Magische Momente 40

Fargo
von Klaus Kreimeier

Verschneite Landschaften verführen oft zu filmischer Schwelgerei, der Bergfilm ist dafür zuständig, auch der winterlich verträumte Heimatfilm. Vielleicht wurde „Fargo“ von Joel und Ethan Coen (USA/GB 1996) auch aus diesem Grund von manchen Kritikern ein Heimatfilm genannt. Doch die Schneefelder in Minnesota und North Dakota, wo die „snow exteriors“ gedreht wurden, sehen nicht so aus, als würde es hier jemals einen Sommer geben. Die Kamera von Roger Deakins legt sie wie ein Leichentuch über das flache Land und die trostlose Welt. Ein schauderhaft weißes Weiß, das nur gelegentlich ins Blaue-Graue spielt, reine Oberfläche, die sich bis zum Horizont erstreckt und unter der begraben sein mag, was die Menschen, die sich durch diesen Film arbeiten, peinigt, was sie verfolgt und ums Leben bringt. Gewiss, ein Heimatfilm: Schnee ist allgegenwärtig, und seine Kristalle haben sich bis in die Seelen gefressen.

Schon unter dem Vorspann geht die Reise in ein weißes Nirgendwo, dass die Augen schmerzen: Autos nähern sich sehr langsam von sehr fern, auf einer Piste, die mit den Feldern, mit dem grellen Himmel eins geworden ist. Sie werden schneller und größer und preschen, Eisstaub aufwirbelnd, an der Kamera vorbei, die Rauchfahnen ihrer Abgase mischen sich in Wolken aus Schnee. Andere Autos kurven über leere Parkplätze und schreiben dem endlosen Weiß kunstvolle Muster ein. Wieder andere sehen aus der Vogelperspektive wie zwischen funktionslose Pflanzenkübel hingewürfelte Spielzeuge auf einem Wachstuch aus. Der Autoverkäufer Jerry Lundegaard (William H. Macy) blickt so auf sie, er steht am Fenster seines Büros und kocht vor Wut. Dann geht er hinunter, steht vor seinem Wagen und schabt, nein: hackt mit aller Gewalt auf die eisstarrende Frontscheibe ein, hackt und hackt…

Schnee kann blind machen, das weiß man – aber er kann wohl auch verrückt machen, und vielleicht macht er Menschen zu Verbrechern, die gar keine Verbrecher sein wollen und es nur werden, weil sie in Schwierigkeiten geraten sind. Eigentlich wollte Jerry bloß mit einer clever eingefädelten Entführung seiner Ehefrau von seinem Schwiegervater ein Milliönchen erpressen, um seine finanziellen Probleme zu beheben. Doch, ist es nun der ewige Schnee oder sein ewiges Pech – er fällt in die Hände zweier Gangster, die auf der vereisten Autobahn erst einen Polizisten und dann zwei Unbeteiligte erschießen, um sodann, bei der Geldübergabe, den Schwiegervater und am Ende Jerrys Frau ins Jenseits zu befördern, bevor sie sich gegenseitig metzeln und die Ordnungsmacht obsiegt. Es tropft also viel Blut in den Schnee, und so manches scheitert an den Unbilden der Natur – ob nun einer der Gangster versucht, seine Beute unter der Schneedecke zu bergen, oder der andere sich abmüht, den Rumpf eines seiner Opfer in einer zugeschneiten Häckselmaschine zu schreddern. „Fargo“ ist, auf eine groteske und zwischen Grauen und grimmigem Humor artistisch ausbalancierte Weise, ein ziemlich ungemütlicher Film, so richtig warm wird einem nicht ums Herz.

Wäre da nicht Frances McDormand, die als hochschwangere Polizistin Marge Gunderson wacker durch die Schneemassen stapft, mit ihren großen Augen beinahe staunend die Leichen betrachtet und darob nicht nur ihren aufs Praktische gerichteten Verstand, sondern auch ihren detektivischen Spürsinn und die Übersicht über das mörderische Chaos behält. Noch das professionelle Misstrauen, das sie gegenüber den Schurken hegt, wurzelt in einer klugen und, alles in allem, menschenfreundlichen Sicht auf die heillose Welt. Sie hat Witz und ist, in jeder Hinsicht, wetterfest; auch der Schnee von North Dakota kann ihr nichts anhaben. Für all das erhielt Frances McDormand 1997 den Oscar als beste Hauptdarstellerin.

Dieser Text ist zuerst erschienen in: ray Filmmagazin.

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Foto: © 20th Century Fox