leinwandabschied Hoffmans lassen über einige Längen und die Tatsache, dass die meisten anderen der vielen Figuren etwas blass bleiben, gerne hinwegsehen.