Get Out

(USA 2017; Regie: Jordan Peele)

Kollektiver Albtraum der amerikanischen Zivilgesellschaft

Über „Get Out“ schreiben heißt rund zwei Monate nach seinem regulären Kinostart in den USA nicht mehr nur über einen Film schreiben, sondern über ein gesellschaftliches Phänomen. Das Regiedebüt von Comedian, Schauspieler und script writer Jordan Peele, der auch hier das Drehbuch verfasste, ist momentan der zweiterfolgreichste Horrorfilm mit einem R-Rating aller Zeiten nach William Friedkins „The Exorcist“. Er spielte bislang allein in den USA 189 Millionen Dollar ein, wobei im Publikum unter den drei wichtigsten ethnischen Gruppen des Landes mit 39 Prozent AfroamerikanerInnen am meisten vertreten waren. Der Film hält derzeit bei dem Kritikbarometer Rotten Tomatoes ein Ergebnis von 99 Prozent positiven Kritiken. Die Superlative ließen sich noch eine ganze Weile fortsetzen, aber es reicht wohl zu sagen, dass „Get Out“ augenscheinlich den Geist seiner Zeit mitten ins Schwarze (no pun intended) getroffen hat. Es fragt sich nur, warum dem so ist.

„Get Out“ erzählt von dem jungen Chris (Daniel Kaluuya), der mit seiner Freundin Rose Armitage (Allison Williams) eine kleine Reise plant, um seine künftigen Schwiegereltern kennenzulernen. Da diese einer gebildeten und aufgeklärten Oberschicht angehören, die Mutter Missy (Catherine Keener) ist Hypnotherapeutin, der Vater Dean (Bradley Whitfford) ein Neurochirurg, der Chris gleich zu Anfang versichert, dass er, wenn es denn möglich gewesen wäre, gerne noch ein drittes Mal für Obama gestimmt hätte, sollte es eigentlich keine Rolle spielen und tut es doch von Anfang an, dass Chris Afroamerikaner ist, seine Freundin und deren Familie jedoch weiß sind. Zunächst beunruhigt es vor allem Chris, der sich Gedanken darüber macht, wie Roses Familie ihren angeblich ersten schwarzen Freund aufnehmen wird – dann wird jedoch, in dem Maße, wie alles komplizierter, vielschichtiger wird, dieser (nur vermeintlich kleine) Unterschied zum entscheidenden Thema des Films bzw. die Frage danach, welche sozialen und kulturellen Konstruktionen es bedingen, dass der Rassenunterschied gerade in einer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft solche immensen Formen annimmt.

Gar nicht subtil, sondern zunächst geradezu erdrückend offensichtlich ist das Machtverhältnis zwischen schwarz und weiß in der Familie Armitrage. Schwarze Bedienstete und weiße Herrschaften. Wobei die Unterwürfigkeit, die scheinbare geistige Abwesenheit des Hausmädchens Georgina (Betty Gabriel, ihr gehört die vielleicht unheimlichste Szene dieses durch und durch unheimlichen Films) und des Gartenarbeiters Walter (Marcus Henderson ), Chris von Anfang an zusätzlich verunsichern. Interessant ist auch die Verteilung der Geschlechterrollen in diesem Duo: während die Domäne der Frau das Haus und die in ihm anfallenden (Dienerinnen-)Tätigkeiten sind, ist der Mann für die Arbeit im Freien, im Garten (die hart ist, einmal sehen wir ihn beim Holzhacken) zuständig, in dem das Feld aus Zeiten der Sklaverei nachhallt (in Spike Lees Meisterwerk „Bamboozled“ etwa beschimpfen sich eine Frau und ihr Bruder als house- (sie) bzw. field nigger (er)).

Ohne zu viel verraten zu wollen, sei gesagt, dass der Film in der zweiten Hälfte einen zunehmenden Twist in Richtung Horrorfilm unternimmt. Das, was im Hause Armitage mit Schwarzen angestellt wird, übersteigt selbst noch die Phantasie von Chris‘ Kumpel Rod (LilRel Howery) um Längen, der ihn von Beginn an vor seiner neuen weißen Familie und dem Besuch bei ihr warnte, der ihm später versichert, er werde Opfer eines Plots, in dem sich Weiße schwarze Sexsklaven suchen.

Sicherlich gilt auch für „Get Out“, schon wegen des Hypes, aber sicherlich auch von der Anlage des Films her, was Vern über einen ganz anderen Film schrieb: „It’s just begging you to analyze the shit out of it.“ Ein Film, in dem alles so überdeterminiert ist wie in diesem, in dem kein Detail einfach es selbst sein kann, sondern immer mit Bedeutung aufgeladen werden muss, ist schon eine, wenn nicht fragwürdige, dann doch zumindest anstrengende Angelegenheit. Peele denkt gewissermaßen die zukünftigen Doktorarbeiten mit, die über seinen Film, dessen Bezüge zur Popkultur ebenso wie zu gegenwärtigen akademischen Diskursen, geschrieben werden, und in denen jedes kleinste Detail so dechiffriert wird, wie es zuvor vom Drehbuchautor chiffriert wurde – sicherlich nicht ohne dass dabei ein erheblicher interpretatorischer Überschuss entsteht.

Eigentlich vertreibt mir ein Film, der so sehr darum bettelt, analysiert zu werden bis zum Umfallen, die Lust an der Analyse ziemlich gründlich. Ich will mich deshalb auf einen Aspekt beschränken: die Bezüge zur Sklaverei. Der offensichtlichste sind natürlich die beiden Bediensteten, auf die ich oben schon weiter eingegangen bin, aber auch die Szene, in der Chris als schwarzer Mann, in einer Gesellschaft von weißen Reichen, die bizarrer nicht ausfallen könnte, versteigert wird, spricht in dieser Hinsicht sicherlich Bände. Bleibt ein Detail zu erwähnen, das in dem generischen Empowerment des schwarzen Helden am Ende des Films von entscheidender Bedeutung ist. Um sich aus den Klauen seiner PeinigerInnen zu befreien, wendet Chris einen Trick an, er verstopft sich die Ohren mit der Füllung des Sessels, an den er gefesselt ist, um zu verhindern, dass Missy ihn erneut hypnotisieren kann. Es handelt sich dabei um Baumwolle. Eben der Stoff, den einst die Sklaven auf den Feldern ihrer Herren in qualvoller Arbeit ernten mussten, wird hier zu entscheidenden Waffe der Befreiung.

Weiterhin ist ein entscheidender Hinweis für Chris, dass bei den Armitages etwas ganz und gar nicht mit rechten Dingen zugeht, eine Schachtel mit Fotos, die Rose, die ihm am Anfang versicherte, er sei der erste Schwarze, mit dem sie eine Beziehung hätte, in romantischer Pose mit vielen verschiedenen schwarzen Männern zeigen. Einerseits spukt durch die Figur Rose damit die klassische femme fatale, die Männer reihenweise verführt und verdirbt, hier allerdings nicht (nur) allein und im eigenen Interesse handelnd, sondern als Teil des familiy business, das seinerseits Teil einer groß angelegten Verschwörung ist. Andererseits ist das fatale Begehren der weißen Frau für viele schwarze Männer auch ein auf den Kopf gestellter Albdruck des Schreckgespenstes vom Begehren des schwarzen Mannes für weiße Frauen, das seinen Ursprung wohl auch in Sklaverei und Kolonialismus hat, und bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein in einigen Teilen der USA nicht selten zu Lynchmobs führte, die angebliche Vergewaltigungen sühnen wollten.

Natürlich steht „Get Out“ auch über solche historischen Konnotationen hinaus in einem filmgeschichtlichen Kontext, ist Teil eines Genres, das sich immer wieder zum Sprachrohr der Schwachen und Marginalisierten machte. Peele selbst verweist etwa auf „Night of the Living Dead“, der ja auch über einen schwarzen Helden verfügte, der dem weißen Establishment am Ende bekanntlich nicht mehr als eine Kugel wert ist. Aber gerade im Zombiegenre lässt sich etwa das Thema der Hypnose bis zu dessen Ursprung mit Victor Haperlins „White Zombie“ von 1932 zurück verfolgen.

Was „Get Out“ allerdings zu einem wirklich gelungenen Film macht, der dem Hype vollends gerecht wird, ist nicht sein weit gefasster diskursiver Rahmen, sondern die Tatsache, dass es Peele versteht, einen satirisch überspitzten, sich gerade in einer aufgeklärten high society verbreitenden Alltagsrassismus mit Elementen des Horrorkinos zu unterfüttern. Ekkehard Knörer übersetzt den Titel „Creepy“ des Horrorfilms von Kiyoshi Kurosawa mit dem Wort unheimlich und bezieht dieses dann auf Freud. Mit creepy ist auch die Atmosphäre dieses Films in der guten Stunde vor dem kathartischen Finale hinlänglich beschrieben. Das Unbehagen an der Kultur, die keinesfalls eine abstrakte ist, sondern sehr deutlich die der USA der Gegenwart, korrespondiert mit einem generisch gehaltenen Unheimlichen, bei dem das Altbekannte, Verdrängte sich erneut seinen Weg an die Oberfläche bahnt.

Aber „Get Out“ ist nicht nur ein gelungener Genrefilm, sondern auch ein wichtiger, weil sein Erfolg bei Kritik und Publikum, ebenso wie der des Oscarabräumers „Moonlight“, in dem es ebenfalls um dezidiert afroamerikanische Lebenswelten geht, zeigt, dass die amerikanische Zivilgesellschaft in einer Zeit, in der das Establishment mitnichten daran arbeitet, den Schutz von Minderheiten voranzutreiben, nicht schläft. Oder wenn sie es doch tut, ist dieser Film einer ihrer kollektiven Albträume, aus dem sie die Chance hat, sehr wachsam, mit neu geöffneten Augen zu erwachen.

Hier und hier gibt es eine weitere Kritik zu „Get Out“.

Benotung des Films :

Nicolai Bühnemann
Get Out
USA 2017 - 103 min.
Regie: Jordan Peele - Drehbuch: Jordan Peele - Produktion: Jason Blum - Bildgestaltung: Toby Oliver - Montage: Gregory Plotkin - Musik: Michael Abels - Verleih: Universal - FSK: ab 16 Jahren - Besetzung: Daniel Kaluuya, Allison Williams, Catherine Keener, Bradley Whitford, Caleb Landry Jones, Marcus Henderson, Betty Gabriel, Lakeith Stanfield, Stephen Root
Kinostart (D): 04.05.2017

DVD-Starttermin (D): 07.09.2017

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt5052448/
Foto: © Universal