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„In meinen Filmen gibt es keine Botschaften“

( , Regie: )

Rudolf Thome im Gespräch mit Wolfgang Nierlin über seinen Film „Ins Blaue“.
von Wolfgang Nierlin

Rudolf Thome im Gespräch mit Wolfgang Nierlin über seinen Film „Ins Blaue“. Wolfgang Nierlin: In der Kunst- und Literaturgeschichte symbolisiert die Farbe Blau die Sehnsucht nach Liebe und Ferne, aber …

Rudolf Thome im Gespräch mit Wolfgang Nierlin über seinen Film „Ins Blaue“.

Wolfgang Nierlin: In der Kunst- und Literaturgeschichte symbolisiert die Farbe Blau die Sehnsucht nach Liebe und Ferne, aber auch das Streben nach Unendlichkeit und Erkenntnis. Wofür steht sie in Ihrem Film „Ins Blaue“?
Rudolf Thome: Als ich Germanistik studierte, so um die Jahre 1961/62, habe ich eine Seminararbeit über Gottfried Benn geschrieben. Bei ihm spielt die Farbe Blau eine große Rolle. Sie verbindet sich für ihn mit dem Mittelmeerischen. Dafür steht bei ihm der Satz: „Die Tiefe ist außen.“ Damit drückt er aus, dass die Deutschen immer hinter die Dinge schauen wollen. Sie interessieren sich nicht für das sichtbare Außen, sondern primär für das, was das Außen ausdrückt, also den Sinn oder eine Botschaft. Und das ist etwas, was mich überhaupt nicht interessiert. „Die Tiefe ist außen“: Das gilt auch für alles, was ich bisher gemacht habe. In meinen Filmen gibt es weder Gesellschaftskritik noch Botschaften, sondern nur das, was man sehen kann.

Aber handelt Ihr Film, der als Film-im-Film die Dreharbeiten zu einem Roadmovie schildert, nicht auch von einer Bildungsreise oder einer Sinnsuche?
Der Mönch, der darin auftaucht, sagt gegenüber seinem Abt, er habe drei junge Frauen getroffen, die auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind, also könne man sagen, auf der Suche nach Gott. Das passt eben zu seiner Rolle. Zum anderen bildet diese Suche den Hintergrund für das Thema von Nikes Film, die als Regisseurin die Dreharbeiten des Film-im-Films leitet. Das ist also nicht mein Film (lacht). Ich spiele einerseits mit diesen zwei verschiedenen Ebenen; andererseits ist Nikes Film natürlich auch mein Film. Ich bin der Erzähler von beiden Filmen. Ich verstecke mich gewissermaßen nur hinter der Figur Nike.

Wieso lassen Sie für Nikes Film einen Mönch, einen Philosophen und einen stummen Fischer auftreten, also archetypische Figuren?
Das musste so sein. Das sind gewissermaßen Klischee-Figuren oder Klischee-Modelle.

Warum sind es gerade drei Frauen, die auf diese Männer treffen und warum entwickeln sich aus diesen Begegnungen Liebesgeschichten?
Wie soll man das beantworten? Die Liebe passiert eben. So hat sich beispielsweise Janina Rudenska, die Darstellerin der Josephine, die im Film dem stummen Fischer begegnet, während der Dreharbeiten in einen italienischen Philosophie-Studenten verliebt. Der sprach kein Wort deutsch und sie sprach kein Italienisch. So hat sich für sie ihre Rolle im Film gewissermaßen im Leben fortgesetzt.

Die Frauen in Ihren Filmen erscheinen oft als Komplizinnen, die eine Bande bilden und unabhängig wirken. Warum suchen sie dennoch ihr Glück in der Liebe zum anderen Geschlecht?
Es gibt keine Gründe, warum Menschen sich verlieben. Und gerade wenn sie sich aus ihrem normalen Lebenszusammenhang lösen, wie zum Beispiel bei einer Reise, passieren solche Dinge. Das ist eben einfach so. Und ich fand das lustig und interessant.

Was hat Sie daran gereizt, einen Film übers Filmemachen zu drehen? Eine offensichtliche Referenz, gerade in Bezug auf das Haus am Meer, bildet ja Jean-Luc Godards „Die Verachtung“.
Als ich dieses sehr spezielle Haus als Drehort ausgewählt habe, war dieses Bild als Erinnerung da, aber es war nicht der Grund für meine Wahl. Auch in meinem Film „Das rote Zimmer“, in dem ebenfalls ein ungewöhnliches Haus vorkommt, spielt der Ort eine wichtige Rolle. Manche Drehorte sind für mich genauso wichtig wie die Schauspieler. Aber natürlich ist das Haus am Meer auch eine Reminiszenz an Godard; und zugleich einer meiner Träume.

Wie kam es dann aber bei Ihnen dazu, einen Film-im-Film zu realisieren?
Ich bekam die Anregung von meiner Tochter, die jetzt auch angefangen hat, Filme zu machen. Sie hatte mir im Scherz vorgeschlagen, einen Film über eine Tochter zu drehen, die Filme macht und dabei mit ihrem alten Vater, einem Filmregisseur, zusammen ist. Und so habe ich später diese Idee aufgegriffen. Ansonsten ist dieses Thema eher eine abschreckende Sache, weil die Branche einen Film-im-Film ablehnt. Es gibt diesbezüglich ja berühmte Vorläufer-Filme, etwa von Truffaut und Fassbinder. Was ich jedoch mache, ist völlig anders und hat auch noch nie jemand gemacht. Das findet man allenfalls bei Hong San-soo, den ich allerdings zu der Zeit, als ich das Drehbuch geschrieben habe, noch nicht kannte.

