Der misslungene Bocksprung mit hartem Aufschlag zu Beginn von Jakob Lass‘ Film „Tiger Girl“ ist symptomatisch für Maggies (Maria Dragus) persönliche und soziale Unsicherheit. Die junge, etwas unbedarfte Frau scheitert an der Aufnahmeprüfung für die Polizeischule und landet stattdessen unter lauter Männern in einem Kurs für Sicherheitsdienste. Vor allem aber ist Maggie in ihrem Alltag, der weitgehend ohne Hintergrund bleibt, ständigen Übergriffen ausgesetzt. Unterwegs im Großstadtdschungel wird sie von allen Seiten bedrängt, genötigt und angegriffen. Der ruppige Refrain des gleichnamigen Songs der Berliner Band Großstadtgeflüster bringt ihre Unerfahrenheit auf den Punkt: „Denn du weißt nicht wie man Feuer macht.“ Und das Gelernte sei nichts mehr wert. Um zum Raubtier zu werden ist erst noch eine Schulung nötig, die natürlich auf den Großstadtstraßen stattfindet.
Und dazu bedarf es in Jakob Lass‘ unkonventionellem Coming-of-Age-Film erstmal einer „Lehrerin“ mit Streetcredibility. „Tiger“ nennt sich das toughe Mädchen, das in einem ausrangierten Bus mit Kleindealern abhängt und Maggie wie ein Schatten folgt. Immer wenn es für diese brenzlig wird, ist „Tiger“ mit ihrer überlegenen Stärke zur Stelle. Sie lässt sich nichts gefallen, wehrt sich, schlägt zurück. „Tiger“ ist eine Kämpferin, die provoziert und sich nicht anpasst. Mit gewieften Tricks schlägt sie sich durchs Leben und hat dabei immer das Herz auf dem rechten Fleck. „Sag, was du willst, dann kriegst du’s“, sagt sie zu Maggie. Deren Höflichkeit bezeichnet „Tiger“ als Gewalt gegen sich selbst. Doch unter „Tigers“ Einfluss wird Maggie zunehmend selbstbewusster und mutiger. In komischen Rollenspielen und mit provozierender Lust an der Täuschung „ziehen sie Leute ab“ und überschreiten dabei Grenzen.
Jetzt heißt Maggie „Vanilla, the Killer“ und was zunächst Spiel war, wird bald gewalttätiger Ernst. Im Zeichen weiblicher Selbstermächtigung werden Gewalt und Zerstörung für „Vanilla“ zunehmend zum Selbstzweck, bis sich die gelehrige „Schülerin“ offen gegen ihre „Lehrerin“ stellt und ihre Freundschaft zerbricht.
Die destruktive Selbstfindung seiner negativen Adoleszenz-Geschichte erzählt Lass allerdings nicht als soziales Lehrstück, sondern als trashige Komödie mit Anleihen beim Karatefilm. Mit seinem bereits in „Love Steaks“ erprobten doku-fiktionalen Stil behauptet der Regisseur eine Authentizität, die durch coole Genre-Referenzen zugleich ironisiert wird. In den lose, kaum erzähllogisch verknüpften Szenen aus dem ganz gegenwärtigen, gesellschaftliche Zusammenhänge ausblendenden Hier und Jetzt, geht es eben nicht um die wirkliche Wirklichkeit, sondern nur um die gestische Behauptung derselben. Streng genommen ist also auch die „Echtheit“ nur eine Attitüde und ein Mittel unter anderen für eine Unterhaltung, die mit viel rockigem Drive zwar kurzweilig und irgendwie cool ist, aber eben auch nicht mehr und vor allem auf die Dauer ziemlich redundant.