Archiv der Kategorie: TV-Tipp

Mauerpark

(D 2011, Regie: Dennis Karsten)

Berlin, du bist so wunderbar
von Ricardo Brunn

Im Jahr 2005 wurde der amerikanische Fotograf David Burnett für seine Fotografien der Olympischen Spiele 2004 mit dem „World Press Photo Award“ ausgezeichnet. Das Besondere dieser Bilder war, dass die …

Im Jahr 2005 wurde der amerikanische Fotograf David Burnett für seine Fotografien der Olympischen Spiele 2004 mit dem „World Press Photo Award“ ausgezeichnet. Das Besondere dieser Bilder war, dass die Sportdisziplinen im Modus extremer Tiefenunschärfe aufgenommen wurden. Diese Tilt-Shift-Effekt genannte Technik lässt alle Objekte im Bildmittelgrund als Miniaturen erscheinen, weil Bildvorder- und Bildhintergrund unscharf bleiben. Gerade in der Sportfotografie, wo jede Bewegung, jeder Augenblick entscheidend sein können, verleiht dieser über eine Neigung der Bildebene in der Kamera (oder ein entsprechendes Objektiv) erzeugte Effekt den Bildern eine geradezu irreale Spannung. Auf gewöhnliche Orte und Objekte angewandt, überwiegt jedoch schnell der Eindruck schnöder Verkleinerung. Hinter dem durch die Unschärfen verengten Bildausschnitt kann im langweiligsten Fall die Idee stecken, das Bild für den Betrachter interessanter zu machen, als es ist.

Der Dokumentarfilm „Mauerpark“ von Dennis Karsten beginnt mit Totalen, die diesen Tilt-Shift-Effekt ebenfalls nutzen. Sie zeigen den Mauerpark in Berlin aus der Vogelperspektive. Sofort wird klar, hier geht es um Menschen in einem Mikrokosmos. Im Folgenden geben Anwohner, Zugezogene, Künstler, Alt-Raver und Jung-Hippies Interviews und ihre Sicht auf den Mauerpark preis. Weil der Film ein lebendiges Portrait im Sinn hat, bemüht er sich um ein größtmögliches Spektrum an Persönlichkeiten aus der näheren Umgebung des Parks. Da steht der glatzköpfige Ex-Marzahner Conny neben dem (tatsächlich nicht wie fünfzig Jahre alt aussehenden) Dr. Motte und dem fast schon stoischen BSR-Mann Horst, der als einziger nicht in der Nähe des Parks wohnt und somit ansatzweise einen Blick von außen repräsentiert. Leider sind die Aussagen der Interviewpartner nicht so vielfältig wie deren Herkunft geraten und pendeln sich allzu schnell auf den Vollsuffslogan einer bekannten Großstadt-Kinowerbung ein, um sich im weiteren Verlauf des Filmes in redundantem Geplauder zu verlieren. Berlin präsentiert sich einmal mehr als Partyhauptstadt im Feel-Good-Movie. Die eingesetzte Musik unterstützt das Lebensgefühl vieler Dauertouristen dieser Stadt zusätzlich. Nur der Müll nervt und die diffusen Pläne des Senats zur Bebauung des Geländes. Oder die Red-Bull-Trucks, die das Selbstgemachte und damit die Einzigartigkeit der ansässigen Bohème zu Grabe tragen. Was nach dem Film bleibt, ist das Bewusstsein, dass der Mauerpark eine riesige Spielwiese für allerlei kreatives Personal der Sonderbewirtschaftungszone Prenzlauer Berg ist. Und so sehr sich das Gefühl, dass da was geht im Prenz’lberg, auch auf den Zuschauer überträgt, es braucht dazu einfach keine 79 Minuten.

„Mauerpark“ leidet unter seiner Montage und der mangelhaften Strukturierung mit Tendenz zum Unkonkreten. Er schafft es nur selten, Figuren und Themen zu ordnen oder herauszuarbeiten. So werden dem Publikum im Verlauf des Filmes verschiedenste Musikgruppen und Solokünstler vorgestellt, deren Aussagen sich jedoch kaum voneinander abheben, dadurch Gewichtung verlieren und über den Film hinaus nicht im Gedächtnis des Zuschauers präsent bleiben. Stellenweise verliert sich der Film in der Masse seiner Figuren, verpasst es Überflüssiges auszusortieren. Da platzen die Basketball-Mädchen Evi und Maike mal eben unerwartet in die Erzählung, obwohl deren Geschichte schon 25 Minuten zuvor behandelt und zu einem sinnvollen Ende geführt wurde. Solche Momente fühlen sich an, als wollte der Regisseur auf Biegen und Brechen einen Langfilm aus dem Material stemmen, welches dem klassischen Reportagestil näher ist als dem forschenden Dokumentarfilm.

Bei aller ausladender Geste bezüglich seines Figurenrepertoires verweigert der Film vehement einen größeren Rahmen oder den von Maler Eldar im Film angesprochenen Perspektivwechsel. So passen auch die Aussagen der beiden Alt-DJ‘s Tanith und Dr. Motte zur Techno-Szene im vereinten Berlin nicht in den Film. Denn weder hat das etwas mit dem Mauerpark zu tun, noch spannt der Film einen Bogen und bezieht tatsächlich die Geschichte der Stadt Berlin in seine Betrachtungen mit ein, um zu erläutern, was an so einem Ort unter bestimmten (auch historischen) Bedingungen entstehen kann, wenn es von Staat und Gesellschaft mehr oder weniger zugelassen wird. Über die Geschichte dieses Ortes, der immerhin einmal Teil des Todesstreifens war, erfährt die Zuschauerin so gut wie gar nichts. Und auch Themen wie die Gentrifizierung, die direkt an der Mauerparkgrenze neue Mauern durch die Stadt zu ziehen begonnen hat, gehört eigentlich genauso zum Bild dieses Parks wie die rasant steigenden Mietpreise, die viele Anwohner bald in die Peripherie vertreiben werden. Plötzlich wirken da die extremen Unschärfen der Anfangsbilder wie die Scheuklappen eines Rennpferdes. Dahingehend verhält sich der Film kongruent zum Statement von Wladimir Kaminer: Alles abbauen, wegschmeißen und so tun, als wäre nie etwas gewesen. „Mauerpark“ von Dennis Karsten ist somit ein kurzweiliger, aber ebenso oberflächlicher Film über den Mikrokosmos eines Parks geworden, der kein Außen zu kennen scheint. Den Ansprüchen an einen Dokumentarfilm wird er damit allerdings nicht gerecht.

Tiger Girl

(DE 2016, Regie: Jakob Lass)

Destruktive Selbstfindung
von Wolfgang Nierlin

Der misslungene Bocksprung mit hartem Aufschlag zu Beginn von Jakob Lass‘ Film „Tiger Girl“ ist symptomatisch für Maggies (Maria Dragus) persönliche und soziale Unsicherheit. Die junge, etwas unbedarfte Frau scheitert …

Der misslungene Bocksprung mit hartem Aufschlag zu Beginn von Jakob Lass‘ Film „Tiger Girl“ ist symptomatisch für Maggies (Maria Dragus) persönliche und soziale Unsicherheit. Die junge, etwas unbedarfte Frau scheitert an der Aufnahmeprüfung für die Polizeischule und landet stattdessen unter lauter Männern in einem Kurs für Sicherheitsdienste. Vor allem aber ist Maggie in ihrem Alltag, der weitgehend ohne Hintergrund bleibt, ständigen Übergriffen ausgesetzt. Unterwegs im Großstadtdschungel wird sie von allen Seiten bedrängt, genötigt und angegriffen. Der ruppige Refrain des gleichnamigen Songs der Berliner Band Großstadtgeflüster bringt ihre Unerfahrenheit auf den Punkt: „Denn du weißt nicht wie man Feuer macht.“ Und das Gelernte sei nichts mehr wert. Um zum Raubtier zu werden ist erst noch eine Schulung nötig, die natürlich auf den Großstadtstraßen stattfindet.

Und dazu bedarf es in Jakob Lass‘ unkonventionellem Coming-of-Age-Film erstmal einer „Lehrerin“ mit Streetcredibility. „Tiger“ nennt sich das toughe Mädchen, das in einem ausrangierten Bus mit Kleindealern abhängt und Maggie wie ein Schatten folgt. Immer wenn es für diese brenzlig wird, ist „Tiger“ mit ihrer überlegenen Stärke zur Stelle. Sie lässt sich nichts gefallen, wehrt sich, schlägt zurück. „Tiger“ ist eine Kämpferin, die provoziert und sich nicht anpasst. Mit gewieften Tricks schlägt sie sich durchs Leben und hat dabei immer das Herz auf dem rechten Fleck. „Sag, was du willst, dann kriegst du’s“, sagt sie zu Maggie. Deren Höflichkeit bezeichnet „Tiger“ als Gewalt gegen sich selbst. Doch unter „Tigers“ Einfluss wird Maggie zunehmend selbstbewusster und mutiger. In komischen Rollenspielen und mit provozierender Lust an der Täuschung „ziehen sie Leute ab“ und überschreiten dabei Grenzen.

Jetzt heißt Maggie „Vanilla, the Killer“ und was zunächst Spiel war, wird bald gewalttätiger Ernst. Im Zeichen weiblicher Selbstermächtigung werden Gewalt und Zerstörung für „Vanilla“ zunehmend zum Selbstzweck, bis sich die gelehrige „Schülerin“ offen gegen ihre „Lehrerin“ stellt und ihre Freundschaft zerbricht.

Die destruktive Selbstfindung seiner negativen Adoleszenz-Geschichte erzählt Lass allerdings nicht als soziales Lehrstück, sondern als trashige Komödie mit Anleihen beim Karatefilm. Mit seinem bereits in „Love Steaks“ erprobten doku-fiktionalen Stil behauptet der Regisseur eine Authentizität, die durch coole Genre-Referenzen zugleich ironisiert wird. In den lose, kaum erzähllogisch verknüpften Szenen aus dem ganz gegenwärtigen, gesellschaftliche Zusammenhänge ausblendenden Hier und Jetzt, geht es eben nicht um die wirkliche Wirklichkeit, sondern nur um die gestische Behauptung derselben. Streng genommen ist also auch die „Echtheit“ nur eine Attitüde und ein Mittel unter anderen für eine Unterhaltung, die mit viel rockigem Drive zwar kurzweilig und irgendwie cool ist, aber eben auch nicht mehr und vor allem auf die Dauer ziemlich redundant.