Warum reizt Sie der Blick aufs eigene Metier zur Ironie?
Ironie gibt es nicht nur hier, sondern in allen meinen Filmen. Das ist meine Art, Geschichten zu erzählen.

Im Film sagt der von Vadim Glowna gespielte Produzent einmal: „Alle meine Filme sind realisierte Träume.“ Gilt dieser Satz auch für Ihre Arbeit?
Ja, aber nicht direkt eins zu eins. Denn das würde ja heißen, dass die Konstellation, in der ein Mann mit mehreren Frauen zusammen ist, einen von mir realisierten Traum abbildet. Aber so einfach geht das nicht, im Gegenteil. Ich mag es zwar, mit dieser Idee zu spielen, aber für mich im Leben ist es kein Traum, mit mehreren Frauen zusammen zu sein. Ganz und gar nicht. Nein. Solche Konstellationen sind mehr von Goethes „Wahlverwandtschaften“ inspiriert, die ich ja zweimal verfilmt habe. Das ist spannender und reizvoller. Wie zum Beispiel in meinem Film „Paradiso“, wo ein Mann zu seinem 60. Geburtstag die sieben wichtigsten Frauen seines Lebens einlädt. Ich wollte die Biographie eines Künstlers zeigen und seine Vergangenheit, die durch seine Frauen erzählt wird.

Porträtieren Sie sich in der Figur des Produzenten selbst?
Ich bin eben auch Regisseur und Produzent, genauso wie Vadim Glowna. Klar gibt es da autobiographische Momente. Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt, die Rolle selbst zu übernehmen, falls ich keinen geeigneten Darsteller finde. Aber dann kam die Idee mit Vadim Glowna, der das Drehbuch las und dann den Film um jeden Preis machen wollte. Ich war erleichtert und fand ihn viel geeigneter. Er ist der bessere Schauspieler und kann viel differenzierter sprechen. Und so war ich froh um ihn.

Sie haben davon gesprochen, seit den Dreharbeiten zu „Ins Blaue“ eine neue Lust beim Filmemachen zu spüren.
Das rührt daher, dass Kamerafrau und Tonmeister entgegen der sonst üblichen Praxis bereit waren, die erste Probe schon zu drehen. Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass Schauspieler bei der Probe eine Szene für sich erfinden und dadurch unglaublich natürlich wirken. Wenn das dann aber toll ist und wir nicht drehen, geht es entweder verloren oder bei der Aufnahme ist nur noch die Hälfte der Energie und Spontanität spürbar. Also bestehen etwa 40 bis 50 Prozent der im Film vorkommenden Szenen aus Probeaufnahmen. Das ist absolut ungewöhnlich. Ich will Szenen nicht immer wiederholen müssen, was heutzutage durch das digitale Drehen noch erleichtert wird, weil ich auf dem Monitor sofort alles sehen kann. Ich merke, dass mir diese neuen Möglichkeiten Auftrieb geben. Ich kann damit gut umgehen und es passt zu meiner Arbeitsweise. Das ist die neue Kraft und Energie, die ich verspüre. Mir fehlt jetzt nur noch das Geld.

In Ihrem Film geht es auch um die Suche nach Sinn und Erkenntnis und die Frage nach den letzten Dingen. Was ist Ihre Lebensphilosophie? Sind Sie ein religiöser Mensch?
In vielen meiner Filme kommen religiöse Dinge vor. Zum Beispiel taucht in „Das Geheimnis“, in dem es auch eine „Wahlverwandtschaften“-Konstellation gibt, plötzlich ein Mann mit einem riesigen Kreuz auf, der lange kein Wort spricht, bis er plötzlich gegenüber seiner Gastgeberin das Schweigen bricht und unvermittelt sagt: „Ich bin Jesus Christus.“ Und sie antwortet: „Ich glaube nicht an Jesus Christus, ich bin Jüdin.“ Das ist kein Joke, das ist schon ernst. Wenn man die Bibel ernst nimmt, ist es möglich und denkbar, dass plötzlich in irgendeiner Situation ein zweiter Sohn Gottes auftaucht, der das wirklich ist, wenn man daran glaubt. Das kann ja passieren. So wie Marquard Bohm das spielt und wie es gedreht ist, wird man mit dieser Frage konfrontiert. Ich nehme die Religion ernst. Ich bin sehr religiös erzogen worden und war auf einem christlichen Internat. Ich besitze eine gewisse Religiosität und habe die Bibel gelesen, aber ich könnte nicht sagen, dass ich ein richtig gläubiger Christ bin. Philosophie wiederum spielt schon seit meiner Internatszeit eine Rolle, wo ich einen Deutschlehrer hatte, der ein glühender Jaspers-Verehrer war. Später habe ich dann auch Philosophie studiert und mich vor allem für den Existentialismus Albert Camus‘ begeistert, aber auch Heidegger gelesen. Viele Jahre später bei der Arbeit an dem in der blauen Hanser-Reihe erschienen Buch über Roberto Rossellini, bei dem ich mitgemacht habe, kam dann noch der Religionsphilosoph Georg Picht dazu, auf den mich der SZ-Filmkritiker Rainer Gansera hingewiesen hat. Picht fasziniert mich vor allem durch seine Sprache, die ich liebe. Sein Buch „Kunst und Mythos“ habe ich verschlungen wie einen Krimi. Das hat mich total fasziniert. Und insofern tauchen Dinge, die Picht geschrieben hat, immer wieder als Hintergrund in meinen Filmen auf